Deutschsprachiges Horrorkino galt international in der Frühzeit des Films als eines der besten. Ob Friedrich Wilhelm Murnaus inoffizielle Draculaverfilmung „Nosferatu“ oder das expressionistische Meisterwerk „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene. Die im ersten Weltkrieg unterlegenen Zentralmächte hatten künstlerisch einiges aufzuarbeiten. Als die Universal Studios in Hollywood 1931 die Blütezeit ihrer Monsterfilme eröffneten orientierten sie sich ganz bewusst am expressionistischen Stil der Deutschen.
Was soll die Vorrede? Naja, nennt doch mal den letzten deutschsprachigen Horrorfilm, der euch wirklich beeindruckt hat (und nein „Keinohrhasen“ zählt nicht!). Wird schwer aber sicher nicht unmöglich und ich würde mich über gute Vorschläge sehr freuen, der Aufruf ist also nicht rein rhetorisch zu verstehen! Wenn wir in die „Video Nasty“ Ecke gehen wollten könnten wir uns einige Beiträge von Jörg Buttgereit ansehen. Dafür müsste wir aber auch in die späten 80er/frühen 90er zurück gehen und wären weit ab von jedem Mainstream (und je nachdem wen man fragt auch vom guten Geschmack). Und danach? Gibt es hier irgendetwas spannendes und originelles, das nicht mit aller Kraft verucht Hollywood zu sein ohne es zu schaffen?

„Ein neuer Tag und immer noch nicht tot. Mist.“ Das Ehepaar Liebig gehört zu Irenes lebensfrohen und freundlichen Kollegen
Gibt es durchaus, denn heute geht die Zeitreise aber nur gut 10 Jahre zurück ins Jahr 2004 nach Österreich und zu Jessica Hausners Film „Hotel“. Ein Horrorfilm in einem Hotel. Hand hoch wer jetzt nicht an Kubricks „The Shining“ denkt und leise „REDRUM“ vor sich hinmurmelt. Hausner schafft es allerdings in kürzester Zeit sich vom Vorbild zu entfernen. Bei Kubrick fahren wir zu Beginn mit Jack Nicholson und Familie auf das Hotel zu, welches gigantisch in der Totalen zu sehen ist, bei Hausner sehen wir einen Lautsprecher in der Decke eines mit Kunstholz getäfelten Fahrstuhls. Wir fühlen uns in dem labyrinthartigen Gebäude ebenso verloren wie Hauptfigur Irene. Wir sehen verwirrende Perspektiven und immer wieder dieselben Ansichten, anstatt sorgfältig die Gänge abzufahren. Das Hotel als Ganzes sieht man erst im letzten Drittel des Films. Um Filmkonventionen wird sich hier definitiv nicht allzu sehr gekümmert.
Zur Geschichte: die junge, zurückhaltende und etwas streberhafte Irene beginnt eine Stelle als Rezeptionistin in einem abgelegenen Waldhotel. Sie erfährt das ihre Vorgängerin auf mysteriöse Weise verschwunden ist und muss feststellen, dass ihre Arbeitskollegen allesamt absolute Meister der passiven Aggression sind. Nachdem sie, in der wohl traurigsten Disco die je auf Zelluloid gebannt wurde, einen schmierigen Jungen Mann mit spärlicher Oberlippenbehaarung kennen gelernt hat, sehen sich beide zusammen die Höhle der Waldfrau an, einer lokalen Sagengestalt, die hier vor 500 Jahren als Hexe auf dem Scheiterhaufen gelandet ist. Mehr möchte ich eigentlich gar nicht erzählen, um nicht zu viel zu verraten.
Der Rest des Films besteht aus absolut bedrückender Atmosphäre, wenn Irene durch Hotelgänge (oder den Wald) irrt und sich von unsympathischen Charakteren schikanieren lassen muss. Zusammen mit ihr haben wir als Zuschauer das Gefühl jegliche Kontrolle zu verlieren und beginnen ebenso verzweifelt nach einem Ausweg zu suchen und wie sie verschwinden wir wieder und wieder im Finster endloser Gänge oder tiefer Grotten.
Und dabei habe ich noch nicht einmal das Sounddesign erwähnt! Das leere Hotel ist von einem steten Dröhnen erfüllt, Notschalter kreischen vor sich hin und der Wald ist erfüllt von Schreien, die von Tieren aber genauso gut von Menschen stammen könnten. Das alles ist in etwa so leicht in Worten zu beschreiben, wie Homers Odyssee in Rauchzeichen zu übersetzen. Daher hier ein Youtube-Clip, der nicht von mir stammt und nichts „spoilert“:
Ich nenne den Film einen Horrorfilm und gehe davon auch nicht ab. Allerdings sollte man ihn sich nicht ansehen, in der Erwartung hinter dem nächsten Baum könnte Jason Vorhees lauern. Tut er nämlich nicht. Soviel sei verraten. Im Film geschehen nur kleine Verbrechen. Die großen sind bereits passiert oder stehen noch bevor. Nein, ein Freitag der 13te ist das hier nicht, Hausner schafft statt dessen einen Horrorfilm der eher in der Tradition eines David Lynch steht. Jede Einstellung trieft vor Atmosphäre und zwingt den Betrachter die schwarzen Stellen mit seiner eigenen Fantasie auszufüllen und die ist meist schlimmer als alles was ein Film hervorbringen könnte.
Und so wissen wir, wenn sich Irene am Ende des alltäglichen sozialen Alptraums, angereichert mit Grimmschem Schrecken, im Wald verliert, dass die Worte die ganz am Anfang des Filmes fallen mit Sicherheit wahr sind: der Teufel schläft nicht.
Und der deutschsprachige Horror ist nicht tot. Nur untot, da keiner ihn schaut, wenn er denn mal stattfindet.
Triviales von Interesse:
Frau Liebig, eine Angestellte des fiktiven Hotels, wird von der Besitzerin des tatsächlichen Hotels gespielt. Diese hat den wunderbaren, goscinnyesken Namen Rosa Waissnix.
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