Ich muss mit einem Geständnis beginnen: ich bin an diesen Film herangegangen wie ein übler Snob. „Ein 22-Jähriger dreht mit ’ner Schul-Film-AG Hitchcocks ‚Fenster zum Hof‘ nach und gibt dem ganzen einen abgewandelten Bond-Titel. Das kann ja nur schief gehen“ war mein erster Gedanke als ich über den Film gelesen habe. Mein zweiter und dritter übrigens auch. Dank ‚Mubi‘ hab‘ ich ihn mir dann doch angesehen. Und er hat mich positiv überrascht. Auch wenn er alles andere als fehlerfrei ist.
Computernerd Sam (Benedict Sieverding) hat sich beim Feldhockey-Training das Bein gebrochen (genau genommen war es der Neue an der Schule, Aaron (Tali Barde), der es ihm gebrochen hat). Nun ist er an seinen Schreibtisch gefesselt, was jedoch aufgrund seines Computers kein allzu großes Problem für ihn darstellt. Als ihm ein Kumpel, dann auch noch ein Programm zukommen lässt, mit dem er sich (dank einer Sicherheitslücke in einer Schulsoftware) in die Webcams seiner Mitschüler hacken kann ist ein neues Hobby schnell gefunden: Voyeurismus. Dann kommt auch noch sein heimlicher Schwarm Livia (Luisa Gross) zur Informatik-Nachhilfe und stellt sich als veritable Lady Macbeth heraus, die mindestens ebenso von den heimlichen Einsichten fasziniert ist wie Sam. Doch warum versteckt Unsympath Aaron ein großes Messer in seinem Zimmer? Und wo sind eigentlich seine Eltern?
Ja, der Plot ist tatsächlich ‚Das Fenster zum Hof‘ mit Webcams statt Fernglas. Aber anders als bei Hitchcock sind wir nicht strikt an Sams Perspektive gebunden. Stattdessen zitiert die Kamera viel und umfassend andere Filme: ob ‚Das Schweigen der Lämmer‘ oder ‚Blair Witch Project‘, wenn ein Zitat sich anbietet wird es verwendet. Das Erstaunliche: zu einem guten Teil funktioniert das und fügt sich zu einem kohärenten Ganzen. Und wenn Regisseur Tali Barde sich gar im Stile von Edgar Wright daran versucht Mondänem, wie Kaffekochen, anhand von aufregenden Kameraperspektiven und schnellem Schnitt eine visuelle Pointe zu verpassen dann beeindruckt das durchaus. Doch gerade gegen Ende hin wurde es mir dann zu viel der Zitate. Als dann auch noch eine Tasse mit Hitch-Silhouette stolz den Mittelpunkt einer Szene bildet rollten meine Augen. Wie weit kann man gehen, damit eine Hommage noch Hommage ist und kein Derivat?
Den Schauspielern ist ihre Laienhaftigkeit durch die Bank anzumerken, ohne dass irgendjemand besonders negativ auffallen würde (dass man aus jugendlichen Laiendarstellern allerdings mehr herausholen kann zeigte Henner Winckler 2002 mit seinem Film ‚Klassenfahrt‘). Positiv fällt allerdings Luisa Gross auf, die eine echte Chemie mit Hauptdarsteller Sieverding entwickelt und eine glaubhafte Pennäler Grace Kelly abgibt.
Ich bin vermutlich nicht die Zielgruppe des Films aber ich bin froh über jeden Genrefilm aus Deutschland, der es irgendwie in die öffentliche Wahrnehmung schafft. Das deutsche Kino kann doch Ver%# nochmal mehr als Til Schweiger-RomComs und Nazi-Betroffenheit! Tali Barde hat sich mit diesem Film auf jeden Fall in jungen Jahren eine Top-Referenz für den Lebenslauf geschaffen, die ihm hoffentlich die Möglichkeit gibt weitere interessante Projekte (dann auch für mehr als 10.000 Euro) zu verwirklichen. Ich würde es ihm wünschen.
FAZIT: Interessanter aber durchwachsener Zitate-Thriller, der vielleicht dazu beitragen kann Kinder und Jugendliche an Hitchcock heranzuführen. Außerdem deutsches Genrekino mit A§$% in der Hose. Dafür ’n Extra-Punkt.
6/10 WiFi-Gartenzwergen