Yo Adrian, they did it! – ‚Creed‘ (2015)

Hollywood mag die Tatsache hassen und doch ist sie (bislang) unveränderlich: Schauspieler sind Menschen. Und Menschen werden älter. Und somit ist ein Franchise, dass untrennbar mit einem Darsteller verbunden ist endlich, egal wie erfolgreich es ist. Die Versuche der „Fackelübergabe“ in den letzten Filmen der ‚Indiana Jones‘ und ‚Stirb Langsam‘ Reihen müssen als Fehlschläge gewertet werden. ‚Star Wars‘ ist es gelungen, jedoch nur über den Umweg einer jahrelangen Publikumsentfremdung mittels „Prequel-Trilogie“. Was aber, wenn die Idee einer Fortführung nicht einem Studio-Komitee entspringt, das hauptsächlich an der möglichst großen schwarzen Zahl unter dem Strich interessiert ist, sondern einem hochtalentierten, jungen Drehbuchautor und Regisseur, der zufällig Fan des Franchises ist? Kann das funktionieren? Gerade bei einem Franchise, das so persönlich ist wie die ‚Rocky‘-Filme?

Sport-Filme folgen einer Form, die rigider ist als bei jedem anderen Genre: liebenswerter, talentierter  aber undisziplinierter Underdog hat die Möglichkeit sich gegen einen unbezwingbar scheinenden, meist unerträglich arroganten Favoriten zu beweisen. Nachdem der Underdog, die Wichtigkeit harten Trainings und Zusammenarbeit verstanden hat besiegt er den Gegner knapp, unter dem aufbrandenden Applaus der Zuschauer –  Freezeframe mit emporgereckten Armen – Ende. Funktioniert mit Einzelpersonen und Teams. Ob ein Sport-Film ein Erfolg wird hängt also maßgeblich von der Qualität seiner Charaktere ab. Weshalb meine Antwort auf die Frage nach meinem liebsten Sport-Film stets eindeutig sein wird: ‚Rocky‘.

Rocky Balboa ist der beste Charakter, den Sylvester Stallone je entwickelt hat, ob als Drehbuchautor oder Schauspieler. Ebenso liebenswert wie glaubwürdig, gewinnt er am Ende eben nicht und erreicht doch die selbstgesteckten Ziele. Und die Nebencharaktere sind ebenso gut! Allen voran die pathologisch schüchterne Adrian, Rockys große Liebe. Aber auch der grimmige alte Boxtrainer Mickey und natürlich der unerreichbar scheinende Apollo Creed, der in seiner Extravaganz Muhammad Ali zur Ehre gereicht. Einen Charakter in dem sich die ärmeren Bewohner Philadelphias wiedererkennen würden wollte Stallone mit Rocky schaffen. Was er schaffte war ein Charakter der Empathie über sozio-ökonomische und nationale Grenzen hinaus weckte: ein internationales Phänomen. So hatte nun Sylvester Stallones Karriere wirklich begonnen und Rocky wurde bald zu einem Gradmesser seiner wachsenden Eitelkeit. Natürlich gab es eine Rematch und natürlich wurde Rocky Weltmeister. Und dann verschenkte er funktionierende Roboter-Hausmädchen und haute nicht nur Ivan Drago um, sondern gleich die ganze Sowjetunion. Ende der 80er hatte das Publikum diese Bizarrerie satt und Rocky ging in den Ruhestand. Bis 2006. 30 Jahre nach seinem ersten Kampf stieg Balboa nochmal in den Ring. Ein recht gelungener Film aber doch ein Kuriosum und ein Beweis für Hollywoods Leugnung des Alterns.

Fast 10 Jahre später jetzt also ‚Creed‘. Rockys früherer Rivale und späterer Freund Apollo hat einen unehelichen Sohn, geboren nach seinem Tod im Ring. Adonis, der Dank der Fürsorge von Apollos Witwe ein gutes, geregeltes Leben haben könnte, will aus persönlichen Gründen doch  Boxen und möchte von Rocky – nach dem Tode Adrians von der Welt zurückgezogen – trainiert werden. Schnell kommt dem Management des derzeitigen Boxweltmeisters Conlan die Idee für einen Gimmick-Kampf: der Sohn des ehemaligen Weltmeisters gegen den amtierenden. Und für Conlan ist es ja eine sichere Sache gegen den unerfahrenen Neuling – oder?

Der Handlungsanriss lässt erahnen, dass Autor und Regisseur Ryan Coogler nicht versucht die oben beschriebene Form zu durchbrechen. Coogler, der 2013 mit ‚Fruitvale Station‘ ein beeindruckendes Debut ablieferte, ebenfalls mit Hauptdarsteller Michael B. Jordan, ist ein großer Fan der Rocky Filme. Das zeigt sich in zahlreichen Anspielungen in ‚Creed‘ sowie der liebevollen Ausarbeitung von Rocky. Doch ergeht sich der Film nicht in reiner Nostalgie: Adonis (oder Donnie) ist nicht Rocky. Beider Charaktere oder auch nur Motivationen Boxer zu werden sind nicht vergleichbar. Und Rocky schlüpft nicht einfach in die Rolle von Mickey, sondern hat seinen eigenen Kampf auszutragen, gegen einen Gegner beängstigender als Clubber Lang oder Ivan Drago je sein könnten. Er braucht Donnie dafür so sehr, wie der ihn braucht. Auch wenn er eine Weile braucht das einzusehen. Stallone zeigt sich hier motiviert, wie seit langem nicht und gleichzeitig uneitel genug, um Hauptdarsteller Jordan den Raum zu geben, den der für die Entwicklung von Apollos Sohn braucht. Tess Thompson als aufstrebende Sängerin Bianca bringt eine andere Energie mit als Adrian und Phylicia Rashad als Apollos Witwe wird vom Film zwar etwas stiefmütterlich behandelt doch ist sie ein entscheidender Faktor in Donnies Geschichte. Die Form bleibt bestehen, doch Coogler zeigt was herauskommen kann, wenn man sie mit hervorragendem Material füllt. Ein Zerrspiegel des ersten Rocky Filmes, der Apollo wieder zu einer, seinem Namen gerecht werdenden, mythologisch unerreichbaren Figur macht. Aus völlig anderen Gründen als der erste Film. Aber es ist eben ein Rocky/Box-Film und nicht die (teilweise schon als zu „niedlich“ bezeichnete) Auseinandersetzung mit dem Leben und Sterben benachteiligter Schwarzer, die ‚Fruitvale Station‘ war.

Hier ist also kurz gesagt eine Fackelübergabe, die funktioniert hat. Allein die Tatsache, dass ich nur über die Charaktere anstatt die äußerst eindrucksvollen Boxszenen geschrieben habe zeigt mir noch einmal, dass der Film fast alles richtig macht. Coogler und Kamerafrau Maryse Alberti nehmen uns Kampf für Kampf mehr in das Geschehen mit. Den ersten Kampf sehen wir noch von außerhalb des Ringes während wir uns im finalen Kampf fast vor den Jabs der Athleten ducken möchten. Von den späteren Rockys übernimmt er nur den Fehler gelegentlich zu dick aufzutragen. Aber anders als die eben nur gelegentlich.

‚Creed 2‘? Warum nicht, ist vermutlich ohnehin unvermeidbar. Jetzt brauchen wir nur noch einen jungen, aufstrebenden Indiana Jones Fan, der talentierter Regisseur ist. Oder halt mal was Neues. Das ist nämlich nicht immer unbedingt verkehrt.

PS: Oh, hier noch was, was ich sonst nie sage: die deutsche Synchronisation ist grauenhaft! Unmotiviert, unpassend, teilweise glatt fehlübersetzt, wo es unnötig ist. Wenn irgend möglich schaut den Film im Original!

5 Gedanken zu “Yo Adrian, they did it! – ‚Creed‘ (2015)

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