Jeremy Saulnier hat vor drei Jahren mit ‚Blue Ruin‘ ein Low-Budget Rache-Thriller abgeliefert, der gleichzeitig ein gelungener Vertreter seines Genres war und die typischen Klischees geschickt unterwanderte. Mit ‚Green Room‘ wendet er seine Aufmerksamkeit nun dem Belagerungs-Thriller zu und nutzt sein diesmal etwas umfangreicheres Budget für einen hervorragenden Cast und die Darstellung verschiedentlicher, schwerer Körperverletzungen.
Die Punk-Band „Ain’t Rights“, bestehend aus Pat (Anton Yelchin) , Sam (Alia Shawkat), Reece (Joe Cole) und Tiger (Callum Turner), ist nach einem geplatzten Gig gezwungen in einem abgelegenen Club im Wald aufzutreten. Nachdem sie vor dem „eher rechten“ Publikum gewarnt wurden, beschließen sie ihren Auftritt mit einer Coverversion von „Nazi Punks Fuck Off“ zu starten, was, von einigen geworfenen Bierflaschen abgesehen, zum Glück keine ernsten Konsequenzen nach sich zieht. Sie haben den Club quasi schon wieder verlassen, als ein vergessenes Handy dafür sorgt, dass sie eine Leiche entdecken. Schnell werden sie, zusammen mit Amber (Imogen Poots), einer Freundin des Opfers, in den Green Room gesperrt und Clubbesitzer und Skinheadboss Darcy Banker (Patrick Stewart) informiert. Banker will die Musiker verschwinden lassen, da für ihn mehr als nur sein Club auf dem Spiel steht. Und er hat dafür immerhin eine kleine Armee bewaffnet mit Flaschen, Messern, Macheten, Kampfhunden und Schusswaffen zur Verfügung.
Saulnier baut Druck und Spannung gleichermaßen auf. In kränklichen grün-braun-schwarzen Bildern bringt er seine Anti-Helden in eine schier unerträgliche Situation. Und wenn die Türen des Green Rooms schließlich abgeschlossen werden, die Protagonisten in der Falle sitzen, da war es zumindest mir als Zuschauer unmöglich mich nicht in ihre Schuhe versetzt zu fühlen. Wie in ‚Blue Ruin‘ ist es Saulniers Realismus, der die Situation so unerträglich macht. Der Tourbus der Punks wirkt authentisch, das ländliche Clubhaus der Nazis wirkt absolut glaubhaft, der satte, grüne, neuenglische Wald liefert einen realistischen Kontrapunkt zur dreckigen Handlung, die Charaktere sind nachvollziehbar und glaubwürdig und vor allem die schwer erträglichen Gewaltspitzen sind keinesfalls übertrieben sondern komplett realistisch gehalten, was sie umso wirkungsvoller macht. Natürlich setzen sich die Charaktere hier zur Wehr, ansonsten wäre der Film recht schnell vorbei, doch konnte ich mich der Frage, was ich in dieser Situation tun würde nicht entziehen. Wie Wes Craven in seinen Frühwerken, ist Saulnier hier der Meinung Gewalt dürfe nicht unterhalten, sie muss schockieren. Und das tut sie fraglos. Ebenso, wie das Verhalten einiger Charaktere im Angesicht brutaler Gewalt.
Überraschend ist, dass es Saulnier in einem solchen Adrenalin-gesteuerten Szenario gelingt ganz hervorragende Leistungen aus seinen Darstelleren herauszuholen. Neben den sehr guten Leistungen der Hauptdarsteller Anton Yelchin (der in diesem Juni bei einem Unfall auf tragische Weise ums Leben kam) und Imogen Poots ist der ‚Blue Ruin‘ Hauptdarsteller Macon Blair zu erwähnen. Wie in dem Film bringt er in seine Rolle hier, als Türsteher des Nazi-Clubs, eine erstaunliche Verwundbarkeit ein, die so gar nicht zu seiner Umgebung passen will und den Charakter hervorstechen lassen. Aber keine Besprechung des Films wäre in irgendeiner Weise komplett ohne Patrick Stewart zu erwähnen, der hier einen Gegenspieler gibt, der noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Auch bei seiner Rolle gilt der Grundsatz der Glaubwürdigkeit: er ist kein brutaler Sadist, der sich an der Gelegenheit für Gewalt geifernd erfreut. Er ist genervt von der Situation, will sie so schnell wie möglich beiseite geschafft wissen. Dafür geht er dann aber ebenso effizient wie rücksichtslos zu Werke, was ihn nur umso schrecklicher erscheinen lässt. Doch, wenn er zu einem der Charaktere im Laufe des Films sagt „das ist auch für mich ein Alptraum“, dann nimmt man ihm das beinahe ab. Einerseits ist es eine für Stewart typische Rolle, er gibt den motivierenden, beruhigenden, ordnenden Anführer, doch andererseits ist er eben nicht Picard oder Xavier, sondern ein mörderischer Nazi-Anführer und Krimineller. Brillant besetzt.
Wie eine körperliche Auseinandersetzung schüttelt der Film seine Zuschauer durch, hinterlässt sie mit (wenn auch nur emotionalen) blauen Flecken und dem dringenden Bedürfnis nach einer Dusche. Erinnerungen an John Carpenters ‚Assault – Anschlag bei Nacht‘ werden geweckt und wie der frühe Carpenter ist Jeremy Saulnier ein Regisseur, den es lohnt im Auge zu behalten. Der bereit ist mit typischem B-Material außergewöhnliche Dinge anzustellen. Ob man einen solchen Film sehen möchte, muss natürlich jeder für sich sorgfältig abwägen. Denn auf den Magen schlagen kann er durchaus.
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