Ach ja, ‚Der Nachtmahr‘. Vom Feuilleton zum Low-Budget Messias des deutschen Genre-Films erklärt. Für unter 100.000€ soll Akiz, alias Achim Bornhak, der vor 10 Jahren dieses Uschi Obermayr Biopic gedreht hat, an das ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, hier einen Horrorfilm mit „echter“ Tricktechnik, sprich mit real vorhandenen Kreatur-Effekten gedreht haben. Da wird schon eine gewisse Erwartungshaltung geweckt.
Die Geschichte von ‚Der Nachtmahr‘ ist schnell erzählt: Tina (Carolyn Genzkow) ist 17 und lässt keine Party aus. Sie lebt mehr oder weniger neben ihren wohlhabenden Eltern her, die von ihr nur erwarten, dass sie „funktioniert“. Tut sie das nicht steht ein Besuch beim Psychologen an. Nachdem Tina, bei einem Rave im Wald, eine verstörende Vision hatte, begegnet sie nachts in der elterlichen Küche einer kleinen, verkrümmten, sabbernden Kreatur mit blinden Glubschaugen und spindeligen Extremitäten, die sich über den Kühlschrankinhalt hermacht. Nach dem ersten Schock stellt sich aber noch ein viel größeres Problem heraus: niemand außer Tina kann die Kreatur sehen. Verliert sie den Verstand?
Lasst mich eine Sache direkt klarstellen, die viel Verwirrung in Bezug auf den Film vermeiden kann: ‚Der Nachtmahr‘ ist kein Horrorfilm. Bis zum ersten Treffen Tinas mit dem Wesen gebärdet er sich auffällig wie einer, doch macht dann sehr schnell klar, dass er in eine andere Richtung möchte. Die Kreatur ist bald nicht mehr furchteinflößend, sondern mitleiderregend, wenn auch dank Aussehen und Geräuschkulisse weiterhin schwer erträglich.
Wenn man sich das klar macht, gibt es Vieles am ‚Nachtmahr‘, was man mögen kann. Da wäre zum einen die schiere Breite seiner Einflüsse. Von der Poesie William Blakes (die im Film direkt zitiert wird), über die „Gothic Novel“ (ein schöner Alternativtitel für den Film wäre wohl ‚Doktor Tina und Mr. Nachtmahr‘), über den Nachtmahr selbst, der direkt dem berühmten Füssli-Gemälde gleichen Namens entsprungen zu sein scheint, über den italienischen Neorealismus (der Film zeigt, in krummen und schiefen nicht ausgeleuchteten Aufnahmen, verschwitzte, strubbelige Darsteller ohne Maske), bis hin zu Neuem, die Partyszenen erinnern an Harmony Korines ‚Springbreakers‘, einige Szenen in Tinas Elternhaus zitieren David Lynch. Zum Anderen ist da der Zugang zur Protagonistin. Anders als „typische“ Horrorfilme betrachtet Akiz den Party-Drogen-Teenie-Hedonismus Tinas nicht als einen verdammenswerten, moralischen Übergriff, der vom messerschwingenden Maskenträger brutal bestraft werden muss, sondern er überlässt die Wertung dem Zuschauer, ja liefert durch die schwer erträgliche, unverständige Borniertheit von Tinas Eltern auch noch eine nachvollziehbare Erklärung mit.
Der Film bleibt, in seinen einfachen Bildern, aussagekräftig, stattet z.B. Partyszenen mit satten Primärfarben aus, als Kontrast zum Monochrom von Elternhaus und Schule. Er nimmt seine größte Limitation, sein geringes Budget, und macht mittels Handheldkamera-Aufnahmen eine ästhetische Entscheidung daraus, die ziemlich gut funktioniert. Die Musik müssen Leute bewerten, die, anders als ich, diese Art von elektronischer Tanzmusik nicht nur tolerieren, sondern schätzen können… sie ist jedenfalls laut und passt meist zur Szene. Die Schauspieler, jung, wie alt machen im Großen und Ganzen ihre Sache sehr gut. Carolyn Genzkow ist hier hervorzuheben, ist sie doch in beinahe jeder Einstellung des Films zu sehen und vermittelt die Gefühlswelt des jungen Mädchens sehr gut. Einzig ausnehmen vom Lob möchte ich aber einen völlig unmotivierten Wilson Gonzales Ochsenknecht. Gibt es eigentlich einen guten Grund, warum wir den in Filmen sehen, abgesehen davon, dass sein Vater der Uwe ist?
Wenn der Film also eine spannende Melange aus allerlei Einflüssen bildet, seine technischen Limitationen zu seinem Vorteil auszunutzen weiß und aus den meisten Darstellern gute Leistungen herausholt, bleibt die Frage, warum er mir persönlich nicht besser gefällt. Ich finde ihn nämlich nur recht gut, nicht viel mehr. Und, so merkwürdig das auch klingt, ich fürchte mein Problem ist, dass er eben nicht sperriger ist. Jedes Element des Films fügt sich absolut sauber in ein interpretatorisches Bild ein, dass am Ende komplett ist. Es fehlt dem Film ein wenig an Persönlichkeit.
Ich versuche klarer zu machen, was ich meine: die ersten Minuten von ‚Der Nachtmahr‘ sind ganz hervorragend. Eine Technoparty im Wald ist allein schon ein wunderbar kontrastierendes Bild, dazu noch orakelnde Handyfilmchen und eine merkwürdige Vision. Was es mir aber besonders angetan hatte, war die allererste Einstellung eines Autos auf einer finsteren Landstraße. Aus irgendeinem Grund erinnerte die mich ganz extrem an eine halbwegs berühmte Aufnahme aus dem britischen 80er B-Movie-Etwas ‚Xtro‘. Der setzt im Folgenden auf heftige Ekeleffekte und macht nicht immer viel Sinn, fühlt sich aber hochpersönlich an. Ich verstehe hinterher Regisseur Harry Bromley Davenport etwas besser. Mag ihn aber vielleicht nicht unbedingt lieber. Nicht zuletzt deshalb ist ‚Xtro‘ aber, wie man sieht, ein Film, der sich im Gedächtnis festsetzt. ‚Der Nachtmahr‘ fühlt sich nie persönlich an. Er wirkt mehr so, wie eine etwas selbstverliebte Fingerübung von Regisseur und Autor Akiz.
Vielleicht hätte er mir ohne diese erste Assoziation besser gefallen. Und ich weiß, dass ich da vermutlich unfair bin, weil ‚Der Nachtmahr‘ „objektiv“ vermutlich ein besserer Film als ‚Xtro‘ ist. Es ist bemerkenswert, wie viel Subtilität Akiz noch in diesem eigentlich recht deutlichen Film verbergen kann. Ein anderes großes Problem meinerseits ist vermutlich aber einfach, dass viele Themen dieses Films erst vor Kurzem deutlich besser behandelt wurden. In It Follows zum Beispiel. oder auch in Victoria.
‚Der Nachtmahr‘ ist als Low Budget Genrefilm als deutsche Produktion so oder so bemerkenswert. Wer also auch nur das geringste Interesse an dem Thema mitbringt sollte ihn sich ansehen. Die ganz großen Erwartungen, die Feuilleton-Besprechungen und eben die ersten Szenen wecken können, sollten aber zurückgesteckt werden. Laut Akiz war ‚Der Nachtmahr‘ der erste Teil eines „Film-Triptychons“ aus Geburt – Liebe – Tod. Ich bin gespannt was die nächsten beiden können.
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Klingt extrem spannend. Habe schon viel in Podcasts von dem Film gehört und die meisten Besprechungen sind auch sehr positiv. Möchte irgendwann auch noch reinschauen, zumal es ja ein deutscher Genrefilm ist.
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Durch mein Gemecker zum Ende hin liest sich meine Kritik glaube ich fast etwas zu negativ. Wie gesagt, wenn dich die Prämisse auch nur etwas anspricht dürfte er sich lohnen.
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