Gestern Gesehen: ‚Eye In The Sky‘ (2015)

Habt Ihr den Trailer geschaut? Der lässt nichts besonders Gutes erwarten, oder? Und auch der Name des Regisseurs, Gavin Hood, der verantwortlich zeichnet für Filme wie ‚X-Men Origins: Wolverine‘ oder ‚Enders Game‘ lässt nicht auf einen besonders geistreichen Film hoffen. Was sich jedoch zweifellos gut liest ist die Besetzungsliste. Bei mir war es letztlich eine Empfehlung von Bloggerkollege Ma-Go, die den Ausschlag gegeben hat. Und ich kann Euch versprechen, wenn ihr Euch entschließt den Film zu schauen werdet ihr positiv überrascht sein!

Der britischen Colonel Katherine Powell (Helen Mirren) ist es nach sechs Jahren gelungen einige hochrangige Mitglieder der al-Shabaab Milizen bei einem Treffen in Nairobi, bei dem neue Rekruten initialisiert werden sollen, zu lokalisieren. Sie und ihr britischer Stab leiten dabei ein US-amerikanisches Drohnenteam, sowie kenianische Agenten vor Ort mit dem Ziel die hochrangigen Terroristen, darunter eine britische Konvertitin, zu verhaften. Als das Treffen jedoch in ein von der Miliz kontrolliertes Viertel der Stadt verlegt wird, wird ein direkter Zugriff für die kenianischen Truppen unmöglich. Die Mission wandelt sich zu einer gezielten Tötung durch die Raketen der Drohne. Da jedoch – nicht zuletzt durch im Haus befindliche Sprengstoffe – ein erhebliches Risiko für „Kollateralschäden“ besteht, beginnt bei den britischen Politikern, die in die Mission involviert sind, ein verzweifeltes Verschieben von Kompetenzen und Verantwortung. Als sich dann auch noch ein kleines Mädchen (Aisha Takow) vor der Mauer des Gebäudes niederlässt um Brot zu verkaufen, während die Rekruten drinnen ein Märtyrer-Video drehen und sich Sprengstoffwesten anlegen, besteht ein handfestes, moralisches Dilemma.

Eben dieses zentrale Dilemma, „sollen wir jetzt zuschlagen und ein kleines Kind töten oder nichts tun und dann verantwortlich sein für all die Toten der Anschläge durch die Sprengstoffwesten“ ist natürlich äußerst reduktiv und letztlich eine Variante des Weichensteller-Dilemmas. Allerdings macht das nicht viel, denn der Film erwartet von Zuschauer, dass er dieses Dilemma für sich selbst löst. Abgesehen von den Leuten die direkt am virtuellen Abzug sitzen, wirft im Film keiner der Akteure ethische oder moralische Bedenken auf. Die Politiker sind darauf bedacht die Verantwortung von sich zu schieben, um politisch das Gesicht zu wahren und denken an die Pressewirkung, während Powell sich „kreativer Statistik“ bemüht, um sowohl ihre Ziele eliminieren zu können als auch juristisch auf der sicheren Seite zu sein. Das lässt das Geschehen erschreckend realistisch wirken, während wir als Zuschauer uns bemühen die Dinge einzuordnen und für uns ethische Entscheidungen treffen. Die nimmt uns der Film, zumindest explizit, auch nicht ab. Bis zum Ende müssen wir für uns selbst verantworten, ob wir das Gesehene gutheißen oder verurteilen. Implizit teilt uns Hood allerdings durchaus auch seine Meinung mit.

Der Film wird oftmals, nicht zuletzt im Trailer, mit Kubricks ‚Dr. Strangelove‘ verglichen. Diesen Vergleich kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, fehlt ‚Eye in the Sky‘ dafür doch ein gewisser satirischer Biss. Den will er allerdings auch gar nicht haben, er ist mehr am Realismus der Situation interessiert. Wenn ich einen Vergleich ziehen müsste, dann wäre dies zu einer der besseren Folgen von Charlie Brookers Serie ‚Black Mirror‘. Hier wie dort steht eine hypermoderne Technik im Mittelpunkt, die eigentlich das menschliche Leben erleichtern sollte, allerdings zu unerwarteten moralischen und persönlichen Problemen führt, die eine ohnehin komplizierte Situation noch verworrener machen.

Der Film ist spannend. Sehr spannend sogar, die meiste Zeit saß ich buchstäblich auf der Sesselkante. Das gelingt ihm trotz beinahe vollständigem Verzicht auf klassische Action. In seinen gut 100 Minuten Laufzeit ist eine einzige Szene, die man als typische Actionszene betrachten kann und die dauert nicht einmal 30 Sekunden. Auch mit der Darstellung von Gewalt hält sich der Film sehr zurück. Er arbeitet mit der Erwartung von Gewalt, durch die Sprengstoffwesten, den Raketenschlag, die ständige Anwesenheit der Milizionäre. Den Rest seiner Spannung bezieht der Film, neben dem oben beschriebenen philosophischen Überlegungen, aus dem ständigen Wechsel von Örtlichkeiten und Atmosphären. Da ist Powells bunkerhaftes Hauptquartier, dass an den 2ten Weltkrieg gemahnt, die Abgeschiedenheit der Piloten, in ihrem finsteren Kontrollcontainer, die Großraumbüro-Atmosphäre einer Bildverarbeitungsstation auf Hawaii, die belebten Straßen Nairobis, ein Außenminister mit Durchfall in einem asiatischen Luxushotel, verschiedene sterile Besprechungsräume, Skype-Konferenzen dazwischen und noch einiges mehr. Das Innere des Hauses der Terroristen sehen wir übrigens nie durch die „objektive“ Filmkamera, sondern nur durch im Film vorhandenes Bildmaterial von z.B. einem ferngesteuerten Käfer. Dazu kommen immer wieder Aufnahmen aus Sicht der Drohne, dem namensgebenden Auge im Himmel, die Nairobi in einer klaren, nachvollziehbaren Organisation zeigen, die in ihrer objektiven Technik in klarem Kontrast stehen zu dem menschlich-chaotischen Geschehen in allen anderen Aufnahmen. Kameramann Haris Zambarloukos und Cutterin Megan Gill gelingt es eindrucksvoll all diese Einzelteile zwar getrennt für sich wirken zu lassen, alles jedoch als verbundene Einheit glaubhaft zu machen.

Die Ensemble Besetzung ist durch die Bank hervorragend. Hervorheben möchte ich Helen Mirren, die auch mit 70 Jahren kein Problem damit hat eine taffe Armeefrau zu geben. Ihrer Darstellung ist es zu verdanken, dass Powell nie überzogen schurkenhaft wirkt. Auch Barkhad Abdi, als kenianischer Agent vor Ort ist ziemlich großartig. Kann man ihm doch zu jeder Zeit am Gesicht ablesen, dass er weiß, dass er weitaus tiefer in der Höhle des Löwen ist als wir ahnen. Und dann ist da natürlich noch Alan Rickman in seiner leider letzten Rolle. Als politischer Liaison-General tut er das, was er stets am besten konnte. Die Arroganz der britischen Upper-Class in geradezu waffenfähige Verachtung zu fokussieren und dabei dennoch sympathisch zu wirken. Ich werde ihn vermissen.

‚Eye In The Sky‘ ist vermutlich der beste Film, den wir zu den Themen Drohnenkrieg, politische Ermordung, extralegale Hinrichtung und kriegerisches Vorgehen in befreundeten Ländern zu sehen bekommen werden. Er ist zwar nicht perfekt, die Simplifizierung auf ein direktes moralisches Dilemma ist nicht wirklich hilfreich, aber letztlich ist er doch clever genug, um als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema zu funktionieren. Ich vermute, dass er als britische Produktion hier bedachter sein kann, als ein Hollywood-Film es sein könnte.

3 Gedanken zu “Gestern Gesehen: ‚Eye In The Sky‘ (2015)

  1. Na da bin ich aber froh, dass du jetzt nicht sagst der Films sei totaler Käse. Immerhin habe ich ihn ja ganz schön angepriesen 😉
    Ich werde versuchen demnächst auch ein paar Worte dazu zu schreiben, kann dir aber in den wesentlichen Punkten nur zustimmen. Ich fand die Mischung zwischen zugespitzer Dilemmasituation, satirischer Politikabrechnung (die ich durchaus gesehen habe) und realistischem Kriegsdrama perfekt. Und die Sache mit den Insektendrohnen fand ich mehr als gruselig…

    Gefällt 1 Person

    • Klar, es sind durchaus satirische Elemente da. Die sind ja auch in Black Mirror. Aber aufgrund des hohen Werts auf Realität ist es bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Dr. Strangelove. Der Film liefert nichts was nur annähernd an mein wohl liebstes Filmzitat herankommt: „You can’t fight in here! This is the War Room!“ 😉

      Bei dem Käfer frage ich mich noch, ob es das so schon gibt oder noch nahe Science Fiction ist. Unglaubwürdig war es jedenfalls nicht. Bis hin zur Batterie-Dauer.

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  2. Pingback: Film: Eye in the sky – Über Verantwortung und Moral | Ma-Go Filmtipps

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