Klassiker nachgeholt: ‚Stand By Me‘ (1986)

Jeder hat sie vermutlich, diese Lücken im Filmwissen, die immer wieder deutlich werden, wenn sich andere wie selbstverständlich auf einen Film beziehen, den man selbst nicht kennt. So ein Fall war für mich ‚Stand By Me‘. Mein Wissen über den Film begann und endete mit „Coming of Age Film aus den 80ern“. Da der Film allerdings immer wieder mal auf den Donnerstags Top Listen von Bloggerkollegen (allen voran bullion) auftauchte, wurde ich doch neugierig. Als ich dann noch herausfand, dass er auf der Stephen King Kurzgeschichte „Die Leiche“ basiert, eine der wenigen King Stories, die mir auch Jahre nach dem Lesen noch im Gedächtnis ist, war klar, den muss ich endlich sehen!

Der Autor Gordie Lachance wird durch einen Zeitungsartikel über den Tod seines Jugendfreundes Christopher Chambers an den letzten Sommer seiner Kindheit, den er zusammen mit seiner Clique in der Kleinstadt Castle Rock verbracht hat, erinnert. Damals, im Sommer 1959 belauscht der zwölfjährige Vern (Jerry O’Connell) seinen großen Bruder und erfährt so, dass der und ein Freund die Leiche eines vermissten Kindes bei den Bahngleisen ein gutes Stück entfernt von der Stadt gefunden haben, das aber nicht der Polizei gemeldet haben. Aufgeregt berichtet er seinen Freunden Gordie (Wil Wheaton), Chris (River Phoenix) und Teddy (Corey Feldman) davon. Obwohl die den naiven Vern nicht ganz ernst nehmen beschließen sie die Leiche zu finden und zu melden und so zu Helden zu werden. Es beginnt eine zweitägige Wanderung die Bahngleise entlang, die sie als Kinder beginnen aber gereift beenden werden. Oder auch gar nicht, denn der Anführer der örtlichen Gang Ace (Kiefer Sutherland) weiß auch von der Leiche und ist nicht glücklich über die Neugier der Jungen…

Ich war mir ehrlich gesagt eingangs unsicher, ob dieser Film ohne Nostalgiebonus funktionieren könnte. Darüber hätte ich mir rückblickend keine Sorgen machen müssen aber interessanterweise ist Nostalgie ein ganz zentrales Thema des Films. Was wir in der Rückblende sehen ist sicherlich nicht die Realität sondern Gordies nostalgisch verklärtes Bild von Castle Rock. Das idyllische, sonnendurchflutete Kleinstädtchen inmitten saftig grüner Wälder scheint fast zu schön um wahr zu sein. Das vermischt Regisseur Rob Reiner hier allerdings gekonnt immer wieder mit realistischen, erdenden Momenten. Alle vier Jungen kommen aus mehr oder weniger zerrütteten Familien, soziale Unterschiede zwischen den Jungen werden entweder direkt angesprochen, wie in Chris‘ „Du bist einer von diesen Typen die aufs College gehen, wir drei nicht“ Ansprache an Gordie oder auch geschickt angedeutet, wie die prekäre finanzielle Situation von Verns Familie, die sich vor allem in seiner Besessenheit für Pennies äußert. All das soll aber nicht ablenken vom zentralen Element, das zum Gelingen des Films absolut wesentlich ist: der glaubwürdigen Darstellung einer Jungenfreundschaft.

Und ganz wesentlich dafür sind die Darsteller. Nun lobe ich Kinderdarsteller eher selten, hier ist es aber nötig. Wil Wheaton gibt Gordie die intelligente Empfindsamkeit, die nötig ist, um den Charakter als späteren Autor glaubhaft zu machen. Wie der Rest seiner Familie hadert er mit dem Tod seines großen Bruders Denny (John Cusack) während er gleichzeitig versuchen muss aus dessen Schatten zu treten. Was den Film hier außergewöhnlich macht ist auch die Geschichte die Gordie den anderen Jungen am Lagerfeuer erzählt. Ein schwächerer Film hätte ihm hier vermutlich etwas in den Mund gelegt, das weit über den Horizont eines Zwölfjährigen hinausgeht, um ihn als späteren, großen Autor zu präsentieren. Gordie aber erzählt eine Geschichte von einem Außenseiter, der eine ganze Stadt zum Kotzen bringt. Das ist klug von ihm, weil sich seine Freunde darin wiederfinden, aber gleichzeitig auch so zwölfjährig wie es nur geht. Bravo!

River Phoenix als Chris Chambers ist das Fundament und der Zement der Gruppe. Phoenix‘ natürliches Charisma und die Art wie er geschrieben ist, als jemand der perfekt erfühlen kann, wer gerade etwas Spott oder echten Zuspruch braucht machen ihn auch für den Zuschauer direkt zu einer zentralen Figur. Wir alle kennen so jemanden, das stetig schlagende Herz einer Gruppe. Tatsächlich erleben wir ihn aber auch von Anfang an als tragische Figur, erfahren wir doch in der ersten Minute des Films, dass er sterben wird.

Jerry O’Connell hier in seiner ersten Rolle als Vern ist zumeist die Zielscheibe des Spotts der anderen, vor allem Teddys. Im Gegensatz zu anderen 80er Jahre Filmen ist Reiner allerdings sehr darauf bedacht ihn hier nie zur Witzfigur des „Dicken“ verkommen zu lassen. Vor allem ist er es der die zentralen Ereignisse des Films erst auslöst.

Ich muss gestehen nie ein großer Fan von Corey Feldman gewesen zu sein. Etwas an seiner Darstellung von Kindern wirkte auf mich immer falsch und unglaubwürdig. Aber hier als Teddy Duchamp ist er perfekt besetzt. Er spielt die Rolle des körperlich misshandelten Sohnes eines psychisch kranken Veteranen des 2ten Weltkriegs mit einem stets unter der Oberfläche brodelnden, kaum zu unterdrückenden Zorn, der sich immer wieder einmal Bahn bricht und ihn beinahe suizidal erscheinen lässt. Hier ist es also nur allzu passend, wenn Feldman ein wenig neben der Spur wirkt.

Ich könnte das hier noch viel weiter führen, John Cusack und Kiefer Sutherland hätten sicherlich auch ein paar Worte dafür verdient in recht wenigen Szenen sehr runde Charaktere zu schaffen. Aber es ist wohl sinnvoller langsam zum Punkt zu kommen.

Mit „Coming of Age“ Film ist ‚Stand by Me‘ tatsächlich perfekt umschrieben. Das Auffinden der Leiche wird zu einer Art rituellen Handlung, die den Weg vom Kind zum Manne weist, die Abkehr von der Unschuld. Der Akt an sich ist natürlich mehr oder weniger unwichtig und es ist definitiv der Weg das Ziel. Und auf diesem Weg warten unerwartete Gefahren in der Form von Zügen und der Idee eines Wachhundes. Aber manchmal muss man auch einfach vom geraden Weg der Schienen abweichen und den Weg durch den Wald finden und – in einem Tümpel voller Blutegel – womöglich auch sich selbst.

Ein hervorragender Film, der sich problemlos in die, nicht allzu lange, Liste der großartigen King Verfilmungen einreihen kann. Da erzähle ich vermutlich Niemandem etwas Neues aber nun weiß ich es wenigstens auch.

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9 Gedanken zu “Klassiker nachgeholt: ‚Stand By Me‘ (1986)

  1. So, ich war im Urlaub, doch nun möchte ich doch noch meiner Freude Ausdruck verleihen, die ich empfinde, wenn ich lese wie gut dir der Film gefallen hat. Ist ja nicht immer selbstverständlich bei Klassikern der 80er Jahre, die man heute zum ersten Mal sieht. Toll! 🙂

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