Asterix ist vermutlich das letzte Comic-Massenphänomen, das in Deutschland noch übrig ist. Der Veröffentlichungstag ist eine große Sache, Tageszeitungen berichten drüber, Fernsehsender lassen ihre Literaturkritiker drüber schauen (weil sie natürlich keine Comickritiker haben) und Bahnhofsbuchhandlungen und Kioske decken sich mit wahren Stapeln ein. Selbst die triste Zeit, nachdem Szenarist Rene Goscinny verstorben war und Zeichner Albert Uderzo die Serie allein weiterführte und näher und näher an den Rand der Unlesbarkeit und weit darüber hinaus brachte, konnten der Beliebtheit großen Schaden zufügen. Das konnten nicht mal die Realverfilmungen, was wirklich erstaunlich ist aber kommen wir zur Sache.
‚Asterix in Italien‘ ist der dritte Band aus den Federn von Szenarist Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad. Damit ist die Schonzeit endgültig vorbei. Besser zu sein als Uderzo in seinen schlechtesten Momenten reicht nicht mehr aber auch die Erwartung so gut zu sein wie er und Goscinny in ihren besten ist fehlgeleitet. Das Album muss einfach für sich selbst stehen können. Ob es das könnte habe ich im Vorfeld diesmal tatsächlich angezweifelt. ‚Asterix in Italien‘? War er da nicht schon ein paar dutzend mal? Und ein Etappenrennen? Ich mag ‚Tour de France‘, das heißt aber nicht ich brauche es nochmal in Italien. Ich war mir nicht sicher, ob Ferri und Conrad hier einen eigenen Zugang finden könnten. Zur Geschichte:
Das Symbol des römischen Reiches, die wohlgepflasterte Römerstraße ist in Gefahr. Der verantwortliche Senator Bifidus hat jede Menge Geld veruntreut und die Straßen verfallen lassen. Um von dem Zustand abzulenken organsiert Bifidus ein Wagenrennen durch Italien, das allen Barbaren offenstehen soll. Und die kommen von Skandinavien im Norden bis zum Königreich Kuschim Süden, vom Westen aus Lusitanien bis soweit nach Osten, dass Gott Mars schon Marx heißt. Dabei sind auch ein Paar Südgermanen, die „in der Wagentechnik nicht ganz unbeleckt sind“. Zeitlich passend erfährt auch ein uns bekannter Hinkelsteinlieferant von einer Wahrsagerin, dass er Wagenlenker werden solle. Gesagt getan, unterstützt von Kumpel Asterix tritt Obelix zum Rennen an. Inzwischen informiert Cäsar Bifidus, dass selbstverständlich nur ein Römer das Rennen gewinnen dürfe. Und so steht der geheimnisvolle, maskierte Caligarius ebenfalls an der Startlinie. An der Startlinie eines Rennens, das klar machen wird, dass es in Italien weit mehr gibt als nur Römer.
Thema Ersteindruck: hey Egmont Ehapa, wo sind die ersten Seiten? Die Gallienkarte mit „Wir befinden uns im Jahr 50 v. Chr.“ etc. und die Kurzvorstellung der Protagonisten? Nicht dass ich die unbedingt brauche aber sie kommentarlos wegfallen zu lassen und durch eine Werbung am Ende zu ersetzen ist irgendwie schlechte Form.
„Die eigentliche Handlung bleibt erstaunlich höhepunktsfrei.“ Das habe ich vor zwei Jahren über ‚Der Papyrus des Cäsar‘ geschrieben und das gilt in genau gleichem Maße auch für ‚in Italien‘. Aber diesmal macht es deutlich weniger aus, denn die Handlung ist ein Rennen und da ist es nicht so schmerzhaft, wenn es nur dazu dient die Protagonisten von Szene zu Szene, von Gag zu Gag zu führen und letztlich von Stamm der Italiker zu Stamm der Italiker zu führen. Die Idee Obelix zum Lenker des Wagens zu machen war inspiriert. Denn wo Asterix der clevere, siegesorientierte Vernunftmensch ist, da ist Sidekick Obelix der naive, gemütliche Genussmensch. Und Obelix bremst. Er bremst für Idefix, bremst für Wildschweine, bremst um Römer zu vermöbeln, bremst um zwei Konkurrentinnen mit Panne zu helfen. Und belauscht er des Nachts ein konspiratives Treffen, dann zuckt er mit den Schultern und geht ins Bett „Ich dachte, sowas wäre im Sport ganz normal.“ Die Dringlichkeit des Rennens und Obelix‘ Behäbigkeit ergänzen sich ganz wunderbar. Eine weitere stete Quelle für gelungene Gags sind die unterschiedlichen Temperamente der Rennteilnehmer und der verschiedenen Italiker selbst, die letztlich nicht nur dem Humor, sondern, wieder einmal, auch der Völkerverständigung dienen. Dazu kommen jede Menge, häufig gelungene Tourismus-Anspielungen. Und das in den letzten beiden Bänden eher schwache Ende ist hier auch besser gelöst, kein Wunder, denn jedes Rennen hat ja nun mal ein streng definiertes Ende.
Mit einigen Dingen überrascht Ferri dann leider doch negativ. Ein wichtiger Aspekt der Handlung ist, dass der römische Wagen unfaire Vorteile hat. Die haben die Gallier dank ihres Zaubertranks aber auch, was aber nie angesprochen wird (man vergleiche mit dem Dopingkommentar in ‚bei den Olympischen Spielen‘). Das Ferri anscheinend gegen Ende die selbsterdachten Regeln seines Rennens vergisst hat mich gar nicht so sehr gestört, doch da war ein Moment, der mir sehr sauer aufgestoßen ist. Als die Gallier den Antagonisten konfrontieren schlägt Obelix im Hintergrund einen völlig unbeteiligten Sklaven (S. 36 P. 6). Warum? Das macht die Gallier dann doch kein bisschen besser als die Römer! Zugegeben ist das so beiläufig, dass es mir erst beim zweiten Lesen aufgefallen ist aber da hat es mich wirklich gestört.
An den Zeichnungen werden sich sicherlich die Geister scheiden. Mit jedem Album entfernt sich Conrad weiter vom Vorbild Uderzo. Festhalten kann man sicherlich, dass er ein weit weniger akribischer Zeichner ist. Ein Hintergrund darf auch einmal eine einfarbige Fläche sein, Nebencharaktere müssen nicht bis ins kleinste Detail dargestellt werden. Am meisten unter dieser Prämisse leidet das kleinste Mitglied des Stammpersonals. Idefix liegt Conrad so gar nicht. Wo Uderzo dem winzigen Vierbeiner in beinahe jedem Panel einen eigenen Gesichtsausdruck verpasst, scheint Conrad ihn am liebsten in Obelix‘ gestreifte Hosen verbannen zu wollen. Wett macht Conrad diesen Mangel an Genauigkeit mit einer sehr hohen Dynamik. Kaum einmal ein Panel, wo nicht irgendetwas in wilder Bewegung wäre. Selbst der sonst so statuenhafte Cäsar springt hier aus dem Stand über ein Balkongeländer. Gerade in einem Band, wo es um ein Rennen geht ist dieser Tausch Genauigkeit gegen Dynamik einer, den ich sehr gerne nehme aber jedem wird es mit Sicherheit nicht gefallen. Ein weiterer Punkt sind Karikaturen. Diesmal, scheint es mir, sind es besonders viele. Die Mona Lisa lächelt geheimnisvoll aus einem Fenster, Monica Belluci weist den Weg, Pavarotti führt ein Gasthaus, Sophia Loren trägt Spagetti auf und Bud Spencer ist Journalist. Das waren noch nicht alle, es ist fast ein bisschen viel und bei weitem nicht alle Auftritte machen so viel Sinn, wie Silvio Berlusconi, der ein Angebot macht, das man nicht ablehnen kann.
Was bleibt ist das wohl gelungenste Album des neuen Kreativteams. Es liest sich unterhaltsam weg, die Botschaft der Völkerverständigung ist eine gute, wenn auch keine spannende und das ein oder andere mal gelacht habe ich durchaus. Nein, das Niveau meiner Favoriten wie ‚Als Legionär‘ oder ‚Die Trabantenstadt‘ erreicht er zu keinem Moment. Kann es aber vielleicht auch gar nicht. Denn zum einen waren Goscinny und Uderzo kongeniale Genies und die gibt es nicht so häufig und zum anderen bin ich nicht mehr der Sechsjährige, der soeben von seiner Tante einen großen Stapel alter, zerlesener Alben bekommen hat und noch gar nicht weiß, welchen Schatz er da vor sich hat.