‚Prevenge‘ (2017) – ‚Baby knows what to do!‘

Sofern Ihr britische Serien oder Filme schaut, ist Euch mit Sicherheit schon einmal Alice Lowe über den Weg gelaufen. Üblicherweise in kleineren Nebenrollen, hatte sie ihre erste größere Rolle in der wunderbaren Miniserie ‚Garth Marenghis Dark Place‘. Bei Ben Wheatleys Film ‚Sightseers‘ spielte sie nicht nur die weibliche Hauptrolle, sie war auch mit für das Drehbuch um ein mörderisches Pärchen auf Campingtour verantwortlich. Mit ‚Prevenge‘ hat sie nun ihren ersten, komplett eigenen Film realisiert, bei dem sie für Buch, Regie und Hauptrolle verantwortlich zeichnet.

Ruth (Lowe) ist hoch schwanger. Vor kurzem hat sie ihren Lebensgefährten bei einem Kletterunfall verloren. Sie ringt mit ihrer Einsamkeit, Entfremdung und der Unfähigkeit nach vorne zu schauen. Da beginnt ihre ungeborene Tochter mit ihr zu sprechen und sie dazu zu bringen eine Reihe Menschen auf brutale Weise umzubringen.

Als sie den Film in nur zwei Wochen abdrehte war Lowe selbst im siebenten Monat schwanger. Sie war amüsiert und ein wenig verwundert über die „Industrie“ rund ums Kinderkriegen. Im Film wird das von Ruths Hebamme (Jo Hartley) dargestellt. Die redet über Ruths Baby grundsätzlich ohne Personalpronomen („Baby weiß am besten was es braucht!“ oder „Baby hat jetzt die Kontrolle“) und spielt Ruths präpartaler Psychose damit unwissend voll in die Hände. Das Bild der Schwangerschaft als Invasion oder gar Infektion ist sicherlich nicht neu im Film, ‚Rosemarys Baby‘ ist nur ein Klassiker mit der Thematik, aber Lowe findet hier einen ganz eigenen Zugang. Ruth ist sicherlich ein schrecklicher Mensch, allerdings befindet sie sich auch in einer schrecklichen Situation. Sie hasst die Tatsache, dass Baby sie zu immer extremeren Taten zwingt (oder ihre Psychose sie zumindest glauben macht, ihr Baby sei der Motivator), doch kann keiner der anderen Charaktere sie als etwas anderes sehen denn als Schwangere. „Ich habe Angst vor ihr“ sagt sie über das Baby, nur um informiert zu werden, dass so etwas für werdende Mütter ganz normal sei. Sie bezeichnet ihre Schwangerschaft als eine Art „feindlicher Übernahme“. Die Morde wirken anfangs wahllos, ein Reptilien-Laden-Besitzer hier, eine Geschäftsfrau dort, wer allerdings den Titel des Films aufmerksam studiert, wird womöglich einen Hinweis finden, dass es ein größeres, verbindendes Motiv gibt.

Lowe und Kameramann Ryan Eddlestone verwandeln die Örtlichkeiten, die man bei einem Low Budget Film erwarten würde, Pubs, Büros und Läden, vor allem aber die Straßen von Cardiff, in ein fremdartig, beinahe Science Fiction-artig anmutendes Lichtermeer, in dem wir uns als Zuschauer ähnlich isoliert und entfremdet fühlen, wie Ruth. Seinen optischen Höhepunkt erreicht der Film in der Halloween-Nacht, wenn Ruth mit ihrem Messer durch die Straßen streift und die Menschen endlich so aussehen, wie die Monster, für die sie sie schon die ganze Zeit gehalten hat. Spätestens hier weckt der Film für mich Erinnerungen an den großartigen ‚May‘. Eingebettet werden diese Bilder in einen Soundtrack des Duos „Toybox“, der sich zwischen treibenden Carpenter-Synthesizern und den verstörenden Elektro-Klangteppichen Mica Levis (‚Under the Skin‘, ‚Jackie‘) bewegt und das Gefühl der Fremdartigkeit noch unterstützt.

Die thematische Verwandtschaft zu ‚Sightseers‘, vermeintlich harmlose Leute als Serienmörder, dürfte offensichtlich sein und hier wie dort spielt Humor eine große Rolle. Allerdings verschiebt ‚Prevenge‘ den Humor noch einmal ein ganzes Stück in Richtung Finsternis und mag manchen Leuten hier wohl zu weit gehen. Wenn ein 70er Jahre Disco DJ (Tom Davis) in seine Perücke kotzt, gleich daraufhin Ruth küsst und schließlich von ihr entmannt wird, nur um von seiner Demenz-kranken Mutter gefunden zu werden, die aufgrund des blutigen Teppichs nur anmerkt, „da braucht es Bleichmittel“, dürfte das wohl nicht jedem gefallen. Seinen Weg direkt zu meinem Herzen hat sich der Film allerdings mit einer Sequenz in einer Unterführung verdient, wo sich eine von Krämpfen geschüttelte Ruth auf dem Boden wälzt und die sehr geschickt eine der verstörendsten Szenen der Filmgeschichte aus Andrzej Żuławskis ‚Possession‘ zitiert. Realismus sollte man sich von dem Film eher nicht erwarten. Einen Polizisten sucht man während der ganzen Zeit z.B. vergeblich. Das kann natürlich die Frage aufwerfen, ob nur die Stimme des Babys ausschließlich in Ruths Kopf existiert.

Lowe ist großartig in Ihrer Rolle als Ruth und weiß ihre eigene Schwangerschaft perfekt für die Rolle zu nutzen. in einer Szene lässt sie der Babybauch besonders verletzlich wirken, in der nächsten unterstützt die zusätzliche Leibesfülle ihre physische Bedrohlichkeit. Die meisten Nebencharaktere haben nur wenig Zeit einen Charakter aufzubauen, bevor sie endgültige Bekanntschaft mit Ruths Messer machen, die nutzen sie zumeist aber sehr gut. Der erwähnte Tom Davis als zutiefst widerlicher DJ und Jo Hartley als ahnungslose Hebamme sind meine Favoriten aber auch Mike Wozniak als sympathisches „Collateral Damage“, das Ruth zum ersten Mal an ihrem Handeln zweifeln lässt kann überzeugen.

Es sollte klar geworden sein, dass ich den Film sehr mochte, der Fairness halber möchte ich aber darauf hinweisen, dass er keineswegs perfekt ist. Teilweise merkt man ihm doch das Erstlingswerk an und manche Sequenzen wirken arg gestreckt, zu dick aufgetragen oder unterstreichen ein drittes Mal einen bereits gemachten Punkt. Das nimmt dem Film leider gerade im Mittelteil ein wenig den Wind aus den Segeln aber niemals genug um zumindest mich zu verlieren.

Leider scheint es so, als sei der Film derzeit in Deutschland noch nicht verfügbar. Die BluRay ist allerdings über das britische Amazon (zumindest derzeit) für günstige 6 Pfund erhältlich. Früher oder später wird er aber sicher auch hier im Stream oder auf Medien erscheinen und lohnen tut er sich so oder so.

5 Gedanken zu “‚Prevenge‘ (2017) – ‚Baby knows what to do!‘

    • Ich hatte ihn irgendwo erwähnt gehört oder gesehen und bin bei dem Namen Alice Lowe, wegen Sightseers hellhörig geworden. Dann hatte ich einen Blick auf die Reviews geworfen, die alle irgendwo zwischen gut und begeistert waren und habe ihn dann auf meine Wunschliste beim britischen Amazon gesetzt. Da war er letztens im Angebot als ich gerade irgendwas anderes bestellt habe.

      Keine aufregende Geschichte aber wahr. 😉

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