Ach, liebe Leser! Ich hatte für meinen allgemein beliebten [Citation Needed] Samstagsartikel heute etwas so Großartiges geschrieben, wie niemals zuvor. Ihr währt absolut begeistert gewesen. Aber leider, leider hat diesen Artikel der Hund gefressen. Und wurde dann seinerseits von einem weißen Hai verspeist. Und der wurde von Außerirdischen entführt. Und deren Raumschiff wurde von anderen Außerirdischen zerstört. Und nun treibt mein absolut großartiger Artikel, den ich niemals in der Form replizieren kann, irgendwo in der Nähe von Bertrand Russells Teekanne durch das kalte Nichts des Weltraums. Ich habe also gar nichts für heute, unangenehm! Aber wohl nicht ganz so unangenehm, wie das Drehbuch nicht fertigzuhaben, wenn der Dreh eines Films beginnt. Oftmals hört man einige Zeit nachdem ein besonders schwacher Film in die Kinos gekommen ist aus irgendeiner filmnahen Quelle, dass mit dem Drehen begonnen wurde, bevor das Skript fertig war. Dann nickt man wissend und denkt sich, dass es ja nur schief gehen konnte. Aber stimmt das auch wirklich?
Nun, die Nummer 3 scheint ein ordentlicher Fluch für das Fertigstellen von Filmskripten zu sein. Für ‚Alien 3‘ zum Beispiel existierte eine Reihe von Skripten, die allerdings alle wieder verworfen wurden (eines drehte sich um eine Gruppe Mönche auf einem Holzplaneten). Als Regisseur David Fincher an Bord geholt wurde war kein drehfertiges Skript vorhanden, allerdings mussten bereits Kulissen gebaut werden. Das Skript wurde dann um diese Kulissen herum geschrieben. Fincher würde den Film, frustriert von der Situation und genervt von der ständigen Kontrolle durch Fox, vor dessen Fertigstellung verlassen. Heraus kam… nicht eben der beste ‚Alien‘ Film.
Auch bei ‚Jurassic Park III‘ warf Produzent Steven Spielberg drei Wochen vor Drehbeginn das Buch um eine Gruppe auf der Isla Nublar gestrandeter Teenager in den Papierkorb. Regisseur Joe Johnston würde später sagen, dass es bis nach Drehschluss kein fertiges Buch gab! Über den fertigen Film kann ich mir kein Werturteil erlauben, denn ich erinnere mich nicht im geringsten an ihn. Die Kritiken jedenfalls waren nicht eben wohlwollend.
Eine weitere Nummer 3 ohne fertiges Buch war ‚Men in Black 3‘. Das Drehbuch stand nur zur Hälfte, als die Dreharbeiten begannen. Fünf Wochen später war es immer noch nicht fertig. Nach einer viermonatigen Drehpause war es dann endlich ausgearbeitet. Und alle bislang gedrehten Szenen wurden verworfen, weil sich das Buch grundlegend geändert hatte und mussten neu gedreht werden. Das Ergebnis ist… naja, ‚MIB 3‘ halt.
Eine 3 im Titel ist allerdings keine Voraussetzung für eine Skriptkatastrophe. Der Disco-Heuler ‚Xanadu‘ von 1980 mit ‚Grease‘ Star Olivia Newton-John und Tanzlegende Gene Kelly hatte kein fertiges Skript und ist ein gern gesehener Gast auf „die schlechtesten Filme aller Zeiten“ Listen. Und selbst ein Meister kann in die Falle des unfertigen Skripts tappen. Alfred Hitchcock zerstritt sich Tage bevor der Dreh von ‚Topas‘, einem seiner letzten Filme, beginnen sollte mit Drehbuchautor Leon Uris. Der schnell angeheuerte Samuel Taylor musste beinahe das gesamte Skript überarbeiten, um mehr schwarzen Humor einzufügen. Szenen wurden erst Stunden vor dem jeweiligen Drehbeginn fertig, ein Musterbeispiel für „mit der heißen Nadel gestrickt“. Heraus kam ein Film, der als einer von Hitchcocks schwächsten gilt. Auch der weitgehend ungeliebte Superheldenfilm ‚Batman V Superman: Dawn of Justice‘ hatte zu Drehbeginn kein fertiges Skript, wie Schauspieler Jeremy Irons später zu berichten wusste. Genau genommen war Chris Terrio, der Autor der letztendlichen Fassung des Skripts, zur Zeit des Drehbeginns noch nicht einmal engagiert. Der Film startete mit durchwachsener Reaktion von Kritik und Publikum und gilt als einer der Gründe, warum die Vorfreude auf ein DC-Universum deutlich abgekühlt ist.
Wir können also mit gutem Gewissen festhalten, dass ohne fertiges Skript wohl kaum ein Klassiker geschaffen werden kann… oder vielleicht doch? Das Drehbuch für ‚Casablanca‘ war bei Drehbeginn nur zur Hälfte fertig. Die Szenen mussten chronologisch gedreht werden, während das Buch noch entstand. Und der Film ist fraglos ein absoluter Klassiker. Ist das also die eine Ausnahme, die die Regel bestätigt? Nicht wirklich, denn da wäre noch David Leans ‚Lawrence von Arabien‘. Das ursprüngliche Skript von Michael Wilson beleuchtete für Lean zu sehr die politische Situation und zu wenig T.E. Lawrence selbst. Lean heuerte den Dramatiker Robert Bolt an, um das Buch zu überarbeiten, der wurde allerdings bis Drehbeginn nicht damit fertig und dann zu allem Überfluss auch noch bei einer Demonstration für nukleare Abrüstung verhaftet. Ein dritter Autor, Dramatiker Beverley Cross, musste ihn während seiner Abwesenheit vertreten. Dem fertigen Film, einem weiteren unumstrittenen Klassiker, merkt man von all diesem Chaos allerdings so gar nichts an, selten wirkte ein Film mehr wie aus einem Guss.
Wem das an Klassikern noch nicht reicht, dem sei noch ‚Der Weiße Hai‘ anempfohlen. Richard Dreyfuss sagte später, dass es zu Drehbeginn kein fertiges Drehbuch, keinen vollständigen Cast und keinen funktionierenden Hai gab. Und zumindest Letzteren hat es bekanntlich auch nie gegeben, mechanische Probleme mit dem Vieh gab es bis zum Schluss. Dazu kamen üble Schwierigkeiten beim Dreh auf See, die die Drehzeit auf 100 Tage ausdehnten. Immerhin Zeit genug für Carl Gottlieb sein Skript fertigzustellen. Wir sehen also, das Fehlen eines fertigen Skriptes ist zwar ungewöhnlich aber keinesfalls der qualitative Todesstoß für einen Film. Ein paar aktuellere Beispiele wären ‚Iron Man‘ oder ‚Edge of Tomorrow‘, die wohl nicht in die Kategorie „Klassiker“ fallen aber durchaus als gelungene Filme betrachtet werden dürfen, die ihren Dreh ohne fertiges Buch begonnen haben.
Und dann gibt es noch Filme, bei denen es durchaus geplant war, dass das Skript bei Drehbeginn unfertig ist. ‚Boyhood‘ zum Beispiel. Hier hat Richard Linklater über die 12jährige Produktionszeit stets nur das nächste Segment skripten können, um auf die jeweiligen Umstände vorbereitet zu sein. Reine Improvisation, wie sie mancherorts angenommen wird, wäre allerdings annähernd verrückt gewesen, da Nachdrehs unmöglich gewesen wären.
Mein liebstes Beispiel für ein absichtlich unfertiges Buch ist gleichzeitig einer meiner liebsten Filme: ‚Boulevard der Dämmerung‘ (1950) von Billy Wilder. Der Film ätzt mit durchaus bösartigem Spott gegen Hollywood und das Studiosystem. Wilder wusste, dass sein Skript niemals durch die interne Prüfungskommission von Paramount, dem produzierenden Studio, kommen würde. Also war zu Drehbeginn „leider“ nur ein Drittel des Buches fertig. Neu erstellte Teile wurden der Kommission nur in wenigen Seiten und nicht in sequentieller Reihenfolge vorgelegt. So mogelte Wilder seine erstaunlich fiese Farce an prüfenden Augen vorbei und konnte seine Vision, mit Ausnahme einiger weniger Dialogänderungen, umsetzen. Der fertige Film sorgte dann auch tatsächlich für ziemliche Verärgerung. Louis B. Mayer, der Leiter von MGM und fraglos der mächtigste Mann in Hollywood zu der Zeit soll nach einer Vorprämiere zu einem Kollegen gesagt haben man sollte Wilder „teeren und federn und aus der Stadt jagen!“ Wilder befand sich allerdings in Hörweite und antwortete ebenso schnell wie furchtlos (aus Rücksicht auf zarte Gemüter im Original wiedergegeben): „Go shit in your hat!“
Mayer würde ein Jahr später aus seiner Position bei MGM entlassen werden, ein Moment, der als das Ende der klassischen Studiozeit gilt, während Wilder noch bis 1981 Filme machen würde. Daran sieht man das Billy Wilder, ob in seinen Filmen oder außerhalb, ob mit Skript oder ohne vor allem eines perfekt beherrschte: Timing!
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