Zehn Jahre alt wird der berüchtigte Flop der Wachowski Geschwister diesen Sommer. Kann es einen besseren Moment geben, um den Blick zurückzuwenden und die Frage zu stellen, ob die Verfilmung eines 60er Jahre Manga von Tatsuo Yoshida (bzw. der etwas späteren Anime-Serie) wirklich derart misslungen ist, wie ihr Ruf vermuten lässt? Kurz: Ist der wirklich sooo schlecht?
Allerdings spiele ich heute nicht nach meinen eigenen Regeln und verrate meine Antwort im Voraus: um Himmels Willen, nein! ‚Speed Racer‘ ist in keiner Hinsicht ein schlechter Film. Er ist ein ungewöhnlicher Film. Für den Mainstream von 2008 ist er sogar ein zu ungewöhnlicher Film, der dazu noch das Pech hatte gegen den schlimmstmöglichen Rivalen antreten zu müssen. In einem Duell, das womöglich den Hollywood Popcorn Mainstream der letzten 10 Jahre entscheidend beeinflusst hat. Falls Euch das noch nicht neugierig genug auf den Artikel gemacht hat, lasst Euch sagen, dass Batman auch noch auftaucht! Verlieren wir also bloß keine Zeit!
Der Film spielt in einer Parallelwelt, in der Rennfahren alles bedeutet und schildert die Erlebnisse der Familie Racer. Vor allem natürlich die des zweitältesten Sohnes Speed (Emile Hirsch), der seinem, bei einem Rennen verstorbenen, Bruder Rex nacheifert. Der Rest der Familie sind Pops Racer (John Goodman), Mom Racer (Susan Sarandon), der junge Spritle Racer und sein Affe Chim Chim. Weitere wichtige Figuren sind Speeds Freundin (und spätere Teamkollegin) Trixie (Christina Ricci) und der schwerreiche E.P. Arnold Royalton Esq. (Roger Allam), der Team Speed kaufen möchte und mit einem „nein“ als Antwort nicht gut umgehen kann. Dessen mörderische Machenschaften untersucht Inspektor Detector (Benno Fürman) aber auch der geheimnisvolle Racer X (Matthew Fox). Die Handlung großartig darzulegen ist nicht nötig, nur so viel, es geht darum, ob Rennen zu fahren eine Herzensangelegenheit oder reine Manipulation der Aktienmärkte und Geldschneiderei sein sollte. Und alle Konflikte werden mit PS-starken Boliden auf Strecken, die den Fieberträumen von Videospieldesignern entsprungen scheinen, ausgetragen.
Ich denke allein die Charakternamen machen klar, mit welcher Art von Ausgangsmaterial man es hier zu tun hat. Obwohl ein Manga, ist es letztlich ein extrem überhöhtes Superheldensetting, in dem die zentrale Superkraft „gut Autofahren“ ist. Wie geht man an einen Film heran, dessen zentrale Charaktere die Rennfahrer-Familie Speed ist? Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder mit reichlich ironischer Distanz oder aber man nimmt die überhöhten Gefühle und die völlig aufs Rennfahren fixierte Welt komplett ernst und macht sie sich zu eigen. Die Wachowskis haben sich gegen die Ironie entschieden.
Und um das Überhöhte, das Überzeichnete ihrer Welt zu unterstützen, arbeiten sie mit extrem gesättigten Farben, Settings, die es so in der Realität nicht geben kann und die teilweise Elemente aus der echten Welt neu zusammenmixen. Auch der Schnitt der Szenen ist komplett formalistisch. Ein Gespräch z.B. folgt nie den üblichen Schuß/Gegenschuß-Regeln. Köpfe schweben durchs Bild, ob in einem Büro diskutiert wird oder sich Fahrer Dinge im Cockpit eines Rennwagens zurufen, die Dramatik ist stets dieselbe und stets am absoluten Anschlag. Szenen fließen ineinander, die lineare Erzählweise wird zwischendurch aufgegeben, wenn in einem Gespräch jemand Dinge schildert, die in der Zukunft geschehen werden oder Rex und Speed dieselbe Strecke zu unterschiedlichen Zeitpunkten aber doch gleichzeitig befahren. Ein Kind denkt sich in eine Animeserie hinein, oder schaut Euch einfach selbst diese Szene an, in der der junge Speed eine Klassenarbeit schreibt:
Im großen Finale, für mich bei vielen Comicverfilmungen die große Schwachstelle, weil immer dieselbe große Prügelei, verwandelt sich der Film dann vollends in ein kaleidoskopisches Meer aus Lichtern und Farben.
Und eben dieser extreme Formalismus ist dem Film zum Verhängnis geworden. Das Publikum von Comicfilmen bevorzugt aus irgendeinem Grund den Realismus. Und 2008 kam mit ‚The Dark Knight‘ denn auch der wohl bodenständigste Superheldenfilm überhaupt ins Kino. Und die Lehre ist klar: ‚TDK‘ wurde zum Klassiker, ‚Speed Racer‘ wurde vergessen. Comicfilme brauchen einen Anstrich von Realismus, Nolan machte aus dem leicht fantastischen Gotham seines ‚Batman Begins‘ schlicht Chicago und seine Erzählweise hatte weit mehr von ‚Heat‘ als ‚Batman‘. Das setzte sich über die Jahre fort, Comicfilme hatte gedeckte Farben, trotz ihrer Herkunft aus den bunten Heftchen und insbesondere DC hat größte Schwierigkeiten sich vom düster-ernsten Ton (der für Batman funktioniert aber keineswegs überall) zu entfernen. Als schämte man sich, trotz aller Erfolge, heimlich doch ein wenig für die Supermänner und Wunderfrauen. Für die Magier, Außerirdischen und Mutanten. Das war keine neue Erkenntnis von 2008, der einzige Superheldenfilm, der mit Formalismus punkten konnte war (ironischerweise) Tim Burtons ‚Batman‘. ‚Dick Tracy‘, z.B. oder Ang Lees ‚Hulk‘ und eben ‚Speed Racer‘ sind Beispiele für Formalismus der beim Publikum durchfiel.
Doch langsam kehren die gesättigten Farben in den Comicfilm zurück, annähernd zwei Jahrzehnte ungebrochener Erfolg eröffnen langsam den Weg für eine neue Experimentierfreude. Was könnte es also für einen besseren Moment geben ‚Speed Racer‘ wiederzuentdecken?
Ich habe gesagt die Wachwoskis nehmen ihre Thematik ernst und das ist auch so, dass soll allerdings keineswegs so verstanden werden, dass der Film keinen Humor hat. Wer z.B. schon immer einmal sehen wollte, wie John Goodman einen Ninja („… more like a Nonja“) auseinandernimmt ist hier genau richtig. Ich war mir anfangs völlig sicher, dass ich Speeds kleinen Bruder und seinen Affen unerträglich finden würde, allerdings setzt der Film sie so zurückhaltend und gezielt ein, dass selbst sie letztlich ziemlich gut funktionieren.
Die Schauspieler, sollte man meinen, hätten in diesem Effektfeuerwerk große Probleme überhaupt aufzufallen. Stimmt aber nicht. Goodman und Sarandon haben natürlich kein Problem damit Mom und Pops Racer eine größere Tiefe zu verleihen, als man sie bei diesen Charakteren je vermuten würde. Emile Hirsch und Christina Ricci haben sichtlich Spaß in ihren Rollen und haben genau die richtigen Gesichter für diese Art von Verfilmung. Christina Ricci ist vermutlich so nahe an einer Anime-Figur, wie das menschenmöglich ist. Am besten gefällt mir aber fraglos Roger Allam. Sei es seine giftige Süße, wenn er den Racers anfangs Honig ums Maul schmiert oder seine pompös donnernde Herablassung, wenn er sein wahres Gesicht zeigt, er ist ein erinnerungswürdiger Schurke. Die restlichen Nebencharaktere definieren sich hingegen vor allem über ihre Aussehen. Da ist das brutale Rennteam mit Wikingerthema, das betrügerische Rennteam mit Schlangensymbolik etc.
Die Effekte haben sich, vielleicht gerade weil ihr Ziel nie der Realismus war, zum größten Teil sehr gut gehalten. Sicherlich gibt es Momente, die heute nicht mehr gut aussehen und die ich nicht mit „es soll ja nicht echt aussehen“ übertünchen kann oder will. Aber das ist bei einem 10 Jahre alten Effektfilm wohl auch nicht anders zu erwarten. Insgesamt aber sind es Effekte, die so genutzt werden, wie sie sollten: um mir Dinge zu zeigen, die unmöglich sind und die ich so auch noch nirgendwo anders gesehen habe.
Wie gut der Film den Geist der Vorlage einfängt, fällt mir schwer zu sagen. Ich habe von der Anime-Serie nur hier und da mal eine Folge gesehen, aber die Familiendynamik und die Rennfixierung sind definitiv passend getroffen. Auch die wenigen Kampfszenen außerhalb von Autos erinnern mit ihrer statischen Dynamik (doofe Beschreibung, schaut unten den Clip) an kostengünstige TV-Animation und mit den überzogenen Comiceffekten an die 60er Jahre ‚Batman‘-Serie (das ist der dritte Batman der auftaucht, da soll nochmal jemand sagen ich hätt‘ zu viel versprochen!) und ja… der Affe wirft hier mit Fäkalien.
Lasst mich bei all meiner persönlichen Begeisterung eines klar machen: ‚Speed Racer‘ ist aufgrund seiner Machart ein Film, der niemals allen gefallen kann oder wird. Aber genau das macht die Wachowskis wohl aus. Und obwohl mir bei weitem nicht alle ihre Filme gefallen, hoffe ich, dass sie nie ihr Talent verlieren Studios Millionensummen für ihre abgefahrenen Ideen aus dem Kreuz zu leiern. Wenn Ihr aber so seid wie ich und Euch damals von schlechten Besprechungen habt beeinflussen lassen und den Film gar nicht erst gesehen, kann ich nur sagen: holt ihn bitte nach! Es besteht eine gute Chance, dass Ihr etwas verpasst habt. Cool Beans!
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Bitte nicht falsch verstehen. Aber dein Text liest sich so, dass ich den Film wohl auf keinen Fall schauen werde. Nicht mal für die Challenge. 😛 Hört sich so an als würde ich auch zu denen gehören, die den Film sooo schlecht finden 😉
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Wie gesagt, ich erwarte nicht, dass der Film jedem gefällt. Nach dem was ich über Deine Vorlieben weiß, würdest Du ihn vermutlich nicht leiden können, das stimmt.
Aber er ist soviel besser als sein Ruf und ich bin sicher viele Leute, denen er gefallen könnte haben ihn wegen seines schlechten Rufs nicht gesehen. Hoffentlich fühlt sich jemand von denen inspiriert…
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„Nach dem was ich über deine Vorlieben weiß…“ 😁
Das würde mich jetzt aber schon interessieren. 😎
Ich hatte vorher von dem Film noch nicht mal gehört. Dass aber Leute unpassenderweise von Filmen abgehalten werden, passiert leider fast genauso oft wie dass Leute unpassenderweise in Filme hineingezogen werden. Stichwort: Trailer
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Du magst keine (oder nur sehr ausgewählte) Comicfilme.
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Na gut. Punkt für dich. Ich glaube das lasse ich auch zu offensichtlich raushängen 🤔
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Viel Recherche brauchte die Aussage nicht. 😉
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Aber was einfach mal festgehalten werden muss. Nur weil viele etwas nicht mögen, heißt das noch lange nicht, dass es schlecht ist. 😊☝
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Jupp. Und umgekehrt genauso.
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„‚Speed Racer‘ ist aufgrund seiner Machart ein Film, der niemals allen gefallen kann oder wird.“
Ich habe in der Uni mal ein paar Kurse gegeben, in denen wir gelernt haben, wie man Radioreportagen mit historischen Inhalten produziert. Eine der Grundregeln, die uns einer der eingeladenen Journalisten vermittelte, war, dass man niemals versuchen sollte, für alle zu schreiben. Man solle sich einen konkreten Hörer vorstellen und das Manuskript für diesen schreiben. Das würde zwar dazu führen, dass die Reportage einem Teil der Hörerschaft nicht gefallen wird, dafür aber einem anderen Teil extrem gut. Wenn man versuchen würde, es allen recht zu machen, käme oft nur 08/15 raus.
Ich glaube, dass da viel dran ist und dass das natürlich ebenso für Bücher, Filme etc. gitl.
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Ja, das ist ja eines der größten „Probleme“ des Blockbuster-Kinos. Ein Buch kann ich für eine sehr eingeschränkte Zielgruppe (oder gar ohne Zielgruppe im Kopf) schreiben und dennoch Erfolg haben. Wenn ich aber eine Viertelmilliarde anderer Leute Geld für mein Projekt ausgegeben habe, dann stehe ich plötzlich unter allerlei Zwängen. Dann muss es nicht nur in den USA und China, sondern weltweit „funktionieren“.
Deswegen wundert mich ja die Fähigkeit der Wachowskis Geld aufzutreiben. Ich nehme an sie schieben den Produzenten einen Zettel, auf dem „Matrix“ steht über den Tisch. Und die schieben entweder Geldstapel oder einen anderen Zettel auf dem „Reloaded/Revolutions“ steht zurück. 😉
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Ist n paar Jährchen her, dass ich den gesehen habe. Ist mir aber auch positiv in Erinnerung geblieben.
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