Erst einmal wünsche ich natürlich pfrohe Fingsten! Können wir nun einen Moment über Nicolas Winding Refn sprechen? Ich mag einen Großteil seiner Filmografie. ‚Pusher‘ war ein gelungener Crimethriller im Drogenmilieu, den ich damals aber vor allem wegen Kim Bodnia geschaut habe. ‚Bronson‘ sein (höchstens) vierteldokumentarischer Film über den „gefährlichsten Häftling des Vereinigten Königreichs“ mit dem „Künstlernamen“ Charles Bronson ist vielleicht sein bester. Zumindest derjenige, der am ehesten seinen Stärken entspricht. Und dann kam sein Hollywood-Durchbruch und Weltruhm in Form von ‚Drive‘. Der Neo Noir Thriller um einen namenlosen Stunt-/Fluchtwagenfahrer war cool, hypnotisch, schaltete Ryan Goslings Karriere in den Hyperdrive und dürfte den größten Verkaufsschub von Satinjacken mit Skorpionen drauf aller Zeiten ausgelöst haben.
Und was dann? Noch ein Film mit Gosling! Würde der Blitz zweimal einschlagen? Refns nächster Film war ‚Only god Forgives‘ eine überlange Meditation auf Maskulinität und ihre Gefahren. So könnte man ehrlich gesagt fast alle von Refns Filmen beschreiben, allerdings standen hier die gletscherhafte Trägheit der Erzählung und Refns unbestreitbare Selbstverliebtheit und zahllose abgeschlagene Hände, die männliche Geschlechtsorgane symbolisieren im Weg. Wie selbstverliebt ist er? Genug um ‚Only God Forgives‘ selbst zu einem „Meisterwerk“ zu erklären. In einem Interview mit Regielegende William Friedkin hat der wenig Geduld mit dieser Art der Selbstein- oder -überschätzung:
Aber Friedkins ironischer Blick direkt in die Kamera lässt mich mehr an eine ‚Stromberg‘-Folge denken, denn an ein echtes Interview. Ist das alles eine womöglich gewollte Selbstparodie? Ist das Refns Art seine Lust nach negativer Aufmerksamkeit auszuleben, wie Landsmann Lars von Trier, der als sein Film ‚Melancholia‘ in Cannes ausnahmsweise keine Kontroverse auslöste mal eben Sympathie für Hitler bekundete und dann eimerweise der geliebten, negativen Aufmerksamkeit bekam? Ist in Dänemark irgendwas im Pølser, das das dafür sorgt, dass einem zu viel Lob Angst macht? Vermutlich nicht, aber behalten wir es im Hinterkopf, wenn wir uns dem zuwenden, wofür Ihr eigentlich hier seid: ‚The Neon Demon‘.
Und es ist nicht schwer an Selbstverliebtheit zu denken, denn kaum legt man die Blu-Ray ein poppt eine „Einleitung“ von Refn auf, die aus nichts anderem besteht, als dass er verkündet man habe nun Gelegenheit seinen neuesten Film zu „genießen“. Im Vorspann sind seine Initialen NWR durchgehend zu sehen, bevor sein Name bildschirmfüllend, fast größer als der Filmtitel eingeblendet wird.
Die Handlung ist schnell erzählt: die 16jährige Jesse (Elle Fanning) kommt nach L.A. um Model zu werden. Aufgrund ihrer Jugend und ätherischen Schönheit feiert sie bald Erfolge. Das weckt den Neid der älteren Modelkolleginnen Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) und weckt ganz andere Interessen bei Visagistin Ruby (Jena Malone) und Hank (Keanu Reeves), dem widerwärtigen Betreiber des Motels, in dem Jesse wohnt.
Da ist natürlich noch mehr an der Geschichte aber nicht viel. Refn, der das Drehbuch mit den Dramatikerinnen Mary Laws und Polly Stenham geschrieben hat, setzt nicht auf Komplexität. Die Modelbranche sieht sich selbst in hochtrabender Selbstverliebtheit, während eigentlich nur rücksichtslose alte Männer junge Frauen zu brutaler Konkurrenz anstacheln. Das ist seine sicherlich simplistische, aber auch nicht ganz falsche These. Refn verzichtet jedoch nicht nur auf eine komplexe Geschichte, er verzichtet quasi vollständig auf etwas anderes, was normalerweise grundlegend für eine Geschichte ist: Charaktere. Fannings Jesse bewegt sich schlafwandlerisch, fast wie sediert durch die Szenen, anfangs freundlich, später weniger. Die einzige die halbwegs so etwas wie Komplexität erhält ist Malones Ruby, die dadurch zu einem nicht eben sympathischen aber zumindest zum interessantesten Charakter wird. Alle anderen sind mehr oder weniger Märchen-Archetypen. Die Modelkonkurrentinnen sind die bösen Stiefschwestern, außen hübsch, innen hässlich. Christina Hendricks als Agenturchefin ist die böse Königin, Keanu Reeves der große, böse Wolf (der zumindest erkennbaren Spaß daran hat den Widerling zu spielen), etc..
Refn erzählt seine Geschichte, die mehr oder weniger äquivalent zu diesen billigen Erotikthrillern ist, die in den 90ern spät nachts auf den Privaten kamen (habe ich gehört), vor allem über Symbolismus. So schauen die Models ständig in den Spiegel (natürlich wird einer in Splitter geschlagen) und als die Rivalitäten ausbrechen, werden Wildkatzen zu einem ständigen Bild. Am Anfang als die naive Jesse gerade in L.A. angekommen ist, sieht sie in einem Club eine Show, bei der ein Model in einem Kokon aus Seilen, wie in einem Spinnennetz, von der Decke hängt, während Gigi und Sarah hinter ihrem Rücken feixen. Ich habe nie gesagt es wäre cleverer oder gar subtiler Symbolismus. Dialoge, gerade die zwischen Jesse und ihrem Freund, hingegen werden schnell zur Qual. Nicht zuletzt weil beide derart ruhiggestellt wirken, dass die Szenen die… Hektik… einer… Unter… wasser… zeitlupen… aufnahme… erreichen.
Überhaupt ist eher visueller Maximalismus angesagt. Die optische Seite ist die auf der der Film am ehesten punkten kann. Allerdings fühlt sich das für mich alles wie aus zweiter Hand an. Manche Szenen zeigen die extreme Beleuchtung eines Dario Argento (‚Suspiria‘), Refns L.A. hat dieselbe abstrahierte, verstörende Qualität wie bei David Lynch (‚Mulholland Drive‘) oder Cronenberg (‚Maps to the Stars‘) und das Gemisch aus Sexualität und Gewalt erinnert frappierend an frühe Brian DePalma Werke, wie ‚Ms. 45′. Das ist also alles auf durchweg hohem Niveau, begeht nur den Kardinalsfehler mich andauernd an Filme zu erinnern, die ich lieber schauen würde.
Ähnliches gilt für Cliff Martinez‘ elektronischen Soundtrack, der irgendwo zwischen Giorgio Moroder, Tangerine Dream und Kraftwerk zu verorten ist. Gelegentlich scheint er aber Sorge zu haben mit den Bildern nicht mithalten zu können und schaltet auf eine aufdringliche, beinahe schon nervige Vordergründigkeit.
Es scheint klar, dass Refn mit alldem irgendwo hinwill. Und wenn er dann nach einer guten Stunde endlich den Gang auf wüstes Grand Guignol hochschaltet, sieht es für einen Moment so aus als würde er sich auf – zwar äußerst widerliches – aber dennoch zumindest überraschendes Terrain zubewegen. Doch dann lenkt er eilig um und wir finden uns auf Standard Horror Pfaden wieder. Eine weitere, nicht unbedingt positive Überraschung erwartete mich, als ich dachte der Film wäre vorbei. Er hatte noch fast 20 Minuten auf der Uhr, für einen weitgehend belanglosen Epilog, der aber immerhin den für mich größten Lacher in diesem sich selbst geradezu wahnwitzig ernst nehmenden Film enthielt.
Wer eine ganz ähnliche, aber besser erzählte Geschichte, allerdings im Hollywood Business, sehen möchte, dem kann ich nur ‚Starry Eyes‘ von 2014 empfehlen. Der folgt sogar einer ähnlichen Progression, doch wenn der zu seinem brutalen Ende kommt, fühlt sich das, im Gegensatz zu hier, aufgrund der bodenständigeren Inszenierung und den vorhandenen Charakteren wie ein echter Hieb in die Magengegend an. Der Film und seine großartige aber unbekannte Hauptdarstellerin Alex Essoe haben definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. Demnächst mehr dazu an dieser Stelle.
Für ‚The Neon Demon‘ bleibe ich jedenfalls ein wenig perplex mit der Frage zurück, wie es gelingen kann einen Film voll fähiger Darsteller, schöner Menschen, Intrigen, okkulter Rituale, Kannibalismus und Nekrophilie derart langweilig zu machen. Denn ganz egal ob gewollte oder ungewollte Selbstparodie, wenigstens unterhaltsam sollte sie doch sein.
Zusammen mit ‚The Dressmaker‘ letzte Woche, waren das dann wohl die Modewochen bei der Filmlichtung… kommt für Filmbesprechungen, bleibt für ungeplante Pseudoaktionen! Nur hier!
Film ist ein visuelles Medium, aber ganz ohne Charaktere und halbwegs sinnvoller Story geht es dann auch nicht wirklich.
Am Anfang beeindruckte mich die Bildgewalt noch irgendwie. Spätestens in der Mitte ging’s mir dann ähnlich wie dir und ich fand es einfach nur mehr langweilig.
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Ja, ich bin normalerweise niemand, der sich über „style over substance“ aufregt, denn im Film kann der Stil durchaus selbst Substanz sein, aber hier hatte ich halt irgendwann das Gefühl mir wird Rauch in die Augen gepustet, um zu verbergen, dass da wirklich nix ist,
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