Caligula und Alan Smithee: wenn Regisseure ihre Werke nicht mehr mögen

In den letzten Wochen haben wir gesehen, dass manche Filme nie gemacht werden. Wir haben uns mit Filmen beschäftigt, die zwar fertiggestellt wurden aber aus dem einen oder anderen Grund niemals eine Veröffentlichung bekommen haben. Heute wollen wir und einen anderen Fall anschauen: Filme, die fertiggestellt und veröffentlicht wurden, doch auf eine Art und Weise, die den Ideen der kreativ Verantwortlichen nicht entsprach. Das Hauptaugenmerk soll dabei auf einem Film liegen, von dem sich beinahe jeder Beteiligte abgewendet hat und der von seiner einsamen Verteidigerin als ein „unwiderstehlicher Mix aus Kunst und Genitalien“ bezeichnet wird. Doch bevor wir uns frohen Mutes tief unter die Gürtellinie begeben, müssen wir, auch um dem Thema insgesamt gerecht zu werden, einen Blick auf die wechselhafte Karriere eines gewissen Alan Smithee werfen.

Vor 1968 verbot die Directors Guild of America (DGA), die gewerkschaftliche Vereinigung US amerikanischer Filmregisseure die Verwendung von Pseudonymen. Aus ihrer Sicht ist der Regisseur die wichtigste kreative Kraft hinter dem Film (der „Auteur“) und sollte niemals von seinem Werk getrennt werden. Auch fürchtete die DGA ruhmsüchtige Produzenten im strikten Hollywood Studiosystem könnten Regisseure zur Verwendung von Pseudonymen zwingen, um sich die Ehre für den Film allein an den Hut zu stecken. Nun überwarf sich bei den Dreharbeiten zum Western ‚Frank Patch – Deine Stunden sind gezählt‘ im Jahr 1968 Regisseur Robert Totten mit Hauptdarsteller Richard Widmark. Widmark hatte als Star weit größeren Einfluss beim Studio und sorgte dafür, dass Totten entlassen wurde. Don Siegel wurde angeheuert die Dreharbeiten zu beenden. Siegel wollte aber nicht die Urheberschaft beanspruchen, hatte er sich doch, für seine etwa Hälfte des fertigen Films, einerseits an Tottens Stil orientiert, andererseits hatte letztlich Widmark alle Entscheidungen nach seinem Gusto gefällt. Totten wollte, wenig überraschend, mit dem Film gar nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Beide Regisseure trugen das Problem der DGA vor, die ihnen zustimmte, der Film repräsentiere weder die kreative Vision des einen, noch des anderen.

Ein Pseudonym wurde für diesen speziellen Fall genehmigt. Man wollte zunächst den Allerweltsnamen Al Smith verwenden, doch war der so Allerwelts, dass es bereits mehrere Aktive diesen Namens im Filmgewerbe gab. So wurde der Name zu Allen Smithee aufpoliert. Dieser „unbekannte, neue Regisseur“  bekam sogar einiges an Lob. Kritiker Roger Ebert z.B. schrieb in seiner Besprechung: „Director Allen Smithee, a name I’m not familiar with, allows his story to unfold naturally. He never preaches, and he never lingers on the obvious.“[1] Beinahe zeitgleich wand sich auch Regisseur Jud Taylor an die DGA, der mit seiner Behandlung durch Paramount bei seinem Film ‚Fade In‘ unzufrieden war. Um ihrem Mitglied beizustehen, erlaubte die DGA auch hier die Verwendung des Pseudonyms. Damit wurde „Alan Smithee“ (manchmal für den Vornamen auch Allen oder den Nachnamen Smythee oder andere Variationen) endgültig zum „offiziellen“ Pseudonym für Hollywood-Regisseure, die sich von ihrem Film lossagen wollten.

Das Studio schneidet Dennis Hoppers Film ‚Catchfire‘ von 1990 von drei Stunden auf knapp 100 Minuten? Alan Smithee taucht als Name des Regisseurs auf! Jemand wird engagiert eine Fortsetzung zu drehen die niemand braucht? Sei es ‚Die Vögel II‘ (1994) oder ‚Hellraiser IV‘ (1996), Alan Smithee übernimmt die Verantwortung! Für die Kinofassung von ‚Dune‘ war David Lynch vertraglich gezwungen mit seinem Namen einzustehen. Doch bei jeder Version, die sich von dieser unterscheidet steht als Regisseur Alan Smithee (und als Autor Judas Booth, Lynch hasst den Film wirklich…). Auch für die geschnittene Fernsehversion von ‚Heat‘ wollte Michael Mann nicht mit seinem Namen einstehen, noch Martin Brest für die zusammengeschnittene Version von ‚Meet Joe Black‘ des Bordprogramms einer Fluglinie, folglich stand Alan Smithee für die Jobs ein.

Trotz solch nicht eben unauffälliger Verwendung blieb das Pseudonym in der Prä-Internet Ära bis in die Mitte der 90er weitgehend nützlich. Allerdings war es dann der Öffentlichkeit so weit bekannt, dass ein Film darum gedreht wurde. In ‚Fahr zur Hölle Hollywood‘ spielte Eric Idle 1998 einen Filmregisseur der tatsächlich Alan Smithee hieß und der mit der endgültigen Version seines Films unglücklich ist. Wir können alle den (laut Besprechungen schlecht genutzten) Ansatz für Humor erkennen. Der Film wurde ein sagenhafter Flop, der weltweit gut 50.000 Dollar einnahm, bei einem Budget von 10 Millionen! Durch schadenfreudige Berichterstattung wurden der Name Alan Smithee und seine Funktion noch bekannter, so dass die DGA die Verwendung im Jahr 2000 offiziell einstellte und seitdem „Thomas Lee“ als Pseudonym empfiehlt. Doch Alan Smithee ist nicht totzukriegen. Wo immer jemand unzufrieden mit dem Umgang mit seinem Werk war taucht er bis heute noch auf. Und nicht nur im Film, auch im Fernsehen, in Comics oder Videospielen. Und es sieht sogar so aus als habe Alan ein spätes Glück gefunden: 2011 zeichnete er gemeinsam mit „Alana Smithee“ für das Drehbuch des Films ‚Hidden 3D‘ verantwortlich. Schön für ihn.

Kommen wir von einen Pseudonym zu einem Spitznamen. Caligula war ein solcher, den der Mann namens Gaius Julius Cäsar während seiner Kindheit in Soldatenlagern bekommen hat. Es ist eine verniedlichende Form des römischen Soldatenschuhwerks, kann also mit Stiefelchen übersetzt werden. Da die Verwendung seines richtigen Namens Verwechslungen mit dem anderen, berühmteren Gaius Julius Cäsar, dem Feind von Asterix, hervorrufen würde, ist die Geschichtsschreibung bei seinem Spitznamen geblieben. Stiefelchen übernahm im Jahr 37 die Kaiserwürde als Nachfolger des unbeliebten, paranoiden Tiberius. Für eine Zeit sah es so aus, als könne er die Hoffnungen der Römer auf einen guten Herrscher erfüllen, doch dann veränderte er sich. Er wurde einerseits ausschweifend mit Orgien, Affären und selbst für Römer zu viel Wein, andererseits erschreckend brutal. Er zwang Senatoren zum Selbstmord, oder erließ bizarre Folterungen bis zum Tod, die auch gern zu öffentlichen Spektakeln werden konnten. Kurz er wurde zum Sinnbild des wahnsinnigen Gewaltherrschers. Und nach 4 Jahren von seiner prätorianischen Leibwache ermordet.

Knapp 1940 Jahre später, Mitte der 70er des 20. Jahrhunderts wollte Bob Guccione einen Film produzieren, der Caligula zum Thema hätte. Gucciones erfolgreichste Schöpfung, das „Herrenmagazin“ „Penthouse“, hatte in den letzten Jahren mit großem Erfolg, sowohl finanziell als auch kritisch, in Filme investiert (darunter z.B. ‚Chinatown‘). Nun schien der nächste logische Schritt eine eigene Produktion. Der wichtigste Film seit ‚Citizen Kane‘ sollte es laut Guccione direkt mal werden und sexy noch dazu. Nach einiger Suche zahlte Guccione Gore Vidal 200.000 Dollar, um ein Drehbuch zu verfassen, dass die Verderbtheit und Anrüchigkeit der römischen Kaiserzeit einfangen sollte. Zu Gucciones Schock enthielt das Buch jede Menge homosexueller Sexszenen und nur eine heterosexuelle – zwischen Caligula und seiner Schwester. Besorgt, dass das in den 70ern Kassengift wäre, bat er Vidal das Buch umzuschreiben. Der weigerte sich. Und da Guccione mit dem Namen des Schriftstellers für den Film werben wollte (‚Gore Vidal’s Caligula‘) drängte er vorerst nicht weiter. Da Guccione in Italien drehen wollte wurde er für die Regie schnell auf Tinto Brass aufmerksam, der soeben mit ‚Salon Kitty‘, einem Film über ein Berliner Bordell in der Nazi-Zeit, bewiesen hatte, dass er Historisches mit Erotischem verbinden konnte. Guccione und Brass waren sich einig, dass umfassende Änderungen am Drehbuch nötig wären, allerdings lehnte Brass Gucciones Vorschlag nicht gestellte Sexszenen zu verwenden rundheraus ab.

Als Tiberius wurde Peter O’Toole gecastet, für Caligula Malcolm McDowell. John Gielgud gab den Nerva und als Caligulas Ehefrau Caesonia wurde Helen Mirren besetzt. Ein durchaus respektabler Cast. Bei den Dreharbeiten zerstritten sich der anwesende Vidal und Brass aber sofort. Vidal wollte Änderungen am Buch nicht akzeptieren, Brass verwies ihn vom Set. Vidal klagte zunächst, ließ dann seinen Namen vollständig vom Film entfernen. Brass ätzte in der Presse, wenn er jemals ernsthaft sauer auf Vidal sei, würde er dessen Originaldrehbuch veröffentlichen. Während des Drehs brachte Guccione mehrfach „Pentouse Pets“ für Orgienszenen vorbei, die Brass aber immer in den Hintergrund verbannte. Brass wollte keinen erotischen Film, er wollte einen anti-erotischen. Das war überhaupt sein Ansatz für den Film. Er wollte ein anti-Epos drehen, bei dem aller Bombast hohl klingen sollte und überbordende Gewalt das Zentrum bildet, mit einem anti-Helden, dessen absolute Macht ihn absolut korrumpierte. Und alle Sexszenen sollten das Gegenteil von erotisch sein (wie, genau genommen, bereits in ‚Salon Kitty‘). Sei es, dass die Teilnehmer nicht konventionell attraktiv waren, dass die Szenen neben die bizarrer Gewalt gestellt wurden oder moralisch schwer erträglich wären. Die meisten Darsteller mochten den herrischen Brass zwar nicht sonderlich und verbrachten einen Großteil der Zeit zumindest halbnackt, doch die Dreharbeiten gingen ohne besondere Zwischenfälle über die Bühne.

Doch gingen im Studio nachdem Brass sich in den Schneideraum zurückgezogen hatte nicht die Lichter aus. Bob Guccione drehte mit einer minimalen Crew und einigen „Penthouse Pets“ einige ungestellte Sexszenen. Die würde er, ohne Brass‘ Wissen, in den fertigen Film einfügen. An Brass‘ Schnitt nahm er ohnehin noch einige weitere Änderungen vor. Als das herauskam, sagte sich ein zutiefst empörter Brass umgehend vom Film los. Da es keine Hollywood Produktion war, kam aber nicht der gute Herr Smithee ins Spiel, sondern sein Titel wurde einfach zu „Aufnahmeleiter“ geändert. Nun hatte der Film also weder einen Autor noch einen Regisseur.

Auch die meisten Darsteller, die nun plötzlich in einem pornografischen Film aufgetreten waren, reagierten geschockt und verärgert. Peter O’Toole sagte er wäre die gesamten Dreharbeiten über betrunken gewesen und könne keine Verantwortung übernehmen (durchaus glaubhaft, wenn man seine Darstellung gesehen hat) . McDowell machte aus seiner Reue über den Film keinen Hehl, machte Andeutungen über eigene Drogensucht und bat Helen Mirren, die er zu dem Projekt gebracht hatte eindringlich um Verzeihung. Doch Mirren war tatsächlich die Einzige, die nie etwas Negatives über den Film gesagt hat (John Gielgud hat schlicht nie etwas gesagt). Sie schien die ganze Situation mit einer gewissen Amüsiertheit zu betrachten und blickt bis heute durchaus zufrieden auf ihre Leistung in dem Film zurück. Was Bob Guccione vom letztendlichen Film gehalten hat weiß ich nicht. Er hat jedenfalls nie mehr einen produziert. Ob weil er nicht wollte, oder weil niemand mit ihm arbeiten Wollte weiß ich nicht, habe aber Ideen.

Die Kritik hasste den Film als er 1979 herauskam und daran hat sich wenig geändert. Trash, Schund, widerlich, abartig, Müll wurde er, vermutlich nicht ganz zu Unrecht genannt. Es wurde einer der wenigen Filme, die Roger Ebert vorzeitig verließ. Und doch kann man teilweise Brass‘ interessante Ideen entdecken, kann McDowell dabei zusehen, wie er Caligulas Sadismus ein ganz eigenes Flair verleiht. Ich würde sagen, bei allen fraglosen geschmacklichen Fehltritten ist der Film zumindest einen Blick wert, umso mehr, wenn man sich seiner Geschichte bewusst ist. Und tatsächlich wird der Film langsam wiederentdeckt. Leonardo Di Caprio z.B. gab an sich für seinen ‚Wolf of Wallstreet‘ an McDowells Darstellung des Caligula orientiert zu haben. Falls Ihr jetzt neugierig auf den Film geworden sein solltet, würde ich Euch raten etwas zu warten. Der deutsche Regisseur Alexander Tuschinski arbeitet derzeit im Auftrag von „Penthouse“ daran den Film auf Brass‘ ursprüngliche Vision umzuschneiden, soweit das noch möglich ist. Brass ist daran allerdings wohl nicht beteiligt.

Das dürfte wohl das Beispiel eines Films sein, mit dem die meisten Beteiligten nichts mehr zu tun haben wollen. Was sind Eure Lieblingsbeispiele von Filmen, die ihre Regisseure (oder andere Beteiligte) hinterher nicht mehr mochten? In Zeiten sozialer Medien können sie es ja viel direkter kommunizieren.

 

[1] https://www.rogerebert.com/reviews/death-of-a-gunfighter-1969

12 Gedanken zu “Caligula und Alan Smithee: wenn Regisseure ihre Werke nicht mehr mögen

  1. Da würden mir spontan zwei Filme einfallen.
    1. Der grandiose Super Mario Film, den du ja auch schon mal vorgestellt hast.

    2. Ein Film unseres gemeinsamen Freundes mit dem Titel „Hörgules in Nu Joag“, der meines Wissens in Österreich gar nicht mehr gezeigt werden darf. 😉

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    • Oh stimmt Mario ist ein gutes Beispiel. Zum Glück war zumindest Bob Guccione nicht beteiligt…. [Klempner und Rohrverlegen-Witz hier einfügen]

      Mag der Oahnie den ned? Ich habe ihn da noch nie drüber sprechen hören. Er könnte doch eigentlich stolz sein, wie viel besser seine englische Aussprache geworden ist, weil da versteht man ihn ja nun wirklich nicht.

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  2. Sich von einem Film distanzieren, das kann ja jeder. Aber Billy Wilder hat sich von einem Film scheiden lassen! So hat er das jedenfalls ausgedrückt, im sechsteiligen TV-Interview BILLY WILDER, WIE HABEN SIE’S GEMACHT? von 1992. Es geht um THE EMPEROR WALTZ (KAISERWALZER) von 1948. Ein jodelnder Bing Crosby in Lederhosen und Tirolerhut, das war dann doch zu peinlich.

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  3. Pingback: Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (28-05-18)

    • Das würde mich nicht wundern. Kaye findet den fertigen Film furchtbar (Edward Norton hatte die Kontrolle über den Final Cut) und hätte gern Alan Smithee verwendet, aber die DGA hat es abgelehnt. Ebenso seinen Vorschlag Humpty Dumpty als Pseudonym zu verwenden. 😉

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  4. Pingback: Alan Smithees falsche Freunde: Hollywood und Pseudonyme | filmlichtung

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