Das Kino hat sich der Realität in kleinen Schritten angenähert. Zu den bewegten Bildern kam ab etwa 1930 der Ton dazu. Ab den 50er Jahren dann immer mehr durchgängig die vorher nur vereinzelt vorhandene Farbe. Für die meisten Macher und Zuschauer war und ist das auch ausreichend. 3D ist noch sinnig genug und erweitert die Immersion ausreichend, dass es immer mal wiederkehrt, aber auch wieder verschwindet (die Zukunft des derzeitigen 3D dürfte von Camerons ‚Avatar‘ Fortsetzungen abhängen). Reine Gimmicks wie herumrüttelnde Sitzen etwa bleiben aber zum größten Teil genau das: Gimmicks. Doch der Wunsch neben Augen und Ohren noch ein weiteres Sinnesorgan anzusprechen, die Nase nämlich, ist nicht viel jünger als das Kino selbst. Der perfekte Weg ist nachwievor nicht gefunden, doch das hält findige Entwickler nicht von weiteren Versuchen ab.
1906, lange vor dem Tonfilm, hängte Kinobesitzer Samuel Roxy Rothafel aus Forrest City in Pensylvania in Rosenessenz getränkte Baumwolltücher vor einen Ventilator über der Leinwand seines Familienkinos. Zu welchen Anlässen genau dies passierte, ist umstritten. Publikumsreaktionen sind nicht überliefert, doch da sich die Essenz sehr schnell verflüchtigte, war es für Rothafel die Kosten und Mühen alsbald nicht mehr wert.
Seit den späten 20er Jahren gab es vereinzelte weitere, „professionellere“ Versuche vor allem für besondere Anlässe. Als 1929 ein früher Tonfilm, das Musical ‚The Broadway Melody‘ Premiere feierte, wurde in einem New Yorker Kino eine Deckeninstallation angebracht, die synthetisches Orangenblütenparfüm versprühte. In einem Bostoner Kino ging man im selben Jahr für den Film ‚Lilac Times‘ handfester vor und kippte schlicht eine Flasche Fliederparfüm in die Belüftungsanlage. Solche und ähnliche Versuche hatten alle dieselben Probleme: die Gerüche mögen zum Thema des Films passen, nicht aber unbedingt zu den einzelnen Szenen und sie hatten nichts mit den Intentionen der Filmemacher zu tun. Auch verflüchtigten sich manche Gerüche sehr schnell, andere blieben aber länger als man wollte, sprich, das Kino stank manchmal noch tagelang.
Genau das wollte der Schweizer Hans Laube ändern. Auf der Weltausstellung 1939 zeigte er sein System, das er „Scentovision“ nannte. Mit diesem konnte man punktgenau und geplant zu bestimmten Szenen Gerüche abgeben, ähnlich dem Soundtrack eines Films. Das Problem war, das die Kinositze dafür mit allerlei Rohren und Kontrollen ausgestattet werden müssten, was mit erheblichen Kosten verbunden wäre. Tatsächlich trug sich Walt Disney 1940 mit dem Gedanken sein Herzensprojekt ‚Fantasia‘ mit einem „Smelltrack“ auszustatten, doch auch er schreckte schließlich, aufgrund der erheblichen Kosten davor zurück. Tatsächlich tingelte Laube bis 1946 durch die USA ohne einen Abnehmer für sein System zu finden. Danach kehrte er enttäuscht in die Schweiz zurück.
Doch dann kamen die 50er und mit ihnen das Fernsehen. Filmstudios mussten sich etwas einfallen lassen, um Besucher in die Kinos zu locken. Es war die Zeit der Showmen wie William Castle und damit der Hochzeit der Gimmicks. Produzent Mike Todd jr. erinnerte sich an den Schweizer, den sein Vater vor Jahren auf der Weltausstellung getroffen hatte. Man traf sich, man verstand sich und nur 20 Jahre nach seiner Erfindung war der erste Film in „Scentovision“ in Produktion. Allerdings benannte Todd das Verfahren in „Smell-o-Vision“ um. Einige Kinos wurden angepasst und mit dem notwendigen System ausgestattet. Die Berichte über Kosten hierfür schwanken zwischen 15.000 und 1.000.000 Dollar. Der Film selbst ‚Scent of Mystery‘ sollte ein Kriminalthriller werden, der den Geruchsaspekt der neuen Technologie gezielt benutzt. So würde etwa ein Charakter, der in einer Szene nicht zu sehen ist, seine Anwesenheit durch den mit ihm assoziierten Geruch von Pfeifentabak verraten.
Doch, wie es häufig so ist, ging zeitgleich ein Konkurrenzprodukt in Produktion. Produzent Walter Reade jr. und Ingenieur Charles Weiss hatten ein System patentiert, das sie AromaRama nannten. Es arbeitete direkt mit der Belüftung der Kinos und sie wollten es mit dem Film ‚Behind The Great Wall‘, einem Reisebericht durch China, in die Kinos bringen. Weiss hatte gute Verbindungen zum Fernsehen und machte dort Werbung für das neue Erlebnis. Letztlich gelang es ihnen ihren Film, nach gehetzter Produktion, 3 Wochen vor ‚Scent of Mystery‘ in die Kinos zu bringen, am 2. Dezember 1959.
Beide Systeme funktionierten anfangs nicht ideal. Die Gerüche verbreiteten sich nicht schnell genug, das Filmerlebnis wurde vom Zischen des ausströmenden Parfüms und dem heftigen Schnüffeln der Mitzuschauer, die nicht genug rochen gestört und beide Filme waren wohl (ich habe sie nicht gesehen) nichts besonderes. Die Geruchsapplikatoren waren allerdings technisch – nach einigen Upgrades – beide erfolgreich. Wenn auch die Parfüms von AromaRama wohl auf Halogenkohlenwasserstoffen basierten, was gewisse gesundheitliche Fragen aufwirft. ‚Scent of Mystery‘ blieb jedoch der einzige Film in Smell-o-Vision und Weiss experimentierte zwar weiter an AromaRama aber auch das kam nie wieder zum kommerziellen Einsatz. Der technische Erfolg hat das Publikum nicht gepackt. Vielleicht lag der Misserfolg auch schlicht daran, dass die Presse die Filme, analog zu „Talkies“ für Tonfilme, „Smellies“ nannte.
Mit diesem „Battle of the Smellies“ bei dem es keine Gewinner gab, endete, vorerst zumindest, jeglicher Run auf Geruchskino. Morton L. Heilig präsentierte in den 60ern zwar noch ein System namens „Sensorama“ aber das war eine spezielle Box für das immersive Erlebnis einer Einzelperson. Das Kino war frei von erwünschten Gerüchen. Das änderte sich erst 1981 wieder, als Tabubrecher John Waters für seinen Film ‚Polyester‘ das System „OdoRama“ präsentierte. Dabei handelte es sich um Pappkarten mit nummerierten Rubbelfeldern, die die Zuschauer selbst aufrubbeln und daran riechen sollten, wenn die entsprechende Nummer eingeblendet wird. Waters Film um die Familie eines Pornokinobetreibers ist eine Satire auf das Amerika der 50er, daher auch das Geruchskino. Und Waters wäre natürlich nicht Waters, wenn sich hinter den Feldern nicht Aromen wie „Stinktier“, „schmutzige Socken“, „Flatulenz“ oder „Benzin“ verbergen würden.
2001 hielt das Geruchskino dann seinen späten Einzug in Deutschland (von ‚Polyester‘ abgesehen), als der „Duftfilm“ ‚One Day Diet‘ in München Prämiere feierte. Für den Kurzfilm wurden Zuschauer mit einem Gerät von der Größe eines Walkman, dem „Sniffman“ ausgestattet. Der verströmte während der Vorstellung die entsprechenden Düfte. Zuschauer fanden das unterhaltsam, bezeichneten die Düfte nach Seife oder Pizza allerdings als zu chemisch. Für eine Massenproduktion wäre ein so kleines und vermutlich wartungsintensives Gerät wohl ohnehin nicht geeignet.
2008 wurden einige deutsche Kinos dann Testfeld für eine andere Verwendung von Geruchskino. Gerüche schaffen besonders intensive Erinnerungen und können diese auch wieder hervorrufen. Das wollten sich wohl Werber zu Nutze machen. Während des Trailers zu dem Film „27 Dresses“ wurde ein unauffälliger Geruch über die Belüftungsanlagen einer Kinos der Cinemaxx Kette eingeblasen[1]. Offensichtlich sollte so eine positive Erinnerung mit der Vorschau auf den Film verbunden werden. Hat’s funktioniert? Keine Ahnung, aber die Tatsache, dass das in 10 Jahren nicht wiederholt wurde, gibt zumindest einen Hinweis. Abgesehen von einer weiteren Duftkarte für den Film ‚Spy Kids 4‘ 2012, die sich hier „Aroma-Scope“ nannte und einigen Versuchen mit „4D“ mit rüttelnden Sitzen, Rauch, Wind und einhergehenden Gerüchen, war es das im kommerziellen Kino mit den Düften.
Allerdings hat der Multimediakünstler Wolfgang Georgsdorf 2016 seinen „Smeller 2.0“ präsentiert[2]*. Eine Duftorgel, die nicht nur Theaterstücke und Tanzvorstellungen, sondern auch Filme mit entsprechenden Düften ausstatten kann. Neben Georgsdorf eigenem Film ‚NO(I)SE‘ gibt es mindestens 2 weitere Filme mit „Geruchssynchronisation“.
Habt Ihr Erfahrungen mit Geruchskino gemacht? Gibt es einen Film, den Ihr gerne einmal riechen würdet? Oder einen, den Ihr keinesfalls riechen wollt? Smell you later!
[1] http://fudder.de/geruchskino-der-kinoparfumeur–118565304.html
[2] https://www.zeit.de/kultur/kunst/2016-07/smeller-osmodrama-wolfgang-georgsdorf
*Der Subheader des Zeitartikels ist übrigens falsch, wie Ihr nach der Lektüre hier wisst!
Ich hoffe, das Geruchskino wird nie in die Massenumsetzung gehen. Sonst müsste es die Wahl wie bei 2D und 3D geben, denn ich bin sehr geruchsempfindlich und reagiere oft mich Kopfschmerzen auf künstliche Düfte. Das wäre einem Kinovergnügen doch sehr abträglich.
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Ich galube auch nicht, dass es jemals massentauglich wird (von den Papp-Rubbelkarten mal abgesehen, aber die sind eher Gag). Leute sind noch bereit eine Brille aufzusetzen, aber wenn man was vor die Nase schnallen soll, hört’s vermutlich auf. Und da die Düfte lösungsmittelbasiert sein müssten, um sich schnell genug zu verflüchtigen, bevor der nächste kommt, wäre das ein Rezept für weit verbreitete Kopfschmerzen – obwohl, die kriege ich von 3D auch oft genug…
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Obwohl ich kopfschmerzanfällig bin, ist mir das bei 3D glücklicherweise noch nie passiert. Als die Technik erneut aufkam, hörte man ja allerhand Horrorstorys von Leuten, die sich übergeben mussten etc., so dass ich anfangs echt etwas Angst hatte, mir einen 3D-Film anzusehen 😀 .
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Mir ist es auch schon lange nicht mehr passiert. Ich glaube es lag an meiner alten Brille, die unter der 3D Brille verrutschte und dann strengten sich die Augen zu sehr an.
Ein besonders großer 3D Fan bin ich aber so oder so nicht. Die Zahl an Filmen, die für mich dadurch wirklich besser wurden, kann ich an einer Hand abzählen, ohne alle Finger zu bemühen. 😉
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Ich habe auch immer meine Brille unter der 3D-Brille und kann mir gut vorstellen, dass es daran gelegen haben könnte.
Stimmt, trotzdem leitet mich jedesmal wieder die Hoffnung, dass es einen Mehrwert bietet. Der angebliche Tiefeneffekt wirkt sich bei mir nie wirklich aus, dann eher die Effekte, wo irgendetwas „vor“ der Leinwand herumfliegt. Leider wird der Effekt aber meiner Meinung nach nicht oft genug zur Gänze eingesetzt.
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So, die Nerven von Deutschland – Schweden sind beruhigt genug, das ich wieder Kommentare schreiben kann. 😉
Bei mir stellen sich meistens 3 oder vier distinkte Ebenen ein, auf denen ich die Geschehnisse wahrnehme. Das wirkt auf mich selten immersiv, sondern betont eher die Künstlichkeit.
Gegenbeispiel ist aber ‚Gravity‘, wo der Effekt beinahe perfekt wirkte und auch noch das Geschehen sinnvoll unterstützte.
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Manno Mann, war das spannend… Ja, meine Nerven haben sich auch ausreichend für Kommentare beruhigt 😉 .
„Gravity“ habe ich zwar auch in 3D gesehen, aber auf einer sehr kleinen Leinwand, so dass die Effekte nicht wirken konnten. Mein bestes 3D-Erlebnis hatte ich tatsächlich mit der Doctor-Who-Jubiläumsfolge. Da wurden die Effekte wirklich toll um- und eingesetzt. Am schlimmsten ist mir Der Hobbit in Erinnerung. In Kombination mit der großen Schärfe und den, wenn ich mich richtig erinnere, zahlreicheren Bildern pro Sekunde wirkten die Darsteller wie Actionfiguren aus Plastik.
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Beim ersten Hobbit hätte ich am liebsten die Brille abgenommen, aber das macht es ja nicht besser. Der zeigte mit seiner Hochfrequenzrate, oder wie das hieß, wirklich eine Zukunft, die keiner so wirklich wollte.
Man kann meine Begeisterung ablesen: den ersten sah ich im Kino in 3D HFR, den zweiten auf BluRay, den dritten bis heute nicht…
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Beim Hobbit gab es ja einige „Missgriffe“, nicht nur was die technische Seite angeht. Tatsächlich habe ich den ersten im Kino gesehen. Beim zweiten sagt man mir, wäre ich auch im Kino gewesen. Aber ich habe das Trauma wohl verdrängt, denn ich kann mich nicht mehr erinnern 🙂 . Teil 3 habe ich auch noch nie gesehen 😀 .
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Mir ist auch schon beim Schreiben aufgefallen, dass ich mich an den zweiten Hobbit quasi nicht erinnere. Ausser ein paar Szenen zwischen Bilbo und dem Drachen, die tatsächlich gut waren. Um den dritten zu sehen, müsste ich mir also die ersten beiden nochmal geben und das dürfte mit das größte Hindernis sein, sind ja mal eben 5 gar nicht so tolle Stunden. 😉
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Komisch, dass manche Filme so wenig in Erinnerung bleiben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den dritten nie sehen werde. In der Zeit, die ich dafür benötigen würde, beschäftige ich mich lieber mit etwas, das mehr Mehrwert verspricht.
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Die wirklich Guten und die wirklich Schlechten bleiben im Gedächtnis. Alles dazwischen…
Das soll aber kein Aufruf für schlechtere Filme sein! 😀
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Das Thema der Duftorgel beschäftigt mich schon länger. Man könnte auch im kleinen Kreis ohne Filmbindung sowas wie ein Duftevent erleben. Eventuell mit einem lulinarischen Menü kombiniert. Das ist ein schöngeistiges Erlebnis, was bisher fehlt.
ich denke dabei an kleine Phiolen – idealerweise mit natürlichen Aromen, die zu bestimmten Zeiten geöffnet werden. Könnte ich mir auch gut zu Musik vorstellen. So teuer müsste das auch nicht sein, jedenfalls nicht im privaten Rahmen. Bevor das massentauglich verbreitet würde, müsste es sich als kulturelles Erlebnis etablieren.
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Du hast schon Reht, „Duftkomposition“ ist abseits der Parfümerie nie wirklich zu einer eigenen Kunstrichtung geworden. Multisensorische Ereignisse, Musik an Düfte gebunden z.B. könnten schon sehr großartig sein. Die Einzigen, die Düfte wirklich gezielt nutzen scheinen im Einzelhandel zu sitzen. und da wird es gemacht, aber nicht drüber geredet, weil Kunden es als ungehörig manipulativ wahrnehmen, wenn sie über Düfte gesteuert werden. https://ixtenso.com/de/story/31679-duftmarketing-im-einzelhandel-schafft-wohlfuehlatmosphaere.html
Das Problem im privaten Kreis dürften nicht chemisch riechende, relativ flüchtige Düfte sein, mit denen man so etwas machen könnte.
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Man könnte einen Eiswürfelbehälter mit Schiebedeckel entsprechend präparieren.
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