Heute führt mich die Filmreise Challenge nach Südkorea. Einem Land, dessen Filmkunst in den letzten Jahrzehnten internationale Anerkennung und Erfolge feiern konnte. Anlässlich der Challenge wende ich mich dem Werk eines Regisseurs zu, von dem ich bislang noch nichts gesehen habe: Na Hong-Jin und seinem Horror/Mystery-Film ‚The Wailing‘.
Die Ruhe eines kleinen, ländlichen Dorfes in Korea wird empfindlich gestört. Bislang unbescholtene Bürger zeigen einen furchtbaren Hautausschlag, beginnen sich mehr und mehr irrational zu verhalten, bevor sie grauenhafte Gewalttaten begehen und dann in eine Art katatonischen Zustand verfallen. Der kriminalistisch nicht eben wahnsinnig fähige Jeon Jong-gu (Kwak Do-won) wohnt mit seiner Frau, Tochter Jeon Hyo-jin (Kim Hwan-hee) und Mutter in dem Dorf und ist als örtlicher Polizist ähnlich überfordert wie seine Kollegen. Eines ist ihnen jedoch klar: die offizielle Version, es handele sich um eine Pilzvergiftung klingt völlig unglaubwürdig. Stattdessen kommt ihm der Verdacht, der Schuldige müsse der Japaner (Jun Kunimura) sein, der seit Kurzem am Rande des Dorfes wohnt. Um den ranken sich ohnehin allerlei Gerüchte. Als Hyo-jin Symptome entwickelt, heuern Jong-gu und seine Mutter nicht nur einen Schamanen (Hwang jun-min) an, Jong-gu beschließt auch den Japaner endlich genauer unter die Lupe zu nehmen, mit unvorhersehbaren Konsequenzen.
Und wenn ich „unvorhersehbare Konsequenzen“ sage, dann meine ich auch „unvorhersehbare Konsequenzen“. Falls jemand glaubt, er könne aus dieser Inhaltsangabe der ersten 30 Minuten den Rest erschließen, kann ich nur versprechen, dass das nicht geht. Na vermischt in seinem Film allerlei Elemente. Das gilt sowohl für direkte Filmzitate, das Setting des verregneten Dorfes, gefühlt am Ende der Welt, orientiert sich etwa an ‚Memories of Murder‘ und es kommen Elemente aus ‚Der Exorzist‘ hinzu und immer mal wieder eine Prise Zombiefilm. Seine Zitate gehen allerdings über Film hinaus. Na nimmt Elemente des Horror- und Mysteryfilms und vermischt sie mit sich wahrhaftig anfühlender Mythologie.
Wie in einer mythologischen Darstellung hat Jeon Jong-gu bereits verloren, als er sich mit den mythischen Wesenheiten einlässt. Ist der Anfang des Films noch von gelegentlicher, wenn auch sehr schwarzer Komik geprägt, macht diese immer mehr der Verzweiflung Platz. Nichts scheint echte Hilfe und wirkliche Antworten zu bringen, weder christliche Religion, noch ursprünglich koreanischer Schamanismus. Jong-gus Verzweiflung wird größer und größer und seine eigenen Handlungen werden mehr und mehr von der Verzweiflung geprägt und damit nicht nur moralisch fragwürdiger.
‚The Wailing‘ entgeht damit einem meiner größten Probleme mit vielen Horrorfilmen. Na achtet darauf, dass wir als Zuschauer nie viel mehr wissen als die Charaktere im Film, um die Verzweiflung spürbar zu machen. Und dort wo andere Horrorfilme Antworten liefern würden uns sich damit oft genug selbst entzaubern („der Dämon heißt Balladun, man kann ihn mit einer frisch angeschnittenen, würzigen Salami fangen… aber nicht der billigen!“), zieht uns Na den Teppich unter den Füßen weg. Und haben wir uns aufgerappelt zieht er uns erneut den Teppich unter den Füßen weg. Nun sind wir ziemlich sicher, dass da gar kein Teppich mehr ist, doch hat uns Na einen neuen Teppich untergeschmuggelt und zieht uns auch den weg. Das muss man sicherlich mögen und man kann darüber streiten, ob es Na am Ende gelingt das Ganze zu einem guten Ende zu führen. Allerdings sorgt er hier dafür, dass fast zweieinhalb Stunden wie im Flug vergangen sind, obwohl ich das im Normalfall als viel zu lang für einen Horrorfilm betrachten würde.
Damit das gelingt, spielt Na mit den Versatzstücken seines Films. Verkehrt Horrofilmklischees ins Gegenteil, enttäuscht Erwartungen und spielt mit historischen, koreanischen Tatsachen, die ich sicherlich nicht wirklich alle nachvollziehen konnte. Etwa den Ressentiments von Koreanern gegenüber Japanern oder der Stellung von Schamanismus zwischen identitätsstiftender Religion und etwas merkwürdigem Aberglauben.
Kwak Do-won (‚the Good, The Bad, The Weird‘) trägt dabei als Hauptdarsteller den Großteil des Films auf seinen Schultern, es gibt wenige Szenen, in denen er nicht im Mittelpunkt steht. Sein Dorfpolizist Jeon wird anfangs nicht eben ernst genommen. Wenn er ohne Frühstück das Haus verlassen will, schreit ihn seine Mutter an, bis er etwas isst. Dann schreit ihn sein Chef an weil er zu spät kommt. Mit seiner Frau muss er Sex in seinem Auto haben, damit die beiden einmal ungestört sein können. Und wenn er im Film endlich das Heft in die Hand nimmt, dann im schlechtesten möglichen Moment, was ihn zu einer wahrhaft tragischen Figur macht. Kwaks Gesicht, ein offenes Buch für jede Art von Schmerz, passt hervorragend zu der Rolle. Hwang jun-mins Schamane bringt einige dringend benötigte „Antworten“ mit, doch ist etwas Unangenehmes, ja Schmieriges an seinem Charakter und das liegt nicht nur an seinem ständigen Gerede über Geld. Und Jun Kunimura ist großartig als frustrierend unergründlicher Fremder, der von Anfang an alle Karten in der Hand zu halten scheint… oder auch nicht… oder.
Die Kamera von Hong Kyung-pyo, der etwa an ‚Snowpiercer‘ oder ‚Mother‘ (2009) gearbeitet hat, ist wie gewohnt umwerfend. Beinahe magnetisch hält er das Auge fest, verwandelt das verregnete Dorf in einen Ort der finsteren Magie aber auch der Verzweiflung und der Angst. Und all das ohne schnelle Schnitte oder die viel zu beliebten Jumpscares.
Ich denke es ist deutlich geworden, dass ich den Film sehr mag. Ich kann ihn nicht unumwunden jedem empfehlen, dafür ist er zum einen zu lang, zum anderen wird manchen mein liebstes Element, dass er sich allzu aufklärende Antworten verkneift, wohl so ganz und gar nicht gefallen. Mich beeindruckt nur, wie es den Koreanern immer wieder gelingt (siehe z.B. auch ‚Train to Busan‘), einen Horrorfilm mit derart starken Charakterelementen zu verbinden und gleichzeitig klarzumachen, dass es um noch weit mehr geht. Das lässt einen Großteil der Horrorfilme aus anderen Ländern geradezu unbeholfen aussehen… Ich jedenfalls muss mir jetzt erst mal Nas bisherige Filmografie vornehmen.
Das hört sich sehr interessant an. Allerdings bin ich nicht gerade ein Horrorfilmfan. Filme aus verschiedenen Ländern schaue ich allerdings sehr gerne. Den Weltreise-Filmchallenge hab ich in diesem Jahr schon locker geschafft 😊.
Auch wenn mir der koreanische Film auf dem Münchner Filmfest „Burning“ gut gefallen hat, schaue ich doch lieber japanische Filme. In diesem Jahr “Shoplifters“, letzes Jahr „Radiance“. Auch die Filmevon Yoyi Yamada liebe ich, z.B. „Das verborgene Schwert“ und „Tokyo Family“.
Ziemlich spannend und auch wieder ziemlich ungewöhnlich war „Mr. Long“.
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Mh, je nachdem weswegen Du keine Horrorfilme magst würde ich ihn dennoch empfehlen. Er setzt wie gesagt mehr auf Verzweiflung und kaum auf typische Schockeffekte.
Japanisches Kino habe ich die letzten jahre wirklich ganz schön schleifen lassen, da habe ich Nachholbedarf!
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„Mich beeindruckt nur, wie es den Koreanern immer wieder gelingt (siehe z.B. auch ‚Train to Busan‘), einen Horrorfilm mit derart starken Charakterelementen zu verbinden und gleichzeitig klarzumachen, dass es um noch weit mehr geht. “
Ich sage nur „A Tale of two sisters“, der zweifelsohne nicht perfekt ist aber auch in diese Richtung geht.
The Wailing hatte ich vor im Kino zu sehen. Allerdings hat mich die lange Laufzeit in Kombination mit den ausschließlich späten Spielzeiten mich davon abgehalten.
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Two Sisters ist natürlich ein Topbeispiel. Aber selbst ein bewusst alberner Monsterfilm wie The Host hat noch seine wirklich guten Charaktermomente.
Die 2 1/2 Stunden vergingen zwar wie im Flug, aber im kino zu später Stunde hätte ich da auch keine Lust drauf.
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Ich bin so unbefleckt, was das südkoreanische Kino betrifft. Ich kenne immer nur ein, zwei Filme, die bisher allesamt gut waren. Aber vielleicht finden nach Europa auch nur die guten den Weg und der ganze Rest ist eher so lala? Wer weiß…
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Inzwischen findet sicher eine Vorauswahl statt. So Mitte der 2000er als es einen regelrechten Südkorea Hype gab (und noch den allgemeinen „Asien-Horror“ Hype dazu) da erschienen hier auch… nicht so gute SK Filme direkt auf DVD.
Aber Bong Joon-ho oder Park Chan-wook gehören zu meinen absoluten Lieblingsregisseuren, die eigentlich keine echten Fehltritte in ihrer Filmografie haben.
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