‚Lady Bird‘ (2017) – nicht verwandt mit ‚Birdman‘…

Und wieder einmal ein beeindruckender Erstlingsfilm, den ich auf diesem Blog besprechen darf. Man könnte sagen, dass käme relativ wenig überraschend, hat Autorin/Regisseurin Greta Gerwig doch auch bei den Filmen Noah Baumbachs, in denen sie mitwirkt, zumeist kreativen Einfluss hinter der Kamera genommen und einen Film in Co-Regie mit Joe Swanberg gedreht. Aber allein einen Film zu bestreiten dürfte noch einmal etwas ganz anderes sein. Mit diesem, nicht autobiografischen aber doch persönlichen „coming of age“ Film (siehe unten, warum mir diese Kategorisierung nicht wirklich schmeckt) ist ihr ein Kunststück gelungen, dass meinen Zuspruch eigentlich gar nicht mehr benötigt, aber trotzdem bekommt.

Christine „Lady Bird“ McPherson (Saoirse Ronan) ist 2002 17 Jahre alt und besucht eine katholische High-School im kalifornischen Sacramento. Sie wünscht sich nichts mehr als einen Studienplatz an der Ostküste, „wo die Kultur ist“ und die Flucht aus dem kalifornischen Hinterland. Doch Mutter Marion (Laurie Metcalf), eine überarbeitete Krankenschwester, erinnert sie wieder und wieder (und manchmal drastisch) daran, dass die angespannte finanzielle Situation der Familie höchstens einen College-Besuch in der Umgebung erlaubt. Lady Birds zu Depressionen neigender Vater Larry (Tracy Letts) hat seine Arbeit verloren und auch Lady Birds Bruder Miguel (Jordan Rodrigues) findet nach seinem Collgeabschluss keinen Job, außer im Supermarkt und wohnt mit seiner Freundin Shelly (Marielle Scott) bei den Eltern. Der Film begleitet Lady Birds letztes Schuljahr und ihre unrealistischen(?) Zukunftspläne.

Gerwigs größte Stärke hinter der Kamera ist genau dieselbe wie davor. Nämlich wie menschlich sie ihre Charaktere erscheinen lässt. Sie versucht mit ihrem Film gar nicht das Rad neu zu erfinden, sie nimmt mehrfach vorhandene Filmschablonen und füllt sie mit wahrhaftig wirkenden Charakteren. Etwa der Mittelteil des Films war so schon in vielen High School Filmen zu sehen: Lady Birds beste Freundin Julie (Beanie Feldstein) ist nicht konventionell attraktiv oder beliebt. Lady Bird kehrt ihr den Rücken zu, um mit „den coolen Kids“ rumzuhängen, erkennt aber nach einigen Geschehnissen ihren Fehler. So weit, so bekannt. Allerdings ist sogar die Cliquenchefin der coolen Kids, natürlich das reichste und hübscheste Mädchen der Schule, die wohl überall sonst eine Karikatur wäre ein vollständiger Charakter, deren Reaktionen auf Lady Bird glaubhaft sind und deren Leben abseits dessen was wir sehen weiterzugehen scheint. Ähnliches gilt für Miguel, der in seiner ersten Szene der typische Stoner-Charakter zu sein scheint, bald aber weit mehr Tiefe gewinnt. Die wenigen Charaktere für die das nicht gilt, etwa der arme Football-Trainer, der die Leitung einer Theater AG übernehmen muss, haben dann immerhin den Vorteil, dass sie wirklich lustig sind.

Am meisten gilt dies aber für Lady Bird und ihre Mutter. Was meinte ich eingangs, als ich sagte, dass mir „coming of age“ Drama hier als Kategorie nicht gefällt? Der Begriff legt nahe, dass es ein Ereignis, oder eine bestimmte Zeit gäbe, die dafür sorgt, dass man vom Kind zum Erwachsenen würde. Für mich zeigt der Film, dass Gerwig dies eben nicht glaubt. Stattdessen zeigt sie die winzigen Schritte, die Lady Bird und wir alle auf dem Weg zu emotionalen Reife machen. Und diese Schritte führen nicht immer in die richtige Richtung. Manchmal bemerken wir womöglich erst, was wir hatten nachdem wir es verloren haben. Und sicherlich sind diese Schritte nicht mit 18 Jahren oder auch 25 beendet, wenn sie es denn überhaupt jemals sind. Die beste Szene des Films ist die, wenn ein Ex-Freund Lady Bird konfrontiert und sie lernt, dass es in dieser Welt weit Bedrohlicheres, unüberwindbar scheinendes gibt als ihre romantische Enttäuschung.

Das ist wohl auch einer der Gründe für die Wahl der Zeit in der der Film spielt. Die andauernde Kriegsberichterstattung von jedem Fernsehgerät setzt einen Kontrapunkt zu Ladybirds eigenen Problemen. Natürlich bekommt Lady Birds Wunsch nach New York zu gehen, nach den Anschlägen des 11. September auch einen weiteren Grund zur Sorge für die Eltern. Auch waren Handys damals noch ein Symbol für Wohlstand und Geld ist ein ganz zentrales Thema des Films. Es ist erstaunlich mit ‚Florida Project‘, und ‚I, Tonya‘ ist dies der dritte amerikanische Film in kurzer Zeit, den ich sehe, bei dem ein gewisses Klassenbewusstsein im Zentrum steht. Zufall, oder findet über den großen Teich ein Umdenken statt?

Saoirse Ronan hat mich, glaube ich, noch in keinem Film nicht beeindruckt. Ich bin mir sicher, sie hat wie alle Schauspieler ihre Fehltritte, aber die sind mir zumindest entgangen. Den rebellischen Teenager gibt sie hier jedenfalls völlig glaubwürdig. Ob sie überzeugt ist, dass das Leben überall, nur nicht hier stattfindet, oder genervt ist, dass sie nicht besser in Mathe ist, obwohl der Rest der Familie es beherrscht. Wie sie mit 17 erst ihre Freude am Schauspielern entdeckt und nicht einmal weiß, dass sie schreiben kann. Sie ist verletzlich, egozentrisch, konfrontativ, herzlich und manchmal dämlich, halt ein Teenager. Es wurmt mich ein wenig, dass die Szene, als sie sich, beim Streit mit der Mutter, aus dem Auto wirft, so prominent in der Werbung des Films war. Sicher, es ist ein toller Trailer-Moment, lässt aber einen Film und eine Rolle erwarten, die sehr viel mehr „quirky“ (mir fällt kein adäquater deutscher Begriff ein) ist. Laurie Metcalf ist mindestens ebenso gut als Mutter Marion, die sich für ihre Familie aufopfert und diese das auch wissen lässt. Während sie ihre Liebe vielleicht nicht immer gut ausdrücken kann, leitet sie ihre Geldsorgen, vernünftig aber nicht immer hilfreich, direkt an ihre Kinder weiter. Es wird schnell deutlich, dass es nicht nur das Geld ist, das dafür sorgt, dass Marion Lady Bird nicht fortlassen möchte, es ist die Angst, dass sie nie wiederkommt. Es ist sicher eine weitaus gesündere Mutter-Tochter Beziehung als die von Tonya Harding mit ihrer Mutter in ‚I, Tonya‘ und doch kam ich nicht umhin Echos davon hier wiederzufinden. Eine weitaus stillere Rolle die Erwähnung verdient ist Lady Birds Vater Larry. Tracy Letts ist mir bislang als Schauspieler nicht aufgefallen, aber es gelingt ihm hier eindrucksvoll diese stille, in sich gekehrte Rolle des gebeutelten Mannes, der sich auf dieselben Stellen bewerben muss wie sein Sohn, beinahe magnetisch zu gestalten.

Die Bilder von Kameramann Sam Levy sind betont realistisch, versuchen nicht die Stadt Sacramento, nicht weit von San Francisco aber weitaus weniger „cool“, als etwas anderes erscheinen zu lassen, als sie ist. Gleichsam trägt Ronan kein Makeup um ihre Akne zu verbergen. Der Film legt also einen großen Wert auf Wahrhaftigkeit. Gleichzeitig scheint über allem aber auch ein Schleier zu liegen, wie über einer 15 Jahre alten Erinnerung oder auf einem verblassenden Foto. Der Effekt ist nostalgisch ohne dabei kitschig zu sein.

Ein wunderbarer Film, dessen größter immer wieder zu lesender Kritikpunkt, er sei „nicht Neues“ in meinen Augen ins Leere läuft. Der Film arbeitet absichtlich mit Schablonen, nicht um sie zu widerlegen oder zu untergraben, sondern sie mit wahrhaftigen Charakteren zu füllen. Die wirkliche Leistung des Films ist wie leicht er das wirken lässt.

6 Gedanken zu “‚Lady Bird‘ (2017) – nicht verwandt mit ‚Birdman‘…

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