‚Lady Macbeth‘ (2017) – „I’d rather stop you breathing than have you doubt how I feel“

Lady Macbeth ist fraglos einer der interessantesten Charaktere des Shakespearestückes „Macbeth“. Ist sie am Anfang absolut zentral für die Handlung, eine der treibenden Kräfte hinter dem Königsmord und der Usurpation ihres Mannes, so verschwindet sie nach dem Regizid weitgehend aus dem Stück. Tritt als von Schuldgefühlen geplagte Schlafwandlerin auf und begeht schließlich abseits der Bühne Selbstmord. Der russische Autor Nikolai Leskow war von der Figur offenbar angetan genug, um seine Novelle „Die Lady Macbeth von Mzensk“ von 1865, die auf tatsächlichen Akteneinträgen mehrerer Mordfälle beruhte, so zu benennen. Diese Novelle wurde nun von der britischen Theaterautorin Alice Birch als Drehbuch adaptiert und kommt dem schottischen Handlungsort des Shakespearestückes wieder näher, indem die Handlung in den ländlichen Norden Englands verlegt wird. Der Film stellt das Filmregiedebüt des Theaterregisseurs William Oldroyd dar.

Die junge Katherine (Florence Pugh) wird Mitte des 19ten Jahrhunderts an den deutlich älteren Gutsbesitzer und Kohleminenerben Alexander Lester (Paul Hilton) verheiratet. Ihre neue Familie macht ihr sehr schnell klar, dass sie eigentlich nur ein unerwünschtes Anhängsel des Stücks Landes darstellt, das ihre Mitgift war. Sie soll nun als perfekte Ehefrau funktionieren, obwohl Alexander ihr allerlei Repressalien auferlegt, ihr sogar verbietet das Haus zu verlassen. Sexuell kann oder will er sich ihr nicht nähern, obwohl (oder eher weil) sein Vater Boris (Christopher Fairbank), ein herrschsüchtiger Widerling, auf einem Erben besteht. Als sich Ehemann und Vater zu längeren Reisen aufmachen, blüht Katherine allerdings auf. Auf ihren Spaziergängen über die Hochmoore trifft sie den wilden, aufdringlichen, sogar übergriffigen Knecht Sebastian (Cosmo Jarvis) mit dem sie eine wilde Affäre beginnt. Als der Schwiegervater zurückkehrt und über die Situation bestens informiert scheint, gilt es Maßnahmen zu ergreifen, um das neu gefundene Glück der beiden zu schützen.

Oldroyds Herkunft aus dem Theater, sowie die geringe Anzahl an Schauplätzen und Charakteren lassen zunächst eine sehr theaterhafte Inszenierung befürchten. Diese Furcht erweist sich jedoch sehr schnell als unbegründet, beherrscht Oldroyd das cinematische Medium doch ganz erstaunlich für einen ersten Film. Allerdings kann man bestimmte Ideen sicher ins Theater zurückverfolgen. So ist der Film, unüblich für einen Kostümfilm, sehr sparsam ausgestattet. Doch wird genau diese Kargheit der Räume, die Oldroyd und Kameramann Ari Wegner in exakte, unbewegte und symmetrische Bilder mit strengen rechten Winkeln zwischen den Möbeln setzen, zu einem Symbol der rigiden Struktur der Gesellschaft, in der sich Katherine als Gefangene wiederfindet. Dies steht im exakten Widerspruch zur rauen, ungezähmten Wildheit der Natur, über die die Kamera geradezu zu schweben scheint, die ihr jedoch, zumindest in Anwesenheit ihrer Familie, verboten ist.

Dieser Gegensatz setzt sich im Sounddesign fort. Im Haus klirrt Geschirr fast unerträglich laut, Stühle werden knarzend über Holzböden gezerrt, Fensterläden öffnen sich mit Quietschen und Kratzen. Alle Geräusche wirken geradezu unerträglich verstärkt und unnatürlich. Dagegen stehen der heulende Wind über den Weiden und die Geräusche der Natur außerhalb des Hauses. Auffällig ist dieses Sounddesign vor allem aufgrund der beinahe vollständigen Abwesenheit eines Soundtracks. Nur in zwei bis drei Szenen taucht Musik des experimentellen Komponisten Dan Jones auf und ist auch dort erst nach einigen Momenten von Umgebungsgeräuschen zu unterscheiden.

Die Figur der im erstarrten Patriarchat der viktorianischen Gesellschaft gefangenen Frau ist in Film und Literatur keine seltene. Üblicherweise zerbricht sie an ihrer unerträglichen Situation oder zieht sich in sich selbst zurück. Katherine aber geht einen anderen Weg. Sie wird zum Monster. Allerdings nicht direkt. Ihr anfängliches Auflehnen gegen die Struktur macht sie sogar zur Antiheldin. Was folgt sind Momente seltener tief schwarzer Komik und erschreckend finstere Ereignisse, die man von dieser Art Film vermutlich nicht erwarten würde, die Oldroyd dabei so unaufgeregt zurückhaltend inszeniert, dass sie umso erschreckender wirken.

Er kann sich für seinen Film auf eine ganze Riege fähiger und motivierter Darsteller verlassen. Etwa Paul Hilton, der den brutalen Schwächling Alexander mit verzweifelter Intensität zeigt, oder Cosmo Jarvis dessen instinktgesteuerter Gutsarbeiter fast ohne es zu merken zum Werkzeug für Katherine wird. Aber die herausragende schauspielerische Leistung liefert Florence Pugh ab, die auch schon das Beste an Carol Morleys ‚The Falling‘ war. Ihr gelingt es scheinbar mühelos in ihrem Charakter das exakte Maß zu finden, um Abscheu und Sympathie des Publikums auf gleiche Weise für sich zu vereinnahmen. Wir wissen das das was Katherine tut falsch ist, aber wir wollen dennoch, dass sie Erfolg hat… zumindest bis zu einem Punkt. Die anfängliche unerträgliche Langeweile ihrer Situation, das Glück, das sie findet, die Entschlossenheit mit der sie es verteidigt und schließlich die kalte Systematik ihrer Grausamkeit. Pugh verkörpert jeden Schritt auf dem Weg von der unschuldigen jungen Frau zum Ungeheuer absolut glaubwürdig. Und sie hat dieses wunderbare, britische Talent in ein Wort wie „Sir“ derart viel Verachtung legen zu können, das man in einer anderen Sprache eine ganze Schmährede schreiben müsste.

Ein absolut großartiges Filmdebüt für William Oldroyd, der zeigt, dass er perfekt in Bildern erzählen kann und dass ich nicht nur Freunden des Kostümfilms empfehlen würde. Dazu ist es vermutlich der Film den Ihr schauen solltet, wenn Ihr in ein paar Jahren über Florence Pugh sagen wollt „ich fand die schon gut, bevor sie ein Star war!“

8 Gedanken zu “‚Lady Macbeth‘ (2017) – „I’d rather stop you breathing than have you doubt how I feel“

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