Ich erwähne ja bei beinahe jedem Zombiefilm, den ich hier bespreche, einleitend wie satt ich den typischen Zombiefilm inzwischen habe. Mit dieser Tradition will ich natürlich auch dieses Jahr nicht brechen. Und während ‚The Girl With All The Gifts‘ durchaus einige der üblichen Genre-Zitate an Romero und Co. Mitbringt, ist es doch ein Film, der mich ernsthaft überrascht hat. Und das meine ich im positivsten Sinne.
Melanie (Sennia Nanua) ist eine aufgeweckte, intelligente Schülerin. Allerdings ist ihre schulische Situation durchaus eine besondere. Sie und ihre Mitschüler werden in Zellen gefangen gehalten und an Rollstühle gefesselt zum Unterricht gebracht. Die bewachenden Soldaten, insbesondere der befehlshabende Offizier Parks (Paddy Considine), begegnen ihnen mit Angst, Abscheu und Verachtung. Die einzige, die ihnen mit Empathie begegnet ist die Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton), zu der Melanie eine besondere Beziehung hat. Nach und nach verschwinden ihre Mitschüler im Labor von Dr. Caldwell (Glenn Close). Als Melanie selbst auf der Liste steht, wird der Komplex, in dem sie festgehalten wird, von den „Hungries“, den nur noch auf Fressen fixierten Infizierten einer Pilzinfektion, überrannt. Melanie, Helen, Sgt. Parks und Dr. Caldwell landen auf der Flucht im selben gepanzerten Fahrzeug. Parks will Melanie töten, Dr. Caldwell will sie sezieren, um eine Heilung für die Infektion zu finden, Helen will sie beschützen und Melanie selbst muss sich der Tatsache stellen, dass sie nicht völlig menschlich ist.
Sicherlich gar so besonders liest sich diese Zusammenfassung nicht und der Film ist sich seines Erbes von vor allem ‚28 Days Later‘ offensichtlich bewusst, speziell, wenn ihre Flucht die Gruppe durch das nur noch von Zombies, Verzeihung „Hungries“, bevölkerte London führt. Allerdings spielt die Geschichte, eine Adaption Mike Careys seines eigenen Romans gleichen Titels, sehr geschickt mit den Konflikten und Identitätskrisen innerhalb der Gruppe und baut das Gefühl eines sehr britischen „Weird“ auf, das mich, sicherlich nicht ganz zufällig, an „Die Triffids“ von John Wyndham (das Buch, die Verfilmungen kenne ich nicht) erinnert. Und so schafft der vor allem für Fernseharbeiten bekannte Regisseur Colm McCarthy (‚Black Mirror‘, ‚Sherlock‘, ‚Peaky Blinders‘) eine sehr eigene Vision. Gelegentlich wächst diese ein wenig über die Möglichkeiten seines Budgets (etwa 4,4 Millionen Pfund) hinaus und der eine oder andere Spezialeffekt landet nicht so ganz. Das stört mich im Großen und Ganzen aber nur wenig, verleiht dem Film sogar gelegentlich nur noch mehr Charme.
Das soll auch nicht bedeuten, dass der Film sich gänzlich auf die Dynamik seiner Gruppe Überlebender verlässt. Er geizt nicht mit Genre-Momenten, doch gibt ihnen immer einen eigenen Spin. Im verfallenden London sind hier einige Hochhäuser von Pilzmycel überwuchert, dazwischen lauern riesige Horden von Infizierten. Da die vor allem über Geruch agieren und Menschen den ihren mit einer Blockercreme überdecken können, kommt es zu wirklich nervenzerreißenden Szenen, wenn die Gruppe unbemerkt durch die Massen manövriert. Das erinnert an einige der besten Momente auf Borg-Kuben aus den 90er Star Trek Serien.
Die ambivalente Einstellung des Films zur Infektion ist im Zombie-Film allerdings wirklich etwas Besonderes. „Sie wollen nur leben, genau wie wir alle“, ist etwas, dass über die Infizierten gesagt wird. Eine ähnliche Philosophie grundlegender biologischer Tatsachen lässt sich höchstens noch in einigen frühen Cronenberg-Filmen finden.
Unterlegt werden die Bilder von der Musik des Chilenen Cristobal Tapia de Veer. In einigen der besten Momente verwendet er menschliches Chanting, gemischt mit leiserem Klagen, beides im Computer nachbearbeitet (nehme ich zumindest an) bis es an die jenseitig-andersweltliche Qualität der Töne eines Theremin erinnert. Das ist hypnotisierend und auf positive Weise enervierend, wie ich das zuletzt nur bei der Musik von Mica Levi (‚Under The Skin‘, ‚Jackie‘) erlebt habe. Ich hätte nur gern mehr davon gehört.
Gemma Arterton ist sehr gut als Lehrerin überzeugt von der Menschlichkeit ihrer Schützlinge, obwohl sie eigentlich nur als ein Feigenblatt der Menschlichkeit für ein medizinisches Experiment dient. Paddy Considine überzeigt wie immer, hier als geradliniger Soldat, der an seinen eigenen Überzeugungen zu zweifeln beginnt. Und Glenn Close verbindet in ihrer Rolle geschickt eiserne Entschlossenheit mit körperlicher Fragilität. Aber letztlich stiehlt Sennia Nanua ihnen allen die Schau. Der Anblick eines vielleicht 11 Jahre alten Mädchens in einer Hannibal Lecter-artigen Maulkorbsmaske mit blutverschmiertem Mund weckt beim Betrachter schon von ganz alleine ein Spektrum an Emotion zwischen Mitgefühl und Horror, doch sie macht noch sehr viel mehr daraus. Für den Film ist es ganz entscheidend, dass wir mit Melanie mitfühlen und so nimmt sie uns mit jugendlicher Unschuld in der ersten halben Stunde völlig ein, um später mit der zornig-verzweifel-beschämten Gier eines Junkies und roher, an Goldings „Herr der Fliegen“ erinnernder Dominanz zu überraschen und schockieren. Der Film hält lange geheim, was die Kinder eigentlich genau sind und wenn Melanie später einer Gruppe wie sie selbst in der Freiheit begegnet entstehen einige von ihrer besten Szenen. Wir fühlen mit ihr, während sie das Beste will und Chaos und Verdammnis bringt. Nicht zufällig ist das Bild vom Mythos der Pandora eines, das sich durch den gesamten Film zieht. Vor allem aber eine großartige Kinderdarstellerische Leistung.
‚The Girl With All The Gifts‘ ist ein intelligenter, gut erzählter Film, der selbst Zombiemuffeln wie mir und vermutlich auch Leuten, die ansonsten mit dem Thema gar nichts anfangen können, gefallen sollte. Dass er an der Kinokasse weitgehend ignoriert wurde ist annähernd tragisch, selten hat mich ein Film so positiv überrascht. Solltet Ihr also wie ich vor allem des Settings wegen ferngeblieben sein, schlage ich vor Ihr ändert das sobald Ihr könnt!
Schön, dass der Film dir gefallen hat. Wenn ich mich recht entsinne, hatte ich dir den auch mal empfohlen. Sehe es prinzipiell genau wie du.
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Ich glaube Du, Christian Neffe und mindestens eine weitere Person sind verantwortlich, dass ich den gesehen habe. Ohne die ganze Bloggerei hätte ich ihn sicher ignoriert, hat sich also schon gelohnt. 🙂
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Für irgendwas muss der ganze Quatsch ja gut sein, oder?
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Eben
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Um den Film schleiche ich auch schon länger drumrum. Ich sollte anscheinend doch mal beherzt auf Play drücken…
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