Und heute aus der Kategorie „Filmlichter holt Filme viel zu spät nach“: Guillermo Del Toros vierfacher Oscargewinner von 2017, ‚Shape of Water‘. Eine gute Ausrede, warum es so lange gedauert hat, habe ich nicht, bin ich doch üblicherweise ein großer Freund von seiner Arbeit. Aber was soll’s. aufgeschoben ist nicht aufgehoben und hier ist meine Besprechung.
In den frühen 60er Jahren arbeitet die stumme Elisa (Sally Hawkins) nachts als Putzfrau in einem geheimen Regierungslabor in Baltimore. Ihre einzigen Freunde sind ihr Nachbar, der alternde homosexuelle Plakatzeichner Giles (Richard Jenkins) und ihre Kollegin, die Afroamerikanerin Zelda (Octavia Spencer), die meist das Reden für beide übernimmt. Eines Nachts bringt Colonel Strickland (Michael Shannon) ein neues „Asset“ ins Labor. Einen Amphibienmenschen (Doug Jones) aus dem Amazonas, von dessen Physiologie man sich Vorteile im Rennen in den Weltraum, dem derzeitigen Austragungsort des Kalten Krieges, erhofft. Elisa fühlt sofort eine Seelenverwandtschaft zu der, von Strickland übel misshandelten, Kreatur. Sie bringt ihm hartgekochte Eier mit, spielt ihm Musik vor und beginnt via Gebärdensprache mit ihm zu kommunizieren. Als sie erfährt, dass eine Vivisektion an dem Wesen vorgenommen werden soll, ist für sie klar, dass sie und ihre Freunde ihn befreien müssen. Unerwartete Hilfe erhalten sie dabei vom Wissenschaftler Hoffstetler (Michael Stuhlbarg).
‚Shape of Water‘ ist vermutlich Del Toros bester Film seit ‚Pans Labyrinth‘. Tatsächlich lassen sich Ähnlichkeiten erkennen, in der Vermischung des Realismus und des Fantastischen. Doch anders als bei ‚Pans Labyrinth‘, wo die Übergänge meist genau und erkennbar waren, sind sie hier fließend. Tatsächlich „fließt“ der Film zwischen allerlei Genres hin und her: Romanze, Kalter Kriegs Thriller, „Creature Feature“, Märchenfilm, Musical und allgemeiner Hommage an den klassischen Hollywoodfilm. Abwesend hingegen sind die Horrorelemente, die in ‚Pans Labyrinth‘ noch ein zentraler Bestandteil waren.
„Fließend“ ist ohnehin eine gute Beschreibung für beinahe alles im Film, passend zum zentralen Symbol des Wassers. Sei es Alexandre Desplats Filmmusik, die oft genug an murmelnde Bächlein, oder Meeresbrandung erinnert und häufig dazu dient der stummen Elisa eine Stimme zu geben. Oder sei es die flüssige Bewegung der Kamera des Dänen Dan Laustsen, die über wie unter Wasser schwerelos zu gleiten scheint. Er verbindet so nicht nur Genres, die eigentlich nicht zueinander passen sollten, sondern auch Orte, die der Film widersprüchlich erscheinen lässt. Da sind die Apartments von Elisa und Giles, ihres sparsam eingerichtet, seines vollgestopft mit Erinnerungen, über einem bröckelnden Kinopalast, die alle in grün-blauen Farben erstrahlen und selbst im 60er Jahre Setting schon aus der Zeit gefallen wirken. Demgegenüber steht der Brutalismus des Geheimlabors mit seinen grau-weißen Farben, den rohen Beton- und Metallflächen und kalten Linoleumböden. Das Haus von Strickland und das Apartment von Hoffstetler hingegen erscheinen in gänzlich naturalistischem Licht und für die Zeit passendem Dekor.
Vor allem aber ist der Film, wie die meisten von Del Toros Filmen, eine Außenseiterballade. Ohne das es je direkt ausgesprochen würde sind es die Außenseiter der Gesellschaft, die Stumme, der Schwule, die Schwarze, der Kommunist die hier ein arrogantes, rassistisches, faschistisches, chauvinistisches Arschloch besiegen. Ein Arschloch, gilt es zu erwähnen, das, wäre der Film zur Zeit seiner Handlung entstanden, fraglos der Held gewesen wäre. Unter seinen wunderschönen Bildern und der ungewöhnlichen Romanze hat Del Toro also einen Befreiungsfilm versteckt, der eine Solidarität der Schwachen beschwört und zum Erfolg führt.
Filmisch kann man sicherlich Verwandtschaften ausmachen. Die gesättigten Farben und die exzentrische Romanze lassen direkt an die fabelhafte Amélie denken, wobei Del Toro seine Elisa direkt in der ersten Szene, durch eine angedeutete Selbstbefriedigung, mehr zur Erwachsenen macht, als das ätherisch-kindliche Geschöpf der Amélie. Der Film evoziert fraglos ‚Die Schöne und das Biest‘, Cocteau ebenso wie Disney. Und die Kreatur selbst ist irgendwo zwischen ‚Der Schrecken vom Amazonas‘ und Del Toros eigenem Ape Sapien aus den ‚Hellboy‘ Filmen. Allerdings liegt der Fokus hier weit weniger auf dem „Schrecken“ und mehr auf dem „Sapien“. Der Amphibienmensch ist kein Monster, er ist eine Kreatur, ein intelligentes Lebewesen. Und wenn es später im Film zum Sex zwischen dem Amphibienmensch und Elisa kommt, dann fühlt sich das nicht fragwürdig oder seltsam, sondern schön und folgerichtig an.
Sally Hawkins trägt den Film beeindruckend und ohne Worte auf ihren Schultern. Der Sprache beraubt (wortwörtlich, als Waisenkind wurden ihrem Charakter die Stimmbänder durchtrennt) interagiert sie mit Gebärdensprache, vor allem aber mit roher und direkter Emotionalität und einer Empathie, die über jede Sprache hinweg funktioniert. Obwohl sicher ein gewisses Maß des Lobes den Anzugbauern und Tricktechnikern gebührt, ist Doug Jones ein Kreaturendarsteller, der einem Andy Serkis in nichts nachsteht und gemeinsam schaffen er und die Techniker hier einen Charakter, den man so schnell nicht vergessen wird. Michael Shannon ist am besten, wenn er Arschlöcher spielt. Und hier spielt er ein derart vollkommenes Arschloch, dass es einem beinahe kindliche Freude bereitet, wenn jemand eine Beule in sein neues Auto fährt, doch scheint gelegentlich ein Schmerz in seinem Blick, der tiefere Gründe hinter diesem Mount Everest der Arschlocherie vermuten lässt. Richard Jenkins und Octavia Spencer füllen ihre Nebenrollen in ihren kurzen Auftritten mit so viel Hintergrund und Leben, dass es eine Freude ist.
Ich hoffe es ist klar geworden, dass ich den Film sehr mochte. Manchmal liegen die Oscars dann wohl also doch richtig. ‚Pans Labyrinth‘ mag mein Favorit aus Guillermo Del Toros Filmografie bleiben, doch kommt dieser Film ziemlich nahe dran.
Freut mich, dass dir der Film so gut gefallen hat. Bin bei Oscar-Filmen ja immer eher skeptisch, doch hier lag die Academy mal richtig. Es freut mich für das Genre, Del Toro, die Darstellerinnen und die Botschaft, die der Film vermittelt. Schön, dass Genre mal so geschätzt wird.
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Zustimmung in allen Punkten!
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„Und wenn es später im Film zum Sex zwischen dem Amphibienmensch und Elisa kommt, dann fühlt sich das nicht fragwürdig oder seltsam, sondern schön und folgerichtig an.“
Wie bist du denn drauf? 😀
Ich weiß was du meinst, obwohl ich die den Black Lagoon Sex schon ein bisschen seltsam fand. 😛
Ürigens fand ich die Musicalszene irgendwie unpassend und mit Gewalt in den Film hineingedrückt. Mich hat das aus dem Film herausgerisse und wirkte so als hätte da jemand eine Idee gehabt, die auf Teufel komm raus in den Film musste. wie hast du das erlebt?
Insgesamt fand ich aber Shape of water auch sehr schön.
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Ich hatte ehrlich gesagt fest damit gerechnet es furchtbar zu finden… hab ich aber nicht. Da muss ich dann schon ehrlich sein… 😉 Ich meine die spätere Pantomime der physiologischen Vorgänge hätte ich dann allerdings nicht gebraucht…
Bei der Musical Szene war es vielleicht ein Fehler Elisa plötzlich eine Stimme zu geben. Das war etwas merkwürdig. Ich hatte nur Sorge, dass Gillman auch noch trällert. Das wäre dann für mich zu viel gewesen…
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