Filmreise Challenge #48: schaue einen Film, in dem es um einen Musiker geht
Der Musiker, um den es in diesem Film geht ist fiktiv. Die Regeln der Challenge sagen nichts darüber aus, ob es den Musiker um den es geht wirklich geben (gegeben haben) muss. Normalerweise würde ich mich wohl für einen echten entscheiden, aber erstens habe ich hiernach noch zwei Musiker-Filme in der Challenge „frei“ und zweitens sagt ‚Walk Hard‘ einige ebenso wichtige, wie komische Dinge über Musiker-Biopics als Filme aus und verdient deswegen seinen Platz als Teil der Challenge.
Bei manchen Genres weiß man, dass sie eine extreme Formelhaftigkeit mitbringen. Romantische Komödien etwa, oder Superhelden-Origins, oder Slasherfilme. Da macht es beinahe schon einen Teil des Vergnügens aus, direkt zu sehen, dass man jetzt beim „Meet Cute“ angelangt ist, der zukünftige Held gerade, wie üblich, seine Vaterfigur verliert, oder schon im ersten Moment zu wissen, wer das „Final Girl“ ist.
Dann gibt es diese Genres bei denen man (oder zumindest ich) lange Zeit die Formelhaftigkeit nicht bemerkt. Sicherlich, Musiker-Biopics sind ein sicheres Pferd für Filmstudios. Üblicherweise spielen sie weit mehr als ihr Budget wieder ein (wobei ein Blockbuster wie ‚Bohemian Rhapsody‘ eher ungewöhnlich ist) und eine Nominierung für allerlei Preise ist zumindest dem Hauptdarsteller beinahe sicher. Ein finanziell sicheres Prestigeprojekt, was kann es besseres geben? Doch dass sich diese Sicherheit auch in extremer Vorsicht vor Experimenten äußert, das habe ich tatsächlich erst durch Dewey Cox wirklich verinnerlicht.
Denn ‚Walk Hard‘ fährt alle Musiker-Biopic Klischees gnadenlos ab. Es beginnt damit, dass ein alternder Dewey Cox (John C. Reilly) im Halbdunkel hinter der Bühne an der Wand lehnt, während ein aufgeregter Mitarbeiter des Konzertortes ihn auf die Bühne bringen will. Doch einer von Deweys Musikern geht dazwischen: „Dewey Cox muss erst über sein ganzes Leben nachdenken, bevor er auftreten kann!“ Es folgt der gesamte Film in Rückblende. Beginnend in den 40ern damit, dass Dewey als Kind seinen Bruder bei einem freundschaftlichen Machetenkampf in der Mitte durchteilt. Danach kann er seinem Vater (Raymond J. Barry) natürlich nichts mehr Recht machen und leidet an dessen Entzug elterlichen Wohlwollens. Es folgt der erste Auftritt vor größerem Publikum in der Schule, wo seine Musik wilde Schlägereien und ebenso wilden Engtanz auslöst. Zusammen mit seiner Freundin und späteren Frau Edith (Kristen Wiig) wird er danach aus dem heimatlichen Kaff vertrieben. Er schlägt sich als Reinigungskraft in einem Nachtclub durch, sein erhoffter Erfolg als Musiker wird von seiner Frau bezweifelt. Er bekommt eine Chance als der Hausmusiker krank wird, muss sich einem zynischen Produzenten beweisen, schafft den Durchbruch. Seine Frau bezweifelt den Erfolg natürlich immer noch, obwohl er einen Nummer 1 Hit landet, aber das tut die erste Ehefrau nun mal in diesen Filmen . Es folgen Tourneen, Drogenexzesse und dann tritt seine wahre Muse in den Film, in Form von Sängerin Darlene (Jenna Fisher). Der Film und in diesem Fall auch Dewey vergessen schnell seine erste Frau.
Und vermutlich wisst ihr ohnehin wie es weiter geht. Begleitet wird das Ganze immer wieder von dieser unfassbaren Banalisierung des kreativen Prozesses. Ihr wisst schon, wo der Musiker eine Phrase hört (etwa „Walk Hard“) kurz „mhhh“ denkt, ein Schnitt folgt und der komplett geschriebene und produzierte Song wird gespielt. Aber anders ist es auch gar nicht zu machen, weil der Film versucht (bzw. Filme parodiert die versuchen) Jahrzehnte einer Biografie in 90 Minuten zu erfassen. Da läuft ein Drogenentzug schon mal in 30 Sekunden ab. Der Film hat dabei direkte Bezüge auf ‚Ray‘ und natürlich vor allem ‚Walk The Line‘, die beiden Filme, die diesen modernen Aufbau des Musiker-Biopics zementiert haben.
Regisseur Jake Kasdan und Kamerafrau Uta Briesewitz gelingt es dabei vor allem ganz hervorragend die leicht golden leuchtenden Bilder dieser Art von Film einzufangen. Diese Bilder, die sagen, hier geht es um eine wichtige Person, allein deswegen ist auch dieser Film schon wichtig! Diese exakte Parodie der Bildsprache und des Selbstanspruchs ist auch der Grund warum der ansonsten oftmals sehr alberne Humor hier gut funktioniert. Manchmal verliert er sich dennoch darin sich erklären zu wollen. Etwa wenn Reilly und Wiig beim Auftritt in der Schule immer wieder betonen, dass sie 14 und 12 Jahre alt sein sollen, als würden wir die Absurdität nicht begreifen, wenn wir den Mitt-Vierziger und die Mitt-Dreißigerin in Schuluniform sehen. Viel besser funktioniert der Humor, wenn er sich nicht erklärt. Etwa die Tatsache, dass alle Auftritte von anderen Musikern nicht im geringsten wie ihre realen Vorbilder aussehen, aber so als hätten sich Masken- und Kostümbildner wahnsinnige, aber letztlich fruchtlose Mühe gegeben das zu ändern. Als Beispiele seien Jack Black als Paul McCartney und Musiker Jack White als Elvis Presley genannt. Und wenn Dewey zum x-ten Mal in zorniger Verzweiflung ein (oder mehrere) Waschbecken aus der Verankerung reißt, dann weiß ich nicht, ob ich diese große emotionale Geste jemals wieder ernst nehmen kann.
Die Schauspieler verstehen exakt das Material mit dem sie hier arbeiten. Allen voran John C. Reilly. Den habe ich immer als jemanden erlebt, der einen Totalausfall (und von denen hat er einige in seiner Filmografie) nicht retten kann, aber gutes Material zu vergolden weiß. Und genau das tut er hier, wenn er seinen Dewey Cox, der kein wirklich liebenswerter Charakter ist, mit solcher großäugiger Naivität und zielgenauem, komischen Timing spielt, dass man ihn irgendwie nicht nicht mögen kann. Und ein mehr als passabler Sänger ist er auch, dessen Cox sich von Johnny Cash-artigem Country bis zu näselndem, hier textlich völlig sinnbefreiten Bob Dylan-Protest durch allerlei Genres arbeitet. Zu durchaus gelungener Musik sollte man erwähnen. Es ist gut, dass sich die Macher hier nicht auf einem „es soll ja gar nicht gut sein“ ausgeruht haben.
‚Walk Hard‘ ist eine dieser seltenen Parodien, die nach ihrem Erscheinen noch bedeutender geworden sind. Natürlich sind nicht alle Musiker-Biopics nach dem typischen Gerüst aufgebaut, es seien etwa ‚Love & Mercy‘ oder ‚I’m not there‘ als Gegenbeispiele angeführt, doch ist das Musiker-Biopic beinahe schon fester Bestandteil des jährlichen „Oscar-Baits“ der Studios. Und eines über Elton John steht auch für dieses Jahr schon in den Startlöchern. Wollen wir hoffen, dass es lange noch so bleibt, damit mehr Leute den bei Veröffentlichung arg gefloppten ‚Walk Hard‘ entdecken können, auch wenn damit vermutlich alle Musiker-Biopics für die Zukunft schwer ernst zu nehmen sein werden.
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