Da ich hier bestimmt demnächst das Remake von ‚Suspiria‘ besprechen werde, sollte ich auch das Original mal eines durchaus verdienten Blickes würdigen. Ich sage es lieber gleich: ich bin nicht der größte Fan von Dario Argento. Während er ein durchaus bildgewaltiger Regisseur ist, hapert es bei mir oft, was seine Erzählweise angeht. ‚Suspiria‘ ist vermutlich der Film, bei dem sich sein Stil und mein Geschmack am nächsten gekommen sind. Aber fangen wir am Anfang an. Vorher noch eine Warnung, ich werde einiges über die Handlung verraten. Aber die Handlung ist auch nicht unbedingt der Grund warum man den Film schaut, von daher verdirbt es wenig. Wer aber vorher nichts darüber wissen will, sollte hier mit dem lesen aufhören und den Film schauen. Und dann weiterlesen, natürlich…
Die US Amerikanerin Suzy Banyon (Jessica Harper) kommt nach Freiburg im Breisgau, um an der dortigen renommierten Balletschule unter der Leitung von Mme. Blanc (Joan Bennet) zu studieren. Angekommen bereiten ihr nicht nur furchtbares Wetter und ein grummeliger Taxifahrer, sondern auch die unfreundliche Dozentin Miss Tanner (Alida Valli) einen recht unangenehmen Empfang. Auch häufen sich bald merkwürdige Vorkommnisse. Mitschülerinnen verschwinden, es regnet Maden von der Decke und der Klavierspieler der Schule wird von seinem treuen Blindenhund zerrissen. Ist Suzys Essen mit Schlafmitteln versetzt? Gehen die Lehrerinnen abends wirklich nach Hause, oder woanders hin? Suzy und ihre Zimmernachbarin Sara (Stefania Cassini) haben einiges zu untersuchen, falls sie es denn überleben.
Wer auf der Suche nach einer „realistischen“ Erzählung ist, der ist bei Argento nie gut aufgehoben und hier so falsch, wie man nur sein kann. Argento entlässt seine Figur am Anfang in eine märchenhafte Alptraumwelt und macht das auch ganz deutlich. Während Suzy den Flughafen verlässt, weht jedes Mal, wenn sich die Automatiktüren öffnen, nicht nur Regen und Finsternis hinein, sondern auch die Musik der Progrocker von „Goblin“. Und damit wird schon deutlich, dass da vor der Tür nicht das baden-württembergische Freiburg liegt, auch nicht München, wo die meisten Außenaufnahmen entstanden sind, sondern ein weit, weit entferntes Königreich, in dem ganz eigene Regeln gelten. In dem ein Hexenkonvent in einer Tanzschule uneingeschränkte Macht zu besitzen scheint. Und damit entledigt sich Argento gleich einer Menge lästiger Fragen. Wem gehört der messerbewerte Männerarm, der am Anfang einer jungen Frau (im wahrsten Sinne des Wortes) ins Herz sticht? Egal! Hexen waren‘s! Warum hat die Schule einen Raum, in dem mehr Stacheldraht aufbewahrt wird als im typischen Niemandsland zwischen den Gräben im Ersten Weltkrieg? Hexen!
Und das Erstaunlichste: es funktioniert! Argento nutzt hier das Vokabular des Alptraums mit solcher Sicherheit, dass man gewisse erzählerische Entscheidungen gar nicht hinterfragt. Warum verlassen wir unsere Hauptperson mehrfach, um in kurzen Sequenzen das Ableben anderer Charaktere zu erleben? Egal, wenn es so atmosphärisch dicht inszeniert ist, wie der tödliche Heimweg des blinden Klavierspielers (dem alle, Passanten, Polizisten, die Insassen eines Autos an der Ampel, hinterher starren), oder Saras nächtliche Suche in der Schule mit einem ungesehenen Verfolger. Manches fällt dennoch auf. Etwa wenn mit Olga (Barbra Magnolfi) ein weiterer Schülerinnencharakter eingeführt wird, für sie sogar Konflikte aufgebaut werden, sie nach zwei Szenen aber einfach kommentarlos aus dem Film verschwindet.
Das stört die Atmosphäre aber kaum, weil Argentos wunderbar bewegliche Kamera und die wohlpalzierten Schockmomente einem kaum die Zeit zum Atmen, weniger noch für große Überlegungen lassen. Dazu kommt die Bildsprache des Films. Jeder, der den Film gesehen hat, wird vermutlich als allererstes die Farben erwähnen. Unfassbar satte Primärfarben, allen voran natürlich rot, danach blau und nur gelegentliches, aber umso effektiveres gelb, setzt Argento hier als ganz bewusstes Stilmittel ein. Dafür griff er auf ein damals bereits veraltetes Technicolor System zurück, für das er die letzten Filmreserven aufkaufte und einen der letzten Drucker verwendete. Hier konnte er frei die Intensität der einzelnen Primärfarben nach Belieben anpassen. Als Vorbild gab er die Disneyverfilmung von Schneewittchen an, die ebenfalls ähnlich intensive Farben verwendete. In ‚Suspiria‘ schafft er so die andersweltliche Atmosphäre, von der zeitlos plüschig-gotischen Innenausstattung der Tanzschule bis zu den leeren Plätzen der umgebenden Stadt. Eine Atmosphäre die nur im anfänglichen Flughafen und bei einer späteren Sequenz bei einem Psychologenkongress durch typisches Stadtgrau gewollt gebrochen wird. Alles in allem ist dieser Stil mit „visuellem Exzess“ sehr gut umschrieben.
Das Zweite, was jeder, der ‚Suspiria‘ gesehen hat erwähnen wird, ist die Musik von „Goblin“. Die haucht, schnauft, stampft und wütet nicht eben subtil aber ungeheuer effektiv durch den Film. Bruchstückhaft, verschlungen, mit einer Vielzahl von Instrumenten vom Glockenspiel bis zu indischen Tabla Kesseltrommeln und natürlich einer Menge Synthesizer-Klang, unterlegt mit gesprochenen Elementen, von Goblin Frontmann Claudio Simonetti selbst eingesprochen und Großteils Kauderwelsch. Allerdings verrät er uns bereits nach gut 4 Minuten das Geheimnis des Films: „Witch!“ zischt es da aus dem Soundtrack durch den finsteren Wald, eine gute Stunde, bevor Suzy drauf kommt. Insgesamt ein hochorigineller Terrorklang, von dem ich mir wünschen würde, mehr aktuelle Horrorfilme würden sich daran orientieren, anstatt zum achtunddrölfzigsten Mal John Carpenters (für sich natürlich großartige!) pure Synthies nachzuahmen.
Schauspielerisch ist natürlich vor allem Hauptdarstellerin Jessica Harper hervorzuheben, der es gelingt ihre Suzy mit einer Mischung aus großäuigiger Scheu, die sie gelegentlich wie ein kleines Mädchen wirken lässt und einer tiefen Entschlossenheit zu spielen, ohne dass das widersprüchlich wirken würde. Tatsächlich bemerkt die unangenehme Miss Tanner diese Willensstärke noch lange vor dem Zuschauer und stellt sie in einer Art fest, als ahne sie bereits, dass da Schwierigkeiten auf die verborgenen, finsteren Geheimnisse der Schule zukommen. Miss Tanner wird von Alida Valli verkörpert, die die Schüler mit einer Kälte behandelt, die nur knapp unter einer Schicht falscher Freundlichkeit verborgen liegt, während sie für die Angestellten nur Verachtung oder gar Sadismus übrig hat. Die anderen machen ihre Sache ordentlich, aber nicht besonders bemerkenswert. Am Rande erwähnt seien noch Horrorgenre Dauergast Udo Kier und Edgar Wallace Veteran Rudolf Schündler, die hier Nebenrollen als zwei Psychologen haben und als solche einen Gutteil der Exposition von sich geben. Nicht die dankbarste Aufgabe, aber sie erledigen sie elegant. Schündler darf dabei sogar so etwas wie das Motto des Films aussprechen: Magie ist überall. Kiers Charakter hingegen ist skeptischer und setzt sie mit Geisteskrankheit gleich. Am Ende scheint es so als hätten beide ein wenig Recht.
Auch bei dieser Sichtung war ich wieder sehr angetan von Argentos Film. Und ich frage mich, wie man gerade auf die Idee kommt hiervon ein Remake zu drehen, schließlich ist das ein so von der Handschrift seines Machers gezeichneter Film, dass man ihn sich kaum im Werk eines anderen vorstellen kann. Aber womöglich genau deshalb bezeichnet Regisseur Luca Guadigno sein Werk ja auch als „Coverversion“. Das Original ist jedenfalls großartig.
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