Vergessene Stars: Theda Bara

Gibt es einen besseren Weg zur Unsterblichkeit, als ein Filmstar zu sein? Ein Griff ins Regal, ‚Singin‘ in the Rain‘ in den Player gelegt und Debbie Reynolds, Gene Kelly und Donald O’Connor schwingen so fröhlich die Tanzbeine wie eh und je, selbst wenn der Film bald 70 Jahre alt wird und die Darsteller seit Jahren tot sind. Und doch weiß man wer sie sind, denn eine Filmvorführung ist so etwas wie eine Geisterbeschwörung ohne jeden okkulten Hokus-Pokus. Möglich in jedem Wohnzimmer, oder im Kino vor hunderten von Zeugen. Und kein Skeptiker käme je auf die Idee daran zu zweifeln. Auch in hundert Jahren wird man noch wissen wer Meryl Streep ist. Wer Robert DeNiro. Oder auch Cate Blanchet oder Leonardo DiCaprio. Oder Jackie Chan. Ihre (inzwischen längst digitalisierten) Zelluloidgeister werden beschworen werden und dem zukünftigen Publikum dieselben Gefühle entlocken wie heute. Und vielleicht Fragen über die Vergangenheit. Ein Filmstar ist wahrlich unsterblich. Oder?

Okay, vermutlich habt Ihr die Überschrift gelesen und ahnt, dass die Antwort darauf „nein“ lautet. In diesem Artikel möchte ich untersuchen, wie Theda Bara eine der ersten, großen Filmstars wurde, womöglich das erste Sexsymbol aus Hollywood und dann, warum sie (weitgehend) vergessen wurde.

Theodosia Burr Goodman wurde am 29. Juli 1885 in Cincinnati, Ohio geboren. Ihr Vater war ein erfolgreicher Schneider, ursprünglich aus Polen, ihre Mutter war aus der Schweiz eingewandert. Der finanzielle Erfolg ihres Vaters ermöglichte Theodosia ein gutes Leben und die Möglichkeit ihren Traum von der Schauspielerei zu verwirklichen. Sie besuchte von 1904 bis 1905 die Universität von Cincinnati und trat daraufhin in einigen lokalen Theaterproduktionen auf, bevor sie 1908 den großen Schritt wagte, nach New York zu ziehen. Hier hatte sie eine Reihe von Auftritten in Broadwayproduktionen, doch der ganz große Erfolg blieb aus. 1914 hatte sie ihren ersten Auftritt als Nebendarstellerin im FOX Film ‚The Stain‘. Dort muss sie ordentlich Eindruck geschunden haben, denn nur ein Jahr später folgte die Hauptrolle und damit auch gleich ihr Durchbruch in ‚A Fool There Was‘. Einem Film, der auf Rudyard Kiplings Gedicht ‚The Vampire‘ beruhte und sich um eine rücksichtslose Frau dreht, die ihre Sexualität nutzt, um sich reiche Männer gefügig zu machen und sie auszunehmen. Es ist auf diesen Film mit (damals noch) Theodosia Goodman zurückzuführen, dass der Begriff des „Vamp“ für verführerische aber berechnende Frauen, Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch hielt.

Der Film wurde ein durchschlagender Erfolg, Theodosia erhielt einen lukrativen Fünfjahresvertrag mit FOX. Es ist unklar, ob sie sich bewusst darüber war, wie viel Kontrolle über ihr Leben sie damit an FOX überschrieb. Denn sie wurde nicht nur im Film gnadenlos auf die Rolle des Vamp festgelegt (Titel wie ‚Sin‘, ‚The Serpent‘ oder ‚Tiger Woman‘ sprechen für sich), nein, es entstanden auch zahlreiche erotische, leicht bekleidete Fotografien von ihr, für Promotionszwecke und Postkarten. Und FOXs PR beeilte sich zu versichern, dass ihr sexueller Umgang im realen Leben absolut mit dem ihrer Charaktere übereinstimmt. Das stimmte allerdings keineswegs, bester Hinweis darauf ist wohl, dass Theodosia 1915 ihre Eltern bat zu ihr nach New York zu ziehen. Im Gegenteil Goodman scheint ein sehr ruhiges Privatleben geführt zu haben.

Doch das war noch gar nichts. 1917 sollte sie im Film ‚Ceopatra‘ die Titelrolle spielen. Dafür ließ FOX sie nach Los Angeles umziehen. Hier erhielt sie ihren Künstlernamen, Theda nach einem Kosenamen aus der Kindheit und Bara nach einem Großvater mütterlicherseits). Auch wurde ihr hier von der PR Abteilung eine neue Lebensgeschichte geschrieben. Sie sei die Tochter eines italienischen Bildhauers und einer Französin, geboren in Ägypten, später aufgewachsen in Frankreich (zwei Länder, die sie nie besucht hat). Tatsächlich musste ihre ganze nähere Familie (Eltern und zwei jüngere Geschwister) ihren Namen offiziell in „Bara“ ändern. Und als jemandem auffiel, dass Theda Bara ein Anagramm von „arab death“ war, ging die Kreativität mit FOX PR Department endgültig durch. Ihr Vater war nun nicht mehr italienischer Bildhauer, sondern ein arabischer Scheich (ob die fiktive französische Frau mit dem fiktiven arabischen Scheich fremdgegangen ist, oder ob der fiktive italienische Bildhauer nicht mehr existierte ist schwer zu sagen). Und als Kind sei sie von Beduinen entführt worden, die sie ausschließlich mit Schlangenblut ernährten, darum besäße sie die Gabe der Prophetie und nenne sich „The Serpent of the Nile“. Auf Fotografien war sie nun nicht mehr nur in erotischen Posen zu sehen, sondern oftmals mit okkulten Symolen wie Totenschädeln oder Raben. Ein ziemlich offensichtlicher Schachzug, um die Okkultismusbegeisterung der 1910er zu bedienen. Aber es funktionierte offenbar sehr gut.

Theda war mit der Besetzung in Vamp-Filmen unglücklich und noch mehr mit der Groschenroman-Version ihres Lebens. Gelegentlich gelang es ihr FOX zu überreden, ihr „anständigere“ Rollen zu geben, doch wurden diese Filme nie zum Erfolg. Das Publikum wollte den Vamp. Und wie. Bara wurde zu FOXs größtem Star, verdiente 4.000 Dollar (heute knapp 60.000 Dollar) pro Woche (heutige Hollywoodstars stehen dafür natürlich gar nicht erst auf, aber damals war es sehr viel). Andere Studios waren verzweifelt bemüht annähernd ähnlich erfolgreiche Sexsymbole aufzubauen, ohne allzu großen Erfolg. Und doch war Theda 1920, nach über 40 Filmen, so desillusioniert, dass sie nicht nur ihren Vertrag mit FOX auslaufen ließ, sondern der Filmindustrie an sich weitgehend den Rücken kehrte.

Es folgte eine Rückkehr an den Broadway, jetzt in Hauptrollen, wo sie zwar vor vollen Häusern, aber zu vernichtenden Kritiken auftrat. 1921 heiratete sie den Filmregisseur Charles Brabin. Es sollte eine der seltenen glücklichen Hollywood-Ehen werden. 1926 folgte die Titelrolle im Comedy-Kurzfilm ‚Mystery Woman‘ für Hal Roach. Regie führte Stan Laurel, einer von Baras Co-Stars war Oliver Hardy. Wie man bei solchem Personal erwarten würde, nahm Bara hier ihren Ruf als Vamp kräftig aufs Korn. Es sollte ihr letzter Filmauftritt bleiben, in einem Tonfilm hat sie nie mitgespielt.

In den 30er Jahren war sie einige Male im Radio zu hören, die einzigen offiziellen Aufzeichnungen ihrer Stimme, wie hier in der zweiten Hälfte des unteren Clips zu hören.

In einem dieser Interviews sprach sie über ein mögliches Comeback, doch dazu kam es nie. Auch ein in den 40er Jahren geplantes Biopic über sie kam nicht zustande. Ihr letztes Auftreten in der Öffentlichkeit ist tragisch. 1954 kam es zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Schauspielerin Joan Crawford und einem Magazin (quasi die 50er Jahre Version von „Twitter Beef“). Bara äußerte sich hierzu offenbar in einer Weise, die Crawford nicht gefiel und die darauf mit der Aussage „Arme Theda, niemand weiß, dass sie noch lebt.“ reagierte. Das Schnippische wurde tragisch, als Bara einige Monate später, am 4.7.1955 an Magenkrebs, unter dem sie wohl schon eine ganze Weile litt, verstarb. Sie wurde als „Theda Bara Brabin“ beigesetzt.

Crawfords Aussage deutet allerdings an, dass Bara schon zu ihren Lebzeiten quasi vergessen war. Wie konnte es dazu kommen? Ich könnte nun spekulieren. Darüber etwa, dass sie vor allem als Sexsymbol berühmt war und dass sich die Idee des Sexsymbols in den 20er Jahren deutlich änderte. Weibliche Sexualität wurde weniger dämonisiert, etwas worauf ihr Image (das von ihr nicht gewollt war, wie ich noch einmal betonen sollte) voll ausgelegt war. Das änderte sich allerdings schnell wieder mit der Einführung des Hayes Codes (eine Art moralische Vorschrift für Hollywoodfilme) und der Archetyp des „Vamp“ kehrte in den 40ern quasi unverändert als „femme fatale“ des Film Noir zurück. Auch könnte man spekulieren, dass sie 35 Jahre alt war, als ihr Vertrag auslief. Eine Altersgrenze, nach der es selbst heute in Hollywood, auch für sehr fähige Schauspielerinnen, noch schwierig wird gute Rollen zu finden.

Der Hauptgrund ist allerdings deutlich prosaischer. 1937 brannte das FOX Filmlager in New Jersey komplett nieder. Dabei gingen zahllose Stummfilme, darunter beinahe Theda Baras gesamte Karriere, verloren. Das ist ein Punkt der oft vergessen wird: Martin Scorceses Film Foundation geht davon aus, dass 90% aller Stummfilme weltweit verloren sind. Die Deutsche Kinemathek geht ebenfalls von 80-90% Verlust aus. Die frühen Nitratfilme funktionierten nicht nur toll als Brandbeschleuniger und waren oftmals nah an heißen Lampen, nein sie zersetzten sich mit der Zeit auch selbst. Abgesehen davon, dass die Studios nach Einführung des Tonfilms zahllose Stummfilme absichtlich vernichtet haben. Wer könnte den alten Mist je wieder sehen wollen, war ihre falsche Idee.

Aber ganz falsch war das zunächst nicht. Der Wechsel vom Stummfilm zum Tonfilm war ein einschneidender.  Einer den viele Stars nicht geschafft haben (siehe auch den eingangs erwähnten ‚Singin‘ in the Rain‘). Der vergessene Stummfilmstar war ein solcher Archetyp, dass Billy Wilder 1950 mit ‚Boulevard der Dämmerung‘ einen ganzen Film darüber drehte und sich damit in Hollywood nicht gerade beliebt machte. Theda Bara war sicherlich weit bodenständiger als Norma Desmond, doch ihre Situation war mindestens ähnlich.

Wir können also davon ausgehen, dass es viele Theda Baras gibt, die zu ihrer Zeit Stars waren und heute vergessen sind. Der Mechanismus der Unsterblichkeit war in den frühen Film noch nicht eingebaut.

Und doch gibt es natürlich nur eine Theda Bara, die heute häufig als Beispiel genommen wird für eines der frühesten Beispiele des Superstars. Wenn ein Filmstudio versucht aus einem Darsteller mehr als einen normalen Menschen zu machen. Auch wenn diese Versuche aus heutiger Sicht reichlich albern wirken und – schlimmer noch – Bara selbst verletzt haben, sind sie doch eine Blaupause für vieles was später kam. Wobei man sich heute vermutlich fragen kann, in wieweit Theda Bara wirklich vergessen ist. Gibt es doch Artikel wie diesen hier. Oder alles was von ihrer Filmografie übrig ist auf Youtube. Dort habe ich auch mindestens zwei Makeup Tutorials gesehen, falls man sich schminken möchte wie „The Serpent of the Nile“. Womöglich kennt man sie heute also sogar besser als 1954.

5 Gedanken zu “Vergessene Stars: Theda Bara

  1. Das ist mal wieder so ein Beitrag, bei dem man den Aufwand und die Leidenschaft des Autors beim Lesen erkennen kann. Wahrscheinlich aber auch einer, den kaum jemanden interessiert. 🤷🏻‍♂️ Du kennst ja die Faustregel: je größer der Aufwand, desto kleiner die Leserschaft. Umso wichtiger ein positives Feedback dazulassen. 👍

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    • „Du kennst ja die Faustregel: je größer der Aufwand, desto kleiner die Leserschaft.“

      Ach, ich glaube das wirkt nur so. Wenn mal ein Artikel nicht gelesen wird, an dem man nur 5 Minuten gesessen hat, dann wurmt es einen halt nur weniger, als wenn man deutlich länger drüber gebrütet hat.

      Mein erfolgreichster Artikel ist derzeit „Warum essen wir im Kino Popcorn“. Der ist zwar (hoffentlich) nicht schlecht, aber aus völliger Ideenlosigkeit entstanden. Ich habe jeden Versuch Leserinteresse vorrauszusagen aufgegeben. Wobei „völlig unbekannte Stummfilm-Darstellerin“ wird in der Tat keine Massen anziehen, soviel sehe ich ein… 😉

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  2. Pingback: Alan Smithees falsche Freunde: Hollywood und Pseudonyme | filmlichtung

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