‚Spider-Man: A New Universe‘ (2018)

Chris Miller und Phil Lord scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, oftmals zynische Produkte Hollywoods, die rein der Geldschneiderei dienen, mit einer überraschenden Kreativität zu unterfüttern, die man dort sonst selten sieht und ihnen gar eine Aussage mit auf den Weg zu geben. Zuerst nahmen sie sich das Remake vor. In ‚21 Jump Street‘ durchbrachen sie freudig die vierte Wand und teilten dem Zuschauer mit, dass sie wüssten was von Remakes zu halten ist, man aber doch trotz allem gemeinsam Spaß haben könnte. Den „Produktfilm“ bearbeiteten sie mit dem ‚LEGO Movie‘, der allerlei Anwürfe gegen blinden Konsumismus und Korporatismus enthielt und sich für Kreativität, und zwar nicht die individuelle sondern die der Gruppe, aussprach. Gut, was sie aus ‚Star Wars‘ gemacht hätten werden wir nicht erfahren, denn Disney bekam kalte Füße und ersetzte sie bei ‚SOLO‘ um fünf vor zwölf durch das Mensch gewordene „Im Winter besteht Räum- und Streupflicht!“-Schild Ron Howard. Und nun? Nun haben sie den Superheldenfilm beim (nicht vorhandenen) Cape gepackt, zumindest als Autoren und kreativ involvierte Produzenten.

Teenager Miles Morales (Shameik Moore) hat relativ normale Teenager-Probleme. Er hat zwar eine liebevolle Familie, doch seit er sich einen Platz an einer Elite-Highschool erarbeitet hat, kämpft er mit den damit verbundenen Erwartungen. Eines Nachts, als er zusammen mit seinem Onkel Aaron (Mahershala Ali) ein Graffiti in einem verlassenen U-Bahn Seitentunnel sprüht, wird er von einer seltsamen Spinne gebissen. Plötzlich entwickelt er dieselben Fähigkeiten, wie der berühmte Spider-Man. Als er an den Ort seines Bisses zurückkehrt, entdeckt er einen Zugang zu einem unterirdischen Labor. Hier kämpft Spider-Man gegen allerlei Schurken des „Kingpin“, der hier einen Teilchenbeschleuniger betreibt. ‚Spider-Man‘ gerät in den Strahl der Maschine, wird schwer verletzt und vom Kingpin getötet. Es stellt sich heraus, dass er ein junger Mann namens Peter Parker war. Wird Miles, der nun vom unheimlichen Kingpin-Handlanger Prowler verfolgt wird, Peters letzte Bitte, die Maschine stillzulegen, erfüllen können? Wird er ein würdiger Nachfolger von ‚Spider-Man‘ werden? Und wird er dabei recht unerwartete Hilfe erhalten?

Es ist merkwürdig. Ich werde kaum müde immer wieder zu erwähnen, wie satt ich die Superhelden-Origin-Story habe. Und dann kommt dieser Film daher, der zu gut 80% Origin-Story ist und ich empfinde ihn, als einend er erfrischendsten und besten Superheldenfilme der letzten Jahre. Kurz, ich habe vermutlich keine Ahnung was ich eigentlich will. Vermutlich braucht es einfach einen leichten Perspektivwechsel und den bringt der Film mit. Der Teilchenbeschleuniger zieht alles aus Paralleluniversen an, was mit Spider-Man zu tun hat, weil eben der in den Strahl geraten ist. Da ist Peter B. Parker (Jake Johnson), ein Spider-Man um die 40 von Jahrzehnten des Lebens und Fast Foods gezeichnet und der unwillige Mentor von Miles. Spider-Gwen (Hailee Steinfeld), aus einer Welt, in der Gwen Stacy statt Peter von der Spinne gebissen wird. Peter Porker, Spider-Ham (John Mulaney), eine Spinne, die von einem radioaktiven Schwein gebissen wurde, quasi ein Looney Toon. Peni Parker (Kimiko Glen), ein Mädchen aus einer fernen Zukunft, mit Handteller-großen Augen und einem Spinnengesteuerten Roboter namens Sp//der, kurz, direkt einem Anime entsprungen. Und Spider-Man noir (Nicolas Cage), der Name spricht wohl für sich.

Nicht nur unterstreicht diese Vielfalt der Charaktere die Tatsache, dass jeder Spider-Man sein kann, er (oder sie) ist schließlich ein ganz normaler Mensch, kein Genie, kein Billionär, kein Gott, Monster oder Supersoldat. Es eröffnet dem Film auch die Möglichkeit eine Vielfalt von Stilen zu benutzen. Überhaupt wirkt der grundlegende Stil des Films wie direkt einem Comic entsprungen. Über subtile Dinge, die manche Oberflächen wie gedruckt wirken lässt und durch absichtliche „dropped frames“ eine Art Einzelbild-Charakter erreicht, bis hin zu eingeblendeten Gedankenblasen und Textboxen, wie im Comic. Darin perfekt eingepasst sind charakterspezifische Animationsstile. Bei Peni sieht etwa alles animehafter aus, bei Noir wird es schwarz-weiß. Dass all das wie aus einem Guss wirkt und die Erzählung sogar noch unterstützt anstatt sie zu behindern, ist eine außergewöhnliche Leistung, während ich schon daran scheitere es hier einigermaßen adäquat zu beschreiben.

‚A New Universe‘ mag in meinen Augen der beste ‚Spider-Man‘ Film sein (um das schon mal vorweg zu nehmen), aber er hätte niemals der erste sein können. Die Macher spielen damit, dass ihre Charaktere genauso popkulturell gebildet sind, wie ihre Zuschauer. Miles versteht quasi sofort, dass die anderen aus Paralleluniversen stammen, ohne dass dies lang erklärt werden müsste. Das hätte für ein Publikum vor 20 Jahren, ohne Superhelden-“Bildung“ vermutlich nicht funktioniert. Heute weiß aber auch ein mäßig aufmerksamer Kinogänger, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten 3 verschiedene Spinnenmänner gegeben hat. Das macht es ein wenig schade, dass der Films seinen ursprünglichen Plan, Peter B. Parker mit Tobey Maguire zu besetzen, nicht erfüllen durfte, weil es „den Zuschauer verwirrt hätte“. Im Gegenteil, es hätte die Metatextualität des Films noch unterstrichen.

Jeder kann zwar Spider-Man sein, dennoch gehört mehr dazu als nur die Fähigkeiten zu besitzen und ein Kostüm zu kaufen (im Film von Stan Lee, natürlich). Ich habe erst gegen Ende des Films wirklich gemerkt, wie geschickt der Film seine drei zentralen Figuren, Miles, Gwen und Peter B. charakterisiert, weil ich derart im Film gefangen war, dass mir kaum auffiel, wie sie mir ans Herz wuchsen. Ihre Sorgen und Ängste sind zentral und glaubwürdig für ihr Handeln. Selbst Kingpin bekommt ein äußerst glaubwürdiges Motiv dafür, dass er an den Grundfesten des Multiversums rüttelt. Auch wird sehr deutlich wie gut sich die Macher im „Spiderverse“ auskennen, schon allein dadurch, dass sie einen klassischen, aber ziemlich unbekannten Gegner wie Prowler nutzen und, vor allem via Sounddesign (was ist dieses Geräusch? Heftig bearbeitetes Elefantentrompeten, ist meine Vermutung), zu einem wahrlich gruseligen Gegenspieler machen. Zum Glück verlassen sie sich aber nicht auf sinnlose Anspielungen, sondern auf Humor, der direkt aus den Charakteren, allen voran Porker, Peni und noir erwächst. Das liebevolle Design des Films hier auch nur ansatzweise zu erfassen ist geradezu unmöglich und ich bin mir sicher, bei meinem einen Durchgang nur einen Bruchteil gesehen zu haben. Als Beispiel sei aber mein breites Grinsen genannt, als ich gesehen habe, dass die Hochsteckfrisur von Olivia Octavius (dieser Version von Doc Octopus) im Profil wie der Hinterleib eines Tintenfisches aussieht.

Von Shameik Moore hatte ich vor dem Film noch nie gehört, allerdings ist er als Miles großartig. Er spielt ihn mit einer solchen Offenheit, dass man gar nicht anders kann als ihn zu mögen. Und auch Jake Johnson ist toll als Parker, der weit vom Archetyp des weisen Lehrmeisters entfernt ist. Ein wenig selbstverliebt und von seinen unausgesprochenen Versagensängsten getrieben. Überhaupt liefern alle Sprecher hier das Bestmögliche ab. Kurz erwähnt sei nur noch die Besetzung von Tante May mit Lily Tomlin, die rückblickend so offensichtlich wirkt, dass man sich fragt, wie da noch vorher keiner drauf gekommen ist. Zur deutschen Snychro kann ich nichts sagen, wenn ich allerdings lese, dass der Kingpin mit einem „Youtubestar“ besetzt ist, schrillt zumindest mein Spinnensinn.

Wie erwähnt, ist ‚A New Universe‘ mein liebster ‚Spider-Man‘ Film. Und vermutlich einer der besten Superheldenfilme der letzten Jahre und ein völlig berechtigter Oscar-Gewinner. Er hat sogar etwas geschafft, was keinem Film aus diesem Genre gelungen ist: ich würde gern wieder einen Spider-Man Comic lesen. Falls jemand Vorschläge für aktuellere Storybögen hat, die inhaltlich und qualitativ an den Film herankommen hat, gerne in die Kommentare damit.

PS: oh wow, ich habe nichts zur Musik gesagt. Sie ist hervorragend gewählt, teilweise clever in die Handlung integriert und „What’s up Danger“ ist ein Brett!

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9 Gedanken zu “‚Spider-Man: A New Universe‘ (2018)

  1. Höre ich da Seitenhiebe auf Ron Howard? Der hat doch richtig starke Filme gemacht.
    Ich hab den auf dem letzten Drücker in Kino gesehen und fand den lange Zeit überwältigend gut, bis auf das Ende, das war wie ein farbiger epileptischer Anfall.
    Ich würde liebend gerne einen Neo Noir Spider Man Film sehen.

    Gefällt 1 Person

    • Nee, gar nicht. Der Vergeich sollte ihn eher als „vernünftige aber weniger aufregende“ Option darstellen.

      Auf Apollo 13 lass ich nix kommen! 🙂

      Schade, dass das Ende für dich nicht funktioniert hat. Ja, das war visuell arg wild, aber dank der starken Charaktere und der Umkehrung der Peter/Miles Beziehung fand ich es sehr gut.

      Spider Man Noir wär ich auch im Kino, ist aber wohl „zu speziell“ (wenn man sowas heute noch behaupten kann, wo ein Aquaman Film erfolgreich wird…).

      Gefällt 1 Person

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