Der folgende Text enthält keinerlei Spoiler für ‚Avengers: Endgame‘, einen Film, den ich noch nicht gesehen habe und daher gar nicht spoilern kann. Es handelt sich auch nicht um eine Rezension von ‚Avengers: Endgame‘, sondern um eine Betrachtung der Angst vor dem Spoiler an sich.
Ende 2017 habe ich schon einmal einen Beitrag über „Spoiler“ geschrieben. Ich habe aber das Gefühl, dass die Panik (gerade im Internet) bei jedem neuen gigantischen Blockbusterevent vor allzu verräterischen Informationen zunimmt. Und ich für meinen Teil finde das zumindest faszinierend, vielleicht gerade, weil ich es nicht vollständig nachvollziehen kann. Mir persönlich sind Spoiler reichlich egal. Klar, es ist nicht toll vor einem „Whodunnit“ zu wissen, naja, whodunnit. Ich würde allerdings argumentieren, dass ein wirklich guter Film auch dann noch funktioniert, wenn man diese Information hat. ‚Columbo‘ hat vor über 40 Jahren schon gezeigt, dass die Interaktion zwischen Verdächtigen und Inspektor umso interessanter und unterhaltsamer sein kann, wenn der Zuschauer den wahren Täter von Anfang an kennt. Aber die waren auch genau darauf ausgelegt. Heute aber sind Spoiler wahrlich kein Spaß. Berichte über Vollidioten, die eine Vorstellung von ‚Endgame‘ verlassen und den Wartenden Spoiler zurufen gibt es einige. Das kann sogar zu Gewalt führen, wie etwa ein Fall vor einem Kino in Hong Kong, wo ein Mann, der Informationen ins Kino brüllte, verprügelt wurde. Oder ein Fall in einer texanischen Pizzeria, wo ein Angestellter einen anderen angriff, weil der zu viel von ‚Endgame‘ preisgab.
Es ist vielleicht nicht überraschend, dass diese Spoiler-Phobie bei einem Film ihren Höhepunkt erreicht, der der Abschluss einer 11jährigen, Dutzende Filme umfassenden Saga ist. Ein Film, bei dem, dank der Geschehnisse des Vorgängers, selbst eine Castliste schon einen eindeutigen Spoiler darstellen kann. Da gilt es vorsichtig mit Information umzugehen. Der britische Kritiker Mark Kermode, dessen BBC Radioshow/Podcast ich regelmäßig höre, hat sich vor seiner Besprechung von ‚Endgame‘ entschuldigt, dass er ihn nicht besprechen könne, ohne auf zumindest grobe Plotrichtungen einzugehen und riet Hörern, die völlig unvoreingenommen herangehen wollten, auf seine Rezension zu verzichten. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich eine solche Vorsicht von ihm gehört habe, doch scheint es genau das Maß zu sein, das viele Fans von Rezensenten einfordern.
Weltweite Medienphänomene und damit verbundene Informationsungleichheit sind nichts Neues. Sie sind sogar weit älter als der Film selbst. Mitte des 19ten Jahrhunderts waren die Fortsetzungsgeschichten von Charles Dickens (nicht nur) im angelsächsischen Sprachraum sehr beliebt. Aber anders als heute, waren Spoiler damals schwer begehrt. Wenn ein britisches Schiff in einem amerikanischen Hafen anlegte, war es nicht außergewöhnlich, wenn sich dort eine riesige Menschentraube angefunden hatte, die Passagiere und Mannschaft lauthals nach den weiteren Geschehnissen in der neuesten Dickens-Geschichte fragten, weil sie die Tage oder Wochen bis zum Nachdruck in US Magazinen/Zeitungen nicht mehr abwarten wollten. Manche Kapitäne hatten gar Sprachrohre an Bord, um die Wartenden direkt zu informieren, damit die Menge sich auflöst und ein ordentliches Anlegemanöver möglich wurde.
Hier war also ein dringender Wunsch nach Spoilern vorhanden. Man wollte einfach wissen, wie die Geschichte weitergeht, selbst wenn man sie von einem genervten Seemann, vermutlich versetzt mit allerlei Verbalinjurien, zugebrüllt bekam. Heute wäre genau das ein völlig unverzeihlicher Fauxpas. Vermutlich müsste sich die Reederei auf Sozialen Medien entschuldigen. Was hat sich also von der Mitte des 19ten Jahrhunderts bis heute verändert. Ja okay, so ziemlich alles. Für uns interessant ist hier aber vor allem die Verfügbarkeit von Information. Wenn in den 1840ern etwas nicht in den, oftmals heftig zensierten, lokalen Zeitungen stand, dann wusste man es als Normalbürger eben nicht. Wenn man dann einen nahegelegenen Hafen hatte, war es nur logisch dort hinzugehen, wenn ein Schiff aus einer interessanten Region anlegte und nach Neuigkeiten zu fragen. Da hatte man in seinem Freundeskreis direkt ein Pfund, mit dem man wuchern konnte.
Und heute? Heute kann man jede Information erhalten, die man haben möchte, im Zweifelsfall direkt mundgerecht aufbereitet in 280 Zeichen. Aber eben nicht nur Informationen, die man haben möchte, sondern auch solchen, die man gar nicht unbedingt lesen möchte. Und ob sie immer unbedingt korrekter sind, als das, was der rumselige Seebär auf Landgang erzählt hat, ist auch noch eine Frage. Kurz, das Internet erschlägt uns mit einer kaum zu verarbeitenden Menge an Information. Womöglich ist es also gar kein Wunder, dass man dafür eine Art Ventil braucht um diese Flut einmal abzustellen. Und vermutlich ist es erst recht kein Wunder, dass dieses Ventil exakt an einer Stelle ansetzt, die darauf ausgelegt ist direkt unsere Emotionen anzusprechen: bei Kunst. Und dann insbesondere bei medialer Kunst, die ein möglichst breites Publikum erreichen will, am ehesten zu bemerken ist. Information ist Macht, sowohl im 19ten Jahrhundert, als auch heute. Damals war der Ausdruck dieser Macht, die Information dem Interessierten nicht zu geben, heute ist der Ausdruck sie dem Unwilligen dennoch zukommen zu lassen. Und Ende des Jahres geht der Tanz von neuem los, mit dem nächsten ‚Star Wars‘.
Auf diesem Blog ist es mein Ziel, dass niemand Spoiler bekommt, die er oder sie nicht will. Bei aktuellen Filmen halte ich mich möglichst vage in der Beschreibung der Handlung, wenn mir das nicht gelingt, weise ich in einem einleitenden Text auf mögliche Spoiler hin. Bei älteren Filmen gehe ich etwas großzügiger mit Spoilern um, weise aber im Text auch dort auf solche hin, bevor es zu spät ist. Bislang hat sich niemand bei mir beschwert, was bedeutet, dass ich hoffentlich nicht allzu schlecht damit umgehe, selbst wenn sie mich, wie eingangs erwähnt nicht sonderlich stören.
Wie sieht es bei Euch aus? Werdet Ihr von großen Ängsten vor Spoilern getrieben, haltet Ihr sie einfach für etwas nervig oder sind sie Euch, wie mir, weitgehend wurscht. Worin wir uns vermutlich alle einig sind, ist darin, dass es sich nicht gehört Informationen zu einem gerade gesehenen Film in einem Kino-Foyer herumzubrüllen.
Ich würde nicht sagen, dass ich unbedingt Angst vor Spoilern habe, allerdings finde ich sie tatsächlich ziemlich nervig – wobei es allerdings ganz erheblich auf die Art des Spoilers ankommt…mal ein Beispiel: hätte mir damals vor Infinity War jemand gesagt, dass Black Panther sterben würde, hätte mich das zwar nicht gerade gefreut aber es hätte mich auch nicht weitet tangiert, hätte mir allerdings jemand gesagt, dass Thanos alle Steine bekommt und gleich mal die Hälfte der Helden auslöscht, dann wär mir das schon heftig gegen den Strich gegangen. Natürlich bleibt ein guter Film immer ein guter Film, ob ich das Ende nun kenne oder nicht aber trotzdem finde ich nicht, dass massive Spoiler deswegen egal sind…die Erstsichtung eines Films mit unvorhergesehenem Twist am Ende ist ein Erlebnis, welches man keinem anderen verwähren sollte, gerade in einer Zeit wo die Überschwemmung mit Informationen nie geahnte Ausmaße annimmt. Man denke nur daran, wie es gewesen wäre, wenn es diese Informationsflut bereits in den 90er gehabt hätte und man bei Filmen wie Sieben, Memento oder The Sixth Sense einfach mal überall in der Zeitung lesen hätte können, was am Ende passiert…so etwas hätte sicher auch nicht gerade positive Resonanz erhalten aber weil es heutzutage keine Printmedien mehr sind, sondern das Internet scheint einfach alles okay zu sein.
Und übrigens, dein Blog ist in Bezug auf Spoiler wirklich sehr lobenswert…ich hab mich zumindest noch nie gespoilert gefühlt 😉.
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Genau, einen Twist möchte man natürlich nicht verraten haben. Wobei man vielleicht argumentieren könnte, dass es Shyamalans ungeliebten Mittelwerk ganz gut täte, wenn man nicht darauf spicken müsste, was wohl der Twist ist, aber das ist ein anderes Thema.
Einen Twist zu kennen nimmt einem die „naive“ erste Ansicht desjenigen Films. Nehmen wir das Suspiria Remake. Der hat einen veritablen Twist am Ende und wenn ich ihn ein zweites Mal schaue, werde ich ihn von Anfang an auf Hinweise darauf untersuchen. Hätte ich den Twist vor dem ersten mal gekannt, hätte ich ihn schon beim ersten mal so geschaut.
Der originale Suspiria hingegen ist ein Film, wo ich keinerlei Problem sehe, die Handlung zu kennen. Die ist nämlich ziemlich unwichtig und nur der Mörtel, der die kunstvollen Backsteine der Atmosphäre und der Bilder zusammenhält, um eine wirklich gequälte Metapher zu verwenden.
Die besten Spoiler sind aber die, die ohne Kenntnis des Films keinerlei Sinn ergeben. „Rosebud ist der Schlitten“ verdirbt Citizen Kane nicht im Geringsten, weil es für sich genommen völlig bedeutungslos ist.
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Die ungesunde Fixierung von Shyamalan und seinen Fans auf sein ehemaliges Steckenpferd ist für mich ein der großen Schwächen seiner „mittleren“ Schaffensphase – hier wäre die krampfhafte Suche nach dem nächsten großen Twist auf beiden Seiten tatsächlich ein großer Segen für die Filme gewesen. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mit manchen der belächelteren Twists seiner Filme weniger Probleme habe, als viele andere. Das eine Alienrasse nicht weiß, dass Wasser ein ziemlich gefährliche Substanz für sie ist, hat mich zum Beispiel nie wirklich gestört, denn was ist, wenn es auf ihrem Planeten einfach keine vergleichbare Substanz gibt. Und das Argument, dass die guten ja unglaublich intelligent sein müssen weil sie immer weite Reisen durch das All gemeistert haben, ist für mich ein eher schwaches Argument – was hat denn Bitteschön das eine mit dem anderen zu tun. Aber ich schweife ab 😉 .
Wie du richtig sagst, gibt es auch Spoiler, die keinerlei Bedeutung für die Sichtung des Films haben – die Enthüllung von Rosebud ist hier ein hervorragendes Beispiel.
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Haha, oje, da hast Du genau den Twist getroffen, mit dem ich immer die größten Probleme hatte. 😉 Für mich war das immer so, als würden wir Menschen uns dazu entscheiden als erstes den Planteten Ätz V im Salzsäuresystem zu besiedeln.
Ich ahne, dass er sich vermutlich auf H.G. Welles bezieht, wo die Aliens durch Schnupfen besiegt wurden und das die Unwägbarkeiten einer anderen Welt darstellen soll, aber die Ozeane sieht man vom All aus. Ein kurzer Test, ob die giftig sind müsste doch drin sein. Ein bisschen schlauer als die Prometheus Crew dürfen sie schon sein…. 😉
Aber gut, letztlich waren die Aliens eh nur der MacGuffin, der einen Mann seinen Glauben wiederfinden lässt und ich glaube in dem Moment hätte der Film mich verloren, selbst wenn die Aliens völlig logisch wären. Einfach weil die Metapher so wahnsinnig weit ausgeholt ist.
PS: ich würde aber lügen, würde ich behaupten der Film habe nicht seine atmosphärischen Momente.
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Ich muss ja sagen, dass ich „Signs“ prinzipiell nicht besonders gut finde aber eben nicht wegen des Twists, sondern vielmehr wegen allgemeinen Problemen, die ich mit der Geschichte hab.
Klar, ist es von Reisende im Interstellaren-Raum vielleicht nicht die klügste Entscheidung keinen Schutzanzug zu tragen während sie eine fremde Umgebung erkunden aber wie gesagt, das ist ja jetzt nicht nur in diesem Film ein Problem und tangiert mich daher nicht mehr oder weniger als in anderen Filmen, wo sowas vorkommt zB bei Alien Covenant, wo sie auch keine Schutzanzüge tragen nur weil eine lebensfreundliche Atmosphäre besteht.
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Nicht zu vergessen auch, dass damals auf dem Schulhof heiß mit Spoilern gehandelt wurde. Ähnlich wie in deinem Hafenbeispiel: Ich kannte die Handlung von „Ghostbusters“ oder „Gremlins“ schon in und auswendig, bevor ich die Filme sah. Und ich war heiß auf diese Berichte. Wollte alles bis ins kleinste Details wissen. Wir hatten ja damals nix… 😉
Und das hat bestimmt dazu beigetragen, dass ich diese Filme heute so liebe. Das Kopfkino, das sich aus den spoilerhaften Erzählungen ergeben hat.
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Du hast völlig recht, nur dass ich das damals gar nicht als „Spoiler“ wahrgenommen habe. Ich glaube auch Zeitschriften, die sich an Kinder/Jugendliche richteten waren sehr viel „offener“ was Details der Handlung anging und es hat „uns“ (in diesem Fall zumindest Dich und mich, es gab sicher Leute, die das furchtbar fanden) nicht gestört. Und ja, das Kopfkino war teils erstaunlich.
Aber in den 80ern/frühen 90ern war eben auch noch nicht das Internet da. Annähernd ubiquitär wurde es Mitte der 2000er und mit den sozialen Netzwerken dann richtig „vernetzt“. Und in meinen Augen, ist da dann auch die Angst vor dem Spoiler richtig erwacht. Zum ersten Mal aktiv aufgefallen ist es mir beim siebten Potter Band, als es Berichte über „Trolle“ gab, die vor Buchläden Wartenden Details der Handlung zugebrüllt haben.
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Ich gehöre leider (?) zu der Fraktion, die ein echtes Problem mit Spoilern hat. Erst recht, wenn es um solch langlebige Geschichten wie GoT oder das MCU geht, in die ich sehr emotional involviert bin. Das heißt nicht, dass ich jemanden deshalb körperlich angreifen würde, aber ich wäre ihm wirklich böse. Zum Glück habe ich Endgame direkt zum Release geschaut, denn der werte Herr Böhmermann hat in seinem aktuellen Neo Magazin nonchalant das Ende gespoilert ^^
Ich habe meine Gedanken dazu auch schonmal in einem vier Beiträge langen Blogserie aufgeschrieben. Die These, ein guter Film funktioniere auch dann noch, wenn man bereits sein Ende kennt, habe ich damals schon kritisiert – oder vielmehr ihre Abwandlung, die besagt, dass man dann ja keinen Film zwei Mal schauen könnte, wenn man bereits den Ausgang kennt. Da widerspreche ich insofern, als dass ein Spoiler ja ein externer Faktor ist, während alles, was der Film preisgibt, innerhalb des Werkes geschieht und damit der Intention des Autors entspricht. Ein Film kann sich ja nicht selbst spoilern.
Sei’s wie’s sei, jeder hat da seine eigenen Spoiler-Grenzen. Ich finde aber, diese sollten unbedingt respektiert werden. Und da gibt es insbesondere beim Feuilleton noch Nachholbedarf…
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Mich würde in dem Zusammenhang echt interessieren, ob Filme wie z.b „The sixth Sense“ , „Die üblichen Verdächtigen“ oder „Fight Club“ so populär geworden wären, wenn zu jener Zeit bereits so viel online über die Filme zu lesen und hören gewesen wäre wie heute. Wenn man ehrlich ist, ist eigentlich der Hinweis, dass es einen coolen Twist oder ein trauriges Ende gibt, schon ein Spoiler. Irgendwie stellt man sich dann auf das Kommende ein, sodass der Twist (oder was auch immer) dann seine volle Wirkung nicht mehr entfalten kann. Dementsprechend bin ich mir nicht sicher, ob die genannten Filme in der heutigen Zeit die gleiche Wirkung auf die Zuschauer gehabt hätten und im nächsten Schritt dann in Erinnerung geblieben wären.
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Ich glaube die beiden genannten wären zum einen nicht so sehr Opfer des absichtlichen Spoilers, wie das Megablockbuster sind. Zum anderen, als reine Anekdote: ich habe beide Filme mit dem Vorwissen gesehen, dass sie einen Twist enthalten und zumindest für mich haben sie beide dennoch funktioniert. Ich neige aber auch dazu mich auf den Film einzulassen, anstatt zu spicken, was wohl der Twist sein könnte. Sprich, wenn selbst ich ausnahmsweise mal einenTwist erahne will das was heißen. 😉 Ich würde fast sagen, dass Zeitungs/Zeitschriften Rezensionen vor 20 Jahren weit weniger feinfühlig waren, was Spoiler angeht. Insofern hat sich, als jemand der die damals schon gelesen hat, gar nicht sooo viel verändert.
Ich glaube sie würden heute ähnlich gut funktionieren, weil sie auch heute wahrscheinlich erst durch Mund- bzw. Social media Propaganda groß würden und diejenigen, die andere dazu bringen wollen sie zu sehen, wüürden sich hüten sie zu spoilern.
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Du hast vor 20 Jahren schon Filmzeitschriften gelesen? Wie alt bist du denn bitte? 20 Jahre… Das war ja 1999. Oh, nun ja 😂
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