Warnung: die folgende Besprechung enthält notwendigerweise Informationen, die über den Inhalt des ersten Aktes des Films hinausgehen. ‚One Cut oft he Dead‘ ist ein Film, der ein Ansehen ohne jedes Vorwissen sicherlich belohnt (oder für einige auch erschwert…), allerdings bin ich der Meinung, dass „Spoiler“ darüber was später im Film passiert das Vergnügen nicht wirklich arg schmälern… und viel mehr als der Trailer verrate ich auch nicht. Aber jetzt könnt Ihr selbst entscheiden, ob Ihr erst schauen, oder erst lesen wollt.
Normalerweise beginnen Besprechungen von Zombiefilmen auf diesem Blog immer mit demselben Widerspruch. Ich schreibe einige Zeilen darüber, wie satt ich das Zombie-Genre habe, wie übersättigt es ist und wie bar jeder Innovation. Dann folgt eine ziemlich positive Besprechung eines Films, der genau das liefert, was ich mir wünsche, denn warum sollte ich einen schlechten Vertreter aus einem Genre besprechen, dass ich eh nicht sonderlich mag. Das Schöne ist, dass wir uns diesen Tanz diesmal sparen können, denn ‚One Cut oft he Dead‘ ist nicht wirklich ein Zombiefilm. Also er ist schon irgendwo ein Zombiefilm und Zombies spielen eine recht zentrale Rolle, aber letztlich ist es ein Film übers Filmemachen. Und die mag ich oft sehr gerne. Schauen wir uns an, was ich meine.
In einer alten Filtrationsanlage irgendwo in Japan wird ein Zombiefilm gedreht. Regisseur Higurashi (Takayuki Hamatsu) ist nach dem 42. Take einer Szene außer sich, dass es seinen Darstellern nicht gelingt glaubhaft Angst zu transportieren. Und dann widersprechen sie ihm auch noch! In einer Drehpause erzählt Harumi (Harumi Shuhama) den anderen Darstellern von den finsteren Legenden, die sich um die Anlage ranken. Und da geschieht es auch schon: echte Zombies taumeln auf das Set und attackieren die Darsteller. Higurashi erweist sich schnell als Soziopath, der die Kamera weiterlaufen lässt und seine Darsteller in gefährliche Situationen bringt, um echte Angst zu zeigen. Nach 37 Minuten entpuppt sich die in einer einzigen Aufnahme gedrehte, bisherige Handlung als Film im Film. Wir springen einen Monat zurück und sehen wie Higurashi das Angebot bekommt einen Zombiefilm in einer einzigen Aufnahme zu drehen, der zur Eröffnung eines Zombiefilm-Senders live übertragen würde. Im Folgenden sehen wir die Vorbereitung und letztlich einen Blick hinter die Kulissen des obigen One Take-Films und die kleinen und großen Katastrophen, mit denen Higurashi und Kollegen sich währenddessen herumschlagen müssen.
Um direkt mit der Tür ins Haus zu fallen: ich LIEBE diesen Film! Ohne Frage die beste Komödie, die ich bislang in diesem Jahr gesehen habe. Der erste Akt, der titelgebende „One Cut“ würde vermutlich auch für sich allein funktionieren. Mit liebevollem Auge zum Detail stellt Regisseur (also der echte, nicht der im Film) Shinichiro Ueda, die typischen amateurhaften Momente eines Low Budget Werkes dar. Von Schauspielern, die ein wenig zu oft irgendwo jenseits der Kamera schauen, die ihren Text nicht gänzlich sicher zu wissen scheinen. Da wird Blut von der Linse gewischt und der klimaktische Kampf findet offscreen statt, während wir das schreiende Gesicht von Darstellerin Aika (Yuzuki Akiyama) sehen. Das Ganze gipfelt in einer Kranaufnahme, auf die die Macher besonders deswegen stolz scheinen, weil sie einen Kran aufgetrieben haben.
Der kurze zweite Akt muss dann Schwerstarbeit leisten. Nicht nur bereitet Ueda hier sorgfältig die komischsten Momente des dritten Akts vor, auch das emotionale Zentrum des Films findet hier seine Grundlage. Higurashi ist natürlich nicht das Monster, das wir im Film im Film sehen, sondern ein Filmemacher, der ein wenig die Freude an seinem Beruf verloren hat. „Billig und schnell, aber durchschnittlich.“ hat er zu seinem nicht eben inspirierenden Arbeitsmotto erklärt. Das bringt ihn in Konflikt mit seiner 18jährigen Tochter Mao (Mao), ebenfalls angehende Filmemacherin, die vor Leidenschaft für das Medium schier birst.
Der dritte Akt rekontextualisiert dann geschickt eine Menge der Momente aus dem ersten Akt. Entscheidungen werden in Momenten schierer Panik getroffen, während ein betrunkener Darsteller, ein Tonmann mit empfindlichem Magen, ein Kameramann mit Rückenbeschwerden und eine Darstellerin, die sich zu sehr in ihre Rolle vertieft nur einige der Probleme sind, die es zu lösen gilt. Dadurch, dass der Film live übertragen wird und aus einer einzigen Aufnahme besteht, kann Ueda typische Probleme des low budget-Films hier ins Zehnfache überhöhen. Als Slapstick Fan freue ich mich nicht zuletzt darüber, wie oft das auf „körperlichen Humor“ hinausläuft. Dass es dem Film aber gelingt die „Kran“-Aufnahme auch hier wieder zu einem ganz zentralen Element, allerdings zu einem emotional wirklich befriedigenden Moment zu machen ist gleichzeitig so clever und so understated, dass ich es nur bewundern kann.
‚One Cut oft he Dead‘ ist für 3 Millionen Yen (unter 25.000 Euro) entstanden. Der Film trägt seine „Billigkeit“ wie ein Ehrenzeichen vor sich her. Er transportiert die Begeisterung und die Leidenschaft des Genrefilms und funktioniert damit als ein angenehmes Gegengewicht etwa zu ‚Cabin in the Woods‘ der die zynischen Seiten des Horrors beleuchtet. Doch anders als Drew Goddard muss Ueda dafür nicht auf große Metaphern oder eine Metaebene zurückgreifen, sein Film zeigt eine sehr menschliche Sicht auf die Macher und ihre Ideale.
Den Schauspielern merkt man durch die Bank an, dass sie keine allzu große Filmerfahrung mitbringen, doch ist das einerseits sehr passend und andererseits machen dennoch alle ihre Sache mehr als gut genug. Hervorheben möchte ich natürlich vor allem Takayuki Hamatsu und Mao, die einen Großteil des emotionalen Gewichts des Films stemmen. Harumi Shuhama, die dem Ausruf „Pom!“ im Lauf des Films ziemlich exakt 16,348 mal mehr komisches Potential entlockt, als da eigentlich drin stecken sollte. Und Manabu Hosoi als alkoholisierter Zombie, der, nach Angaben seiner Kollegen, hier nicht betrunken spielt, sondern betrunken war. Das nenne ich Method Acting (und damit sind wir dann doch auf der Metaebene gelandet…)! Außerdem sieht er aus wie eine japanische Version von Ray Wise, aber das nur am Rande.
Filme über das Filmemachen gibt es viele, aber es gibt nicht viele die die Begeisterung des „Do It Yourself“- amateurigen Filmemachens so schön transportieren wie ‚One Cut oft he Dead‘. Auf Anhieb fallen mir hier nur der ebenfalls brillante ‚Son of Rambow‘ und Michel Gondrys (zu Unrecht) ziemlich vergessener ‚Be Kind Rewind‘ ein, in dem zwei Nerds versehentlich gelöschte Filme einer Videothek „nachdrehen“.
Es gelingt nicht mehr vielen Filmen in mir das Bedürfnis zu wecken, sie direkt nach dem Ansehen noch einmal zu schauen. ‚One Cut oft he Dead‘ ist genau das gelungen. Randvoll mit ehrlicher Begeisterung für sein Genre und einem dritten Akt, der vermutlich zum Komischsten überhaupt gehört, was ich seit langem gesehen habe hat sich dieser Film einen Platz tief in meinem Herzen gesichert.
Hach, der ist großartig, ich hab mich totgelacht über diese Szenen. Wer Filme liebt, muss den sehen.
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Sehe ich ganz genau so! 🙂
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Der Mittelteil hat mMn schon einige Schwächen. Gerade nach dem Twist tut sich der Film schwer wieder Fahrt auf zu nehmen. Aber alleine für die Idee und die Liebe zum Film, ist der Streifen schon mehr als sehenswert
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Der zweite Akt ist sicher der Schwächste. Aber wie ich geschrieben habe, er muss auch Schwerstarbeit leisten. Die Grundlage für den Film im Film schaffen, alle Charaktere nochmal vorstellen, den Vater-Tochter Konflikt aufbauen und sorgfältig Pointen vorbereiten. Und das alles in so ca. 20 Minuten? Ganz ehrlich, dafür funktioniert er noch erstaunlich gut (ich könnte mir aber vorstellen, dass er sich bei zukünftigen Sichtungen eher noch mehr zieht) und der Payoff im dritten Akt ist umso effektiver.
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Ob es den Konflikt gebraucht hat, ist eine andere Frage
Aber so einem Film verzeihe ich solche Kleinigkeiten gerne
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Mein Bauchgefühl hat mir bereits gesagt, dass du dieses Film lieben wirst, als ich gesehen habe, dass du etwas darüber schreibst ^^
Dass er seine Billigkeit wie ein Ehrenzeichen trägt, ist eine sehr treffende Beschreibung. Ich war ja nicht ganz so begeistert, weil mir der Film ein wenig zu teuer verkauft wurde (*lookin at you, Benni*). Der große Twist hat mich also nicht komplett aus den Socken gehauen. Ich hatte gedacht, da kommt dann noch mehr. Ziemlich schade fand ichs aber, dass sich der Film im Abspann durch das kurze Making-Of wieder ein wenig selbst entzaubert…
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Ich kannte den Twist vorher, aber habe das nicht als großes Problem empfunden. Da man ja nicht weiß, wie genau der Film entstanden ist, funktioniert die spätere Rekontextualisierung der Momente trotzdem.
Das Making offand ich ganz interessant, in sofern es teilweise bestätigt hat, dass viele Dinge genau so gemacht wurden wie das „falsche“ Making of gezeigt hat.
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So dann dürften ja alle aus unserer kleinen Bloggergemeinde den Film gesehen haben 😉
Aktuell habe ich ja einen richtigen Lauf was meine Empfehlungen für dich angehen. Auch wenn du den Film wahrscheinlich sowieso geschaut hättest.
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Hätte ich, aber vielleicht weniger bald. Also danke für die Empfehlung!
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