‚Nocturnal Animals‘ (2016)

Filmrezensionen für ein Blog zu schreiben sollte eigentlich ziemlich einfach sein. Man beschreibt doch schließlich nur kurz den Film, die eigenen Gedanken dazu und ordnet ihn ein wenig in die Filmgeschichte ein. Fertig. Die schwierigsten Filme, um darüber zu schreiben, sind für mich einerseits diejenigen, die mich begeistert haben und die mehr sind als die Summe ihrer Teile. Letztlich kann ich hier aber nur die Teile beschreiben und nicht die Alchemie ihrer Zusammenwirkung. Die müsst Ihr Leser mir dann halt glauben. Noch „schlimmer“ sind andererseits Filme wie dieser, die eigentlich in allen ihren Teilaspekten hervorragend sind, die mich aber dann irgendwie doch nicht vom Hocker reißen können. Ja, damit habe ich meine Bewertung schon ein wenig vorweggenommen, aber bitte lest weiter, bevor Ihr wütende Kommentare tippt oder gleich das Fenster schließt.

Susan Morrow (Amy Adams) leitet eine Kunstgallerie, obwohl sie der meisten Kunst dort distanziert und zynisch gegenübersteht. Abends fährt sie heim in ihren modernistischen Alptraum eines Hauses aus Glas, Beton und spiegelnden Flächen, der das gähnende Vakuum von einer Beziehung zwischen ihr und  Ehemann Hutton (Armie Hammer) umschließt. Da erhält sie völlig unerwartet das Manuskript eines Romans ihres Ex-Mannes Edward (Jake Gyllenhaal). Von nun an spielt der Film auf drei Ebenen. Erstens die „Gegenwart“, in der Susan das Manuskript liest und davon abgestoßen aber auch fasziniert ist. Zweitens Rückblenden zu ihrer Beziehung mit Edward. Und drittens dem Inhalt des Manuskripts selbst. Darin wird ein Mann namens Tony Hastings (ebenfalls Gyllenhaal) zusammen mit seiner Frau Laura (Isla Fisher) und Tochter India (Ellie Bamber) bei der Fahrt durch die texanische Wüste von drei Rednecks unter der Führung von Ray (Aaron Taylor Johnson) von der Straße abgedrängt. Tony wird verprügelt und in der Wüste ausgesetzt, Frau und Tochter von den dreien entführt. Gemeinsam mit dem Polizisten Bobby Andes (Michael Shannon) versucht Tony herauszufinden, was passiert ist.

Ich kenne den Roman ‚Tony & Susan‘ von Austin Wright, den Regisseur Tom Ford hier adaptiert hat, nicht, bin nach dem Film allerdings ein wenig neugierig. Denn im Film funktionieren gewisse Auslassungen, die im Roman vermutlich schwieriger werden. So bekommen wir keine Zeile von Edwards Prosa zu hören oder zu lesen, wir sehen sein Manuskript nur in der Umsetzung in Filmbilder. Und da stellt sich natürlich sofort die Frage, ob er selbst den Hauptcharakter wie sich selbst beschrieben hat, oder ob dieses „Casting“ von Leserin Susan vorgenommen wurde. Auffällig, dass die Ehefrau im Manuskriptteil nicht von Adams, sondern von Isla Fisher gespielt wird, die ihr allerdings sehr, sehr ähnlich sieht. Später geben die Rückblenden durchaus einige Hinweise darauf wessen Fantasie wir hier präsentiert bekommen. Ohne zu viel über die spätere Handlung zu verraten, ein Roman kann bestimmte Emotionen, die sein Autor zu einer bestimmten Zeit empfunden hat transportieren, ohne dass der Roman selbst dabei autobiografisch sein muss. Oder womöglich ist jeder Roman daher in gewisser Weise autobiografisch.

Überhaupt ist der Film am stärksten, wenn es um die Verbindungen zwischen den verschiedenen Handlungsebenen geht, die immer wieder ineinander verlaufen und sich überschneiden. Nicht nur handlungstechnisch auch optisch. Sei es durch bestimmte Objekte, ein rotes Sofa, ein grünes Auto, ein Kreuz um den Hals, oder durch die Haltung oder Positionierung von Figuren. Hier haben Ford und sein Kameramann Seamus McGarvey perfektionistische Detailarbeit geleistet. Nichts ist zufällig in irgendeiner Szene platziert und man beginnt sich langsam aber sicher zu fragen, ob die kalte, distanzierte, leblose Welt der Kunstszene, oder die rohe, brutale Neo Noir-Umgebung von Texas die „wirklichere“ ist. Oder vielleicht doch die sanfter inszenierten Rückblenden und alles andere ist eine furchtbare Zukunftsvision.

Diese fraglose, technische Meisterleistung, mit Ausnahme  weniger Szenen die ich als Fehltritte empfunden habe (ein alberner Jumpscare in einer Babyphone-App und das Ende der Beziehung von Susan und Edward, dass in der Rückblende so überdramatisch inszeniert ist, dass es auch aus einer Daily Soap stammen könnte), ist es aber dann auch die für mich zu einem Problem des Films wird. Ford ist nicht nur Regisseur, er ist auch Modeschöpfer und womöglich ist das gelegentlich ein Problem, denn die Szenen, selbst die im dreckigen Hinterwäldler-Texas in denen Grausiges geschieht, sind derart elegant inszeniert, dass man fast erwartet gleich würden Preisschilder für Klamotten und Accessoires eingeblendet. Ford scheint, wenn er an einer Oberfläche kratzt darunter selten das Menschliche, im Guten wie im Schlechten, zu finden, sondern nur eine weitere Oberfläche, ein weiteres (zugegeben cleveres) Puzzleteil. Das und die Tatsache, dass er Susan, den zentralen Charakter, ganz offensichtlich so überhaupt nicht mag und mich als Zuschauer im Laufe des Films davon überzeugt, obwohl sie vom lebenden Sympathiebonus Amy Adams gespielt wird, lässt den Film für mich im letzten Akt ein wenig auseinanderfallen. Wo er mit einem Donnerschlag enden möchte, bleibt für mich eher ein Schulterzucken.

Der letzte Absatz soll übrigens keineswegs bedeuten, dass Adams schlecht in diesem Film wäre. Im Gegenteil. Sie spielt ihre Susan als jemanden die in ihrem Leben an genau dem Ort gelandet ist, wo sie niemals sein wollte. Ihre Blasiertheit sorgt denn auch dafür, dass sie Kunst nicht mehr wirklich ernst nimmt und daher auch das Manuskript womöglich nicht als das wahrnimmt, was es ist. Jake Gyllenhaal, den wir vor allem als Tony sehen, gibt diesen als das Gegenteil des typischen Helden, den wir in einem solchen Neo Noir Roadmovie sehen würden (man denke etwa an Kurt Russell in ‚Breakdown‘). Tony ist schwach und Gyllenhaal hat kein Problem damit ihn genau so darzustellen. Was das für Edward bedeutet können wir nur erahnen, da wir nur sein Werk nicht aber ihn selbst in der „Gegenwart“ zu sehen bekommen. Die Schau stiehlt, wie so oft, ein wenig Michael Shannon als Polizist, der ab einem bestimmten Moment nichts mehr zu verlieren hat. Kaum ein anderer kann in kleinste Gesten so viel Zorn oder Verachtung legen wie Shannon.

‚Nocturnal Animals‘ ist ein technisch beeindruckender Film mit sehr guten Darstellerleistungen, der mich, wie eingangs erwähnt, ein wenig kalt gelassen hat. Ob es nun wirklich die technische Makellosigkeit selbst gewesen ist, die bei mir für Distanz gesorgt hat oder doch etwas anderes, weiß ich natürlich nicht wirklich. Falls aber irgendwas von dem was ich geschrieben habe interessant klang, dann solltet Ihr den Film dennoch auf jeden Fall schauen. Er ist auf keinen Fall langweilig, auf keinen Fall verschwendete Zeit und die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass Ihr darin mehr werdet finden können als ich. Ich werde ihn sicher irgendwann noch einmal sehen. Nur nicht so bald.

11 Gedanken zu “‚Nocturnal Animals‘ (2016)

  1. „aber bitte lest weiter, bevor Ihr wütende Kommentare tippt oder gleich das Fenster schließt.“

    Du ahnungsloser Einfaltspinsel. Banause! So und jetzt lese ich erst mal den Artikel.

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    • Manchmal frag ich mich, warum ich so wenig böse Kommentare kriege…
      Ein Plagiatsvorwurf hier, ein „Du bist zu blöd zum Lesen“ da, aber ich kann sie immer noch an den Fingern einer Hand abzählen.

      Nicht das ich mich darüber beschwere, das ist nicht als Aufruf zu verstehen!! 😉

      Gefällt 1 Person

  2. Ich fand den richtig gut, muss ihn aber bei Gelegenheit auch noch mal sehen.

    „‚Nocturnal Animals‘ ist ein technisch beeindruckender Film mit sehr guten Darstellerleistungen, der mich, wie eingangs erwähnt, ein wenig kalt gelassen hat.“

    War bei mir ganz anders, auch wenn ich ebenfalls nicht genau erklären kann warum 😉

    Vielleicht hast du ja Lust mit deiner noch frischen Erinnerung hierzu deinen Senf abzugeben:
    https://magofilmtipps.wordpress.com/2017/11/06/interpretation-das-ende-von-nocturnal-animals/

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  3. Das ist einer dieser Filme, bei denen ich mit das breiteste Echo mitbekommen habe. Von restlos begeistert bis wohlwollend bis entgeistert hab ich schon alles gelesen. Ich fand den ganz gut als ich ihn gesehen habe, ist aber doch schon weit verblasst, bis auf die beeindruckenden Bilder und die Leistungen Adams, Gylllenhalls und Shannon, aber die sind ja in der Regel großartig.

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    • Ja technisch beeindruckend und mit guten Darstellern, aber das „Herz“ fehlt ein wenig. Das sind die Filme, die häufig schnell in Vergessenheit geraten. Wobei der Überfall der drei Rednecks auf die Familie schon wahnsinnig unangenehm (im „positiven“ Sinne) inszeniert war und womöglich hängen bleiben könnte.

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