‚All Is Lost‘ (2014)

Robert Redford hat inzwischen schon mehrfach verkündet, dass sein letzter Film auch sein letzter Film wäre und er in den Ruhestand geht. Zuletzt sagte er das über ‚Ein Gauner & Gentleman‘, danach tauchte er allerdings bereits wieder in ‚Avengers: Endgame‘ auf. Zum ersten Mal ließ er einen möglichen Ruhestand bei ‚All Is Lost‘ vermuten. Das ist nicht ganz überraschend, erhält der Film doch durch seinen Aufbau eine sehr persönliche Note und einen würdigen Karriereabschluss hätte er ebenfalls bedeutet.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Irgendwo auf dem Indischen Ozean wird ein älterer Mann (Redford) auf seiner Segelyacht jäh aus dem Schlaf gerissen, als Wasser in die Kabine strömt. Der Segler ist mit einem auf See treibenden Frachtcontainer havariert. In mühevoller Arbeit gelingt es dem Mann sein Schiff vom Container zu befreien und das Leck zu flicken. Allerdings sind Kommunikations- und Navigationsgerät durch das eingedrungene Salzwasser zerstört. Bald droht ein aufziehender Sturm Schiff und Segler den Rest zu geben.

In der heutigen Zeit der Origin-Stories, wo jeder Charakterzug begründet sein will, ist es beinahe schon außergewöhnlich, mit wie wenigen Strichen Autor/Regisseur J.C. Chandor hier seinen Hauptcharakter skizziert, der nicht einmal einen Namen bekommt. Den Großteil seines Textes absolviert der Charakter in den ersten Minuten in einem kurzen Monolog, vermutlich ein Ausschnitt aus einer Nachricht, die er später schreibt. Dort wird deutlich, dass er sich für etwas schuldig fühlt. Er trägt einen Ehering, ist aber allein auf dem Schiff. Überhaupt unternimmt er als Spätsiebziger hier eine Reise, die gefährlich genug scheint, dass alles was passiert nicht völlig überraschend kommen kann.

Das muss als Information ausreichen, denn der Rest des Films lässt kaum Platz für Charakterentwicklung. Es ist ein Ein-Mann-Katastrophenfilm, der fast völlig im Moment funktioniert. Es ist ein unaufhörlicher Kampf gegen die Elemente (okay, ein Element im Speziellen). Der Charakter löst ein tödliches Problem, nur um von einer gleichgültigen Welt mit drei neuen, noch schlimmeren konfrontiert zu werden. Es ist eine geriatrische Version von ‚Gravity‘, die auf dem Meer statt im Weltall spielt (und auf George Clooney als Mut zusprechendem Buzz Lightyear-Verschnitt verzichtet). Alles Mitgefühl, das wir für die Figur empfinden entspringt daher weniger dem weitgehend undefinierten Charakter selbst, sondern dem Spiel Redfords. Und das sorgt dafür, dass die Grenzen zwischen Schauspiel und Wirklichkeit ein wenig verschwimmen.

Wie viel ist noch Schauspiel, wenn Redford bis zu den Schultern im Wasser steht und vor Anstrengung stöhnend versucht zu retten, was aus dem Schiffsrumpf zu retten ist, während seine Finger blau vor Kälte werden? Hat sich der alte Mann vor der Kamera (der laut den Filmemachern mehr seiner Wasserstunts selbst gemacht hat als ihnen lieb war) ähnlich übernommen wie der auf dem Schiff? Wie kann das sein? Das ist doch Bob Woodward, dessen scharfe Feder Nixon stürzen ließ. Johnny Hooker, dem immer noch ein Betrug einfiel. Etwas Wasser kann doch Jeremiah Johnson nicht umbringen! Himmel, Sundance Kid, Du bist alt geworden! Und ich bin mir sicher, auf genau solche Assoziationen legt der Film es auch voll an.

Ich könnte jetzt Vergleiche ziehen, etwa zu dem anderen One Man Show Film ‚No Turning Back‘, zu dem thematisch ähnlichen ‚Life of Pi‘ oder dem oben erwähnten ‚Gravity‘. ‚All Is Lost‘ wirkt aber grundlegend anders als irgendeiner dieser Filme, was tatsächlich weniger an den Bildern als am Ton liegt. Es ist beinahe ein Stummfilm, so wenig gesprochener Text kommt darin vor. Es ist für die Hörgewohnheit heutiger Filme ein bewusst anderes Sounddesign. Der Anfang wird definiert vom Knirschen der geborstenen Bordwand an der Ecke des Containers. Die kurze Zeit, wenn der Trip wieder in eine gute Richtung zu laufen scheint vom Schlagen der Wellen an den Rumpf und sanften Windgeräuschen. Wenn dann aber der Sturm zu heulen beginnt, der Rumpf knirscht, das Segel schlägt, dann brauchen wir gar keinen Dialog um zu wissen was los ist. Und falls wir es doch nicht verstehen genügt ein Blick in Redfords Gesicht.

Dieses exakte Sounddesign wird durch den Soundtrack von Alex Ebert nur unterstützt. Weitgehend Ambient mit wenigen erkennbaren Melodien, lässt er stets dem Sound den Vortritt. Ich wage zu bezweifeln, ob er abseits des Films in irgendeiner Weise funktioniert, aber im Film erfüllt er voll seine Funktion.

‚All Is Lost‘ ist ein faszinierender, kleiner Film mit einem faszinierenden, großen Darsteller, der hoffentlich noch viele „letzte Filme“ drehen wird. Ich vermute, dass ‚All Is Lost‘ um so besser funktioniert, je mehr Redford „Vorbildung“ man mit hineinbringt. Das wirklich Überraschende ist, dass J.C. Chandor, nach diesem gelungenen Film, die hochkonzentrierte Langeweile geschaffen hat, als die ich ‚A Most Violent Year‘ erlebt habe…

 

PS: ich möchte kurz auf die extreme Zurückhaltung hinweisen, die es erforderte auf spaßige(?) Überschriften wie „Der alte Mann und das Meer“, oder „Schiffbruch mit Container“, oder „Gravity: jetzt auch unter Wasser“ zu verzichten. Doch ich bin mir sicher, damit im Sinner aller gehandelt zu haben. Danke.

8 Gedanken zu “‚All Is Lost‘ (2014)

  1. Sehr eindringlich, sehr atmosphärisch. Durch das (beinahe völlig) Fehler, jeglicher Dialoge habe ich mich vollkommen in die Situation einfühlen können. Beeindruckend natürlich auch Redfords schauspielerische Leistung.

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