Was hat man eigentlich vor 40 Jahren in Deutschland für Filme geschaut? Was davon ist in das Unterbewusstsein der Popkultur übergegangen? Was ist vollkommen vergessen? Was hatte einen Einfluss auf mich (obwohl ich es erst deutlich später gesehen haben kann) und wovon habe ich womöglich noch nie gehört? Wenn es Euch gefällt würde ich hieraus gerne eine Reihe machen, die nach und nach die 10 erfolgreichsten Kinofilme in Deutschland Jahr für Jahr von 1979 an durchgeht. Als Grundlage dafür nutzen werde ich die Kinocharts der Seite Chartsurfer. Warum gerade vor 40 Jahren anfangen? Keine Ahnung, ist ehrlich gesagt relativ willkürlich gewählt, vor allem ist es eine schöne runde Zahl.
Was war vor 40 Jahren so los auf der Welt? Bestimmt lauter Sachen an die man sich heute gar nicht mehr erinnert, oder? 1979 wurde im Iran der despotische Schah Pahlewi gestürzt, die „Islamische Revolution“ unter ihrem religiösen Führer Chomeini übernahm die Macht und stellte sich in direkte Konfrontation mit den USA. Im Irak übernahm die Baath-Partei unter Saddam Hussein die Macht und stellte sich in direkte Konfrontation mit dem Iran. Auf Three Mile Island in Harrisburg, Pennsylvania ereignete sich das bis dato größte Kernkraftwerkunglück aller Zeiten mit einer partiellen Kernschmelze. Die Havarie der Tanker Atlantic Empress und Aegean Captain vor der Insel Tobago löste eine gigantische Ölpest aus. In Hamburg sprengten sich drei Kinder beim Spielen mit Chemikalien in die Luft, die quasi unbewacht auf dem Gelände der Chemischen Fabrik Stoltzenberg herumgelegen hatten. Die Firma wurde geschlossen, der Justizsenator entlassen, rechtliche Ermittlungen wurden keine angestellt. Mit der Bremer Grünen Liste zog zum ersten Mal eine grüne Partei in ein Landesparlament ein, noch ein Jahr vor Gründung der Bundespartei. Und der HSV wurde deutscher Fußballmeister. Jetzt aber lieber schnell ins Kino!
- ‚Der Windhund‘
Zeit direkt mit einem Geständnis anzufangen: in der Filmografie von Jean Paul Belmondo kenne ich mich bestenfalls lückenhaft aus. Diesen von Georges Lautner in Nizza gedrehten Actionkrimi, kenne ich jedenfalls nicht. Eine kurze Recherche hat allerdings erbracht, dass der Film damit warb, dass Belmondo quasi alle seine Stunts selbst gemacht hat. Etwas, das definitiv ein Echo in den heutigen ‚Mission Impossible‘ Filmen und Tom Cruise findet. Wenn jemand Klügeres zu diesem Film mitzuteilen hat, gerne in die Kommentare!
- ‚Der Große Mit Seinem Außerirdischen Kleinen‘
So, in der Filmografie von Bud Spencer kenne ich mich schon mal direkt besser aus. Hier gibt der schwergewichtige Italiener einen gemütlichen aber bestimmten Sherriff in einer amerikanischen Kleinstadt, wo er auf einen kleinen Jungen trifft, der behauptet ein Außerirdischer zu sein und dies mit seiner „Photonenkanone“, einer Art Fernbedienung, die allerlei Unmögliches möglich macht, auch beweisen kann. Wie im vorjährigen ‚Sie nannten ihn Mücke‘ ist Buddies Gegenspieler hier Kartoffelquetscher Raimund Harmstorf, der den Armee Captain Briggs gibt, der den Jungen und vor allem die Photonenkanone haben will. Regie führt (wie schon bei ‚…Mücke‘) Michele Lupo. Gedreht wurde in der Kleinstadt Newnan in Georgia. Auffällig ist der Film in Spencers Filmografie höchstens für seinen SciFi Einschlag, ansonsten gehört er nicht unbedingt zu meinen Favoriten. Die billigen Photonenkanoneneffekte werten die typischen Kloppereien nicht wirklich auf. Aber hey, es ist ein Bud Spencer Film. Da weiß man exakt was man bekommt: Kloppe und Rainer Brandt Sprüche. Und manchmal reicht genau das. Thematisch fällt natürlich die Ähnlichkeit zum späteren ‚E.T.‘ auf und zumindest Spencer war fest überzeugt, dass Spielberg hier inspiriert wurde. Da der Darsteller des Außerirdischen, Cary Guffey, eine Entdeckung Spielbergs war ist es durchaus möglich, dass er den Film gesehen und Spencer recht hat.
- ‚ Zombie – Dawn of the Dead‘
12 Jahre hatte es dauern sollen, bis George Romero eine Fortsetzung zu ‚Night oft he Living Dead‘ drehen konnte. Nach seinem kommerziellen Flop ‚Martin‘ wollte ihm kaum noch jemand Geld geben und erst eine Finanzspritze und gutes Zureden von ‚Night…‘-Fan Dario Argento machten es möglich. Argento erstellte dann einen eigenen, flotteren Schnitt des Films, der in den meisten europäischen Ländern gezeigt wurde (man stelle sich das mal heute vor) und Musik seiner Hauskomponisten Goblin verwendete. Dieser wurde leicht gekürzt auch in Deutschland gezeigt. Interessierte Romero sich im ersten Film noch kaum für die Ghule/Zombies, wichtiger war ihm die Dynamik der belagerten Menschen untereinander, machte er sie hier zu einer Kapitalismus- und Konsumkritik. Noch im Tode stolpern sie hirnlos durch die Gänge eines Einkaufszentrums, getrieben nur vom Wunsch nach Konsum. Auch die Überlebenden fliehen hier hin und benehmen sich wie in jenem Kindertraum im Kaufhaus vergessen zu werden. Die deutsche Kritik erkannte nicht, dass wir die Zombies sind und die Zombies wir und unterstellte Romero direkt eine „Herrenmenschenpolitik“. Es gibt sicher Zombiefilme, denen man diese vorwerfen kann, Romeros aber nun gerade mMn. am allerwenigsten…
Es sollte noch bis zur moralischen Panik der Videojahre in den 80ern dauern, bis der Film in Deutschland beschlagnahmt (nicht nur indiziert!) wurde. 1979 konnte man sogar noch eine Heimkinovariante auf 16mm Film bekommen. 50 Minuten lang auf drei Rollen für je(!) 150 D-Mark. Heimkino war mal richtig teuer.
- ‚Apocalypse Now‘
Und da haben wir ihn, den ersten fraglosen Klassiker in dieser Top 10. Francis Ford Coppolas freie Adaption von Joseph Conrads „Heart Of Darkness“, die die Handlung in den Vietnamkonflikt verlegt gilt, je nachdem wen man fragt, als bester Film über den Vietnamkrieg, bester Antikriegsfilm oder gar bester Film überhaupt. Unter schwierigsten Bedingungen (siehe auch hier) auf den Philippinen gedreht, geht Coppola ganz offensiv mit dem Problem des Antikriegsfilms um, dass die ästhetische Wirkung kriegerischer Szenen, diese schnell ihre „Anti“-Wirkung verlieren lassen. Coppola zeigt wie man am Krieg verrückt wird. Fast scheint er zu sagen, das Verrücktwerden ist der einzig vernünftige Umgang mit dem Krieg. Es gibt keine „Guten“ im Krieg, nur Lügen, die man sich selbst erzählt und im schlimmsten Fall auch noch selbst glaubt. Dass es nach diesem Film überhaupt noch Diskussionen über „sauberen Krieg“ gibt, sagt vermutlich etwas über die Grenzen dessen aus, was Kunst erreichen kann.
Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass wohl die meistzitierte und –parodierte Szene des Films diejenige ist, in der sich Coppola voll der falschen Ästhetik des Krieges hingibt: der Hubschrauberangriff unterlegt vom „Walkürenritt“. Von der Tatsache, dass Coppola die letzten 40 Jahre immer weiter an dem Film herumgeschraubt hat, über die ‚Redux‘-Fassung von 2001 bis zum gerade eben erschienen ‚Final Cut‘, kann man halten was man will, der Stellung des Films tut das wenig Abbruch.
- ‚Die Blechtrommel‘
Der erste deutsche Film in den Top 10 und der allererste deutsche Gewinner des „Fremdsprachen-Oscars“. Passend, geht es in Volker Schlöndorffs Verfilmung des gleichnamigen Günther Grass Romans doch um Oskar Mazerath, der sich in den 30er Jahren 11jährig absichtlich eine Treppe hinunterwirft, um sein Wachstum einzustellen und dann als distanzierter Beobachter, auf seine Blechtrommel hämmernd und Glas zerkreischend, eine immer verlogenere, erwachsene Welt schrill zu kommentieren und vorzuführen, ohne sich ihr letztlich entziehen zu können. ‚Die Blechtrommel‘ ist einer dieser Filme, die vermutlich am meisten Laufzeit in Deutsch-Leistungskursen bekommen dürfte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man fraglos das Meiste aus dem Film herausholen kann, wenn man Grass‘ Roman kennt. Das Verzichten auf eine im Roman vorhandene Rahmenhandlung lässt den Film zwar besser fließen, lässt Oskars Charakter aber gelegentlich mit einem gewissen Fragezeichen versehen. Dennoch versammelt Schlöndorff so ziemlich alles was zu der Zeit im deutschen Film Rang und Namen hatte und verzichtet auch nicht auf groteskere Szenen des Romans, etwa dem Fischen nach Aalen mit einem Pferdekopf oder dem Verschlucken eines NSDAP-Ansteckers mit geöffneter Sicherheitsnadel und tödlichen Folgen.
Einen kleinen Skandal löste der Film fast 20 Jahre nach Erscheinen in den USA aus, wo ein wütender Vater klagte, nachdem seine Tochter die Sichtung des Films als Hausaufgabe bekommen hatte. Er wollte in einer Szene mit David Bennent, dem jungen Darsteller des Oskar, Kinderpornografie erkannt haben. In letzter Instanz wurde die Klage abgelehnt mit der Begründung, bei ‚Der Blechtrommel‘ würde es sich um „ein echtes Kunstwerk“ handeln. Was für Rechtsprechung so wunderbar schwammig ist, dass man fast selbst auf eine Blechtrommel hämmern möchte.
Nächste Woche wenden wir uns der oberen Hälfte der Top 10 zu, wo Ihr glauben werdet, dass ein Mann fliegen kann und die Wiederaufführung eines Films einer Krisenfirma alle anderen alt aussehen lässt! Ich hoffe wir sehen uns im holzvertäfelten, rauchverhangenen Kinosaal von 1979.
Falls jemand ne knackigere Titelidee als „Top 10 Filme von damals“ für eine mögliche Reihe hat, wäre ich Vorschlägen nicht abgeneigt…
Retro-Kinocharts 😊
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Ist jedenfalls schon mal knackiger…
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Apocalypse Now ist natürlich ein Klassiker und Bud Spencer geht auch ohne Terence Hill, aber ich möchte nochmal betonen wie schlimm „Die Blechtrommel“ ist. Dass der nen Oscar hat ist einer der größten Frechheiten der Academy.
Zur Idee: Schöne Idee, wollte 2020 etwas ähnliches zu den erfolgreichsten Songs der jeweiligen Jahre machen, würde aber an deiner Stelle die Top 10 in einem Beitrag zusammenfassen.
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Ja, das Format ist eher noch nicht endgültig. Muss sich zeigen, ob ich in der Lage bin, mich zu den Filmen kurz genug zu fassen, um einen Artikel aus einer Top 10 zu machen… ;).
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Das nenne ich mal ein Langzeitprojekt. Super Idee und super interessant.
Ob ein Film wie Apocalypse Now heute noch so viele ins Kino locken würde? Wohl eher nicht. Ich kann übrigens den Final Cut empfehlen. Der Sound kommt da erst so richtig raus und die Franzosen wurden gekürzt – Was will man mehr? 😀
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Irgendwann sehe ich den Fina Cut sicher. Letztens hatte ich die BluRay schon in der Hand, hab sie aber erstmal zurückgelegt. Ein drittes Mal Geld für den Film auf Heimmedien auszugeben will wohlbegründet sein… 😉
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Apocalypse Now und Blechtrommel sind natürlich zwei „must-see“ – Sachen 🙂
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Eine kurze Recherche hat allerdings erbracht, dass der Film damit warb, dass Belmondo quasi alle seine Stunts selbst gemacht hat. Etwas, das definitiv ein Echo in den heutigen ‚Mission Impossible‘ Filmen und Tom Cruise findet. Wenn jemand Klügeres zu diesem Film mitzuteilen hat, gerne in die Kommentare!
Na ja, damit wurde ja ungefähr 20 Jahre lang bei gefühlt jedem zweiten Belmondo-Film geworben. Wobei ich nicht weiß, ob das einer peniblen Überprüfung standgehalten hätte, oder ob da auch etwas Übertreibung dabei war. Aber so im Großen und Ganzen stimmte das schon, und los ging das schon spätestens 1964 bei ABENTEUER IN RIO, der ja atemberaubende Stunts hat. Wobei die Film-immanent durch den leicht comichaften Charakter (Tim und Struppi lässt grüßen) abgemildert wurden, aber das machte die Herstellung der Szenen ja nicht weniger halsbrecherisch.
Ich bin aber der Meinung, dass Belmondo seine Erfolgsmasche in der 70er Jahren zu sehr strapaziert und totgeritten hat, so dass die Filme irgendwann austauschbar wurden. So weiß ich jetzt gar nicht, ob ich DER WINDHUND überhaupt gesehen habe. Zuerst dachte ich, das sei der mit Raquel Welch, aber nein, das war EIN IRRER TYP von 1977. Dabei konnte „Bebel“ auch anders – er hat ja sogar mal (bei Melville!) einen Pfarrer gespielt (und das war kein Don Camillo).
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Wie glaubhaft das mit den „selbstgemachten“ Stunts ist, ist immer so ein Ding… (okay, wenn sich Cruise den Fuss bricht, muss ich es wohl glauben).
Ich glaube das ist mein hauptprobem mit der Handvoll Belmondo Filmen, die ich kenne: es sit schwer sie auseinanderzuhalten. Aber gut, dass kann man über Bud Süencer Filme vermutlich mit noch größerem Recht sagen.
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