Diesen Film habe ich doch eine ganze Weile vor mir hergeschoben. Quentin Tarantinos letzte Filme waren sicherlich nicht schlecht, aber vom Hocker gerissen haben sie mich auch nicht wirklich. Ich denke jedes Mal, der Mann bräuchte einen Cutter, der sich noch traut ihm mal zu widersprechen. Mäandernd und ausufernd sind seine späteren Filme in einer Weise, die seinem Geschichtenerzählen selten entgegenkommt. Da überrascht es vielleicht nicht, dass ich nicht eben gerannt bin, um ‚Once Upon A Time In Hollywood‘ mit seinen über 160 Minuten zu schauen. Was möglicherweise überrascht (nicht zuletzt mich), ist meine Reaktion auf den Film…
Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist in den 50ern mit der TV-Western-Serie ‚Bounty Law‘ zum Star geworden. Nachdem seine Filmkarriere nicht so recht starten wollte, muss er 1969 Schurkenrollen in allerlei Fernsehserien spielen. Steigbügelhalter für eine neue Generation von Stars sein, wie Produzent Marvin Schwarz (Al Pacino) es ausdrückt. Jedoch hält Dalton, gemeinsam mit seinem langjährigen Stuntman, Handlanger für alles und Saufkumpan Cliff Booth (Brad Pitt) Schwarzs Idee nach Rom zu gehen und dort als Star in Italo-Western aufzutreten für grotesk. Dalton ist schließlich Teil von Hollywood! Hat dort ein Haus, und nicht nur gemietet! Dieses Haus liegt im Cielo Drive, direkt neben dem von Roman Polanski und Sharon Tate (Margot Robbie). Dem Haus, in dem im Sommer 1969 die „Manson Familie“ die hochschwangere Tate und drei Freunde ermorden würde.
Nur um es direkt klarzustellen: ‚Once Upon A Time in Hollywood‘ ist ein langer, mäandernder Film, der sich vollkommen in Nebensächlichkeiten verliert. ABER (und die Großbuchstaben machen hoffentlich klar, dass das ein wichtiges „aber“ ist) sie sind hier absolut wesentliches Element. Denn Zeit scheint etwas zu sein, was die Protagonisten des Films glauben im Überfluss haben. Dalton erleben wir vor allem in seinen Drehpausen, wenn seine Unsicherheiten ihn zu überwältigen drohen, oder bei langen abendlichen (und oftmals einsamen) Saufgelagen. Wir begleiten Booth bei zahllosen Autofahrten von a nach b, beim Erledigen kleiner Handwerksarbeiten, oder beim freundlichen Flirt mit Hippie-Mädel „Pussycat“ (Margaret Qualley). Sharon Tate schaut im Kino ihre eigenen Filme an oder besucht Parties im Playboy Mansion. Zeit scheint in endlosem Maße vorhanden. Doch Daltons Karriere, die Beziehung von Booth und Dalton und das gesamte namensgebende Hollywood bewegen sich auf entscheidende Veränderungen zu.
1969 gilt allgemein als die Geburtsstunde des „New Hollywood“. Dennis Hoppers ‚Easy Rider‘ (der im Film nicht direkt erwähnt wird) löste eine Art Erdbeben aus. Die Reste des alten Studiosystems, die sich noch an die Erfolge von Sandalenfilmen, Komödien und Musicals klammern, werden für die Idee des „Auteurs“ in den 70ern entmachtet. Die heute völlig überrepräsentierten Jugendlichen sahen damals zum ersten Mal Filme, die speziell auf sie als Zielgruppe zugeschnitten waren und von Leuten gemacht, die sie verstanden. Das alte Hollywood, es war einmal. Gleichzeitig war es thematisch auch eine sehr düstere, paranoide Zeit im Hollywoodfilm. Einen Teil dafür verantwortlich war sicherlich auch das grausige Schicksal von Sharon Tate, das wie eine unausgesprochene Drohung über diesem Film hängt.
Die Charaktere selbst ahnen von solchen Umwälzungen aber so gar nichts und so leben sie durch einen (mehr oder weniger) „lazy summer“, der tatsächlich endlos erscheint. Und den Quentin Tarantino zum ausufernden, aber zum Glück niemals aufdringlichen Fachsimpeln nutzt. Wir sehen Dalton in allerlei Filme und Serien hineingeschnitten, zahllose Filmplakate ziehen an uns vorüber. Je mehr man über das Hollywood (und die Manson Morde) dieser Zeit weiß, umso mehr wird man vermutlich aus dem Film herausholen können. Man muss allerdings gar nichts wissen, um ihn genießen zu können, denn Tarantino scheint hier einen Zeitgeist und einen Spiritus Loci perfekt einzufangen und auf den Zuschauer zu transportieren. Tarantino setzt uns auf den Rücksitz von Booths Wagen und nimmt uns mit auf Reise durch eine träumerische und gleichzeitig zu verträumte Welt.
Ich kann es hier vielleicht mal ganz offen sagen: ich war noch nie der größte Fan von DiCaprio. Versteht mich nicht falsch, er ist ein absolut kompetenter und charismatischer Darsteller. Ich hatte nur noch nie das Gefühl, dass er sich vollkommen in einem Charakter verliert. Dass ich nicht mehr DiCaprio sehe. Bei Rick Dalton war das der Fall. Ironischer weise ist es genau der Moment, nachdem seine achtjährige Szenenpartnerin zu Rick Dalton sagt, sein Auftritt in einer Westernserie sei „das beste Schauspiel, dass sie je gesehen hat“. Seine Freude über dieses Lob eines kleinen Kindes ist gleichzeitig so pathetisch-lächerlich, so tief empfunden und so merkwürdig nachvollziehbar, dass DiCaprio in diesem Moment für mich Dalton geschaffen hat. Will sagen, das ist „das beste Schauspiel, dass sie je (von DiCaprio) gesehen habe“. Es scheint als sei er geboren um die Rolle des unsicheren Darstellers weit über seinen Zenit hinaus zu spielen. Und das meine ich nicht so fies wie sich das vermutlich anhört! Pitt erinnert in seiner in sich ruhenden Darstellung von Cliff Booth frappierend an einen jüngeren Robert Redford. Booth ist der ultimative Mann hinter den Kulissen. Ohne den Hollywood zusammenstürzte, den aber niemand wahrnimmt. So lebt er auch in einem Trailer hinter der Leinwand eines Autokinos. Das diese Rolle als stiller Handlanger mehr an ihm nagt als er sich eingesteht, sieht man gut an zwei Flashbacks, die gerade zu den kontroverstesten Szenen des Films wurden. Der Kampf gegen den arroganten Bruce Lee (Mike Moh) und die Szene, in der Booths Frau, die er (vermutlich) ermordet hat, als nervige Schreckschraube präsentiert wird, zeigt der Film explizit als Erinnerungen von Booth. Das heißt sie sagen vermutlich mehr über seinen Charakter aus, als über das was Tarantino über Lee oder Frauen denken mag. Vor allem, da wir Lee ins einen kurzen anderen Szenen stets als freundlich und professionell erleben. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass Sharon Tate so wenig Dialog bekommen hat. Objektiv ist das korrekt. Jedoch gelingt es Robbie und Tarantino dennoch aus ihr einen absolut runden Charakter zu machen. Insbesondere als exakte Antithese zum von Zweifeln zerfressenen Dalton. Hätte dem jemand gesagt, er solle für ein Foto neben seinem Filmposter posieren, damit man wisse wer er ist, hätte das eine Panikattacke und den Konsum von literweise Whiskey sour ausgelöst. Tate zuckt die Schultern und sagt „klar“. In einem Moment sind sie sich dann doch nahe. Wenn Tate still das Lachen des Publikums über ihre Komödie ‚Rollkommando‘ genießt, dann erinnert das an Daltons oben erwähnte Freude. Ich vermute man wollte Tate hier aus Respekt nicht irgendwelche Dialoge in den Mund legen. Konzentriert sich auf belegbare Situationen. So sehen wir etwa, wie sie den Roman „Tess von den d’Urbervilles“ kauft, den sie kurz vor ihrem Tod Polanski schenkte, der ihn später verfilmen und ihr widmen würde.
‚Once Upon A Time in Hollywood‘ ist Tarantinos bester Film vermutlich seit ‚Jackie Brown‘, sicherlich seit ‚Inglorious Basterds‘. Ich habe lange keinen seiner Filme mehr geliebt, aber den hier kann ich unumwunden sagen, finde ich nichts weniger als großartig. Ich kann kaum erwarten ihn noch einmal zu sehen. Und das ist selten bei einem 160 Minuten Schinken.
Wer übrigens, für den Film oder einfach so mehr über diese Zeit in Hollywood erfahren möchte und Podcasts nicht gänzlich abgeneigt ist, dem sei die Staffel „Charles Mansons Hollywood“ aus dem Hollywood-Historien-Podcast „You Must Remember This“ von Katarina Longworth empfohlen.
Ich möchte unbedingt ein paar Worte zum Ende sagen, es folgen also EXTREME SPOILER, die DAS ENDE DES FILMS VERRATEN! Ihr seid gewarnt, falls Ihr es selbst erleben wollt!
Sharon Tates Schicksal hängt, wie erwähnt, dräuend über dem Film. Ich habe so meine Probleme mit „True Crime“. Der Verfilmung realer Verbrechen. Das kann sich sehr schnell sehr unangenehm exploitativ anfühlen. Und dann auch noch in einem Film von Quentin Tarantino, der für die coole, unterhaltsame Darstellung von Gewalt bekannt ist. Will ich von dem wirklich die Aufarbeitung eines scheußlichen Verbrechens, an dem so gar nichts cool oder unterhaltsam ist? Hier hätte ich ihm durchaus mehr trauen dürfen. Er zieht dasselbe As aus dem Ärmel wie schon in ‚Inglorious Basterds‘ und in gewisser Weise in ‚Django‘. Er nutzt die Popkultur als eine Art Heilmittel für geschehenes Unrecht. Tate und Freunde haben das Glück einen unsicheren, sturzbesoffenen Seriendarsteller als Nachbarn zu haben, der ihre Möchtergernmörder derart nervt (hier erfolgt die indirekte Erwähnung von ‚Easy Rider‘, wenn Dalton „Tex“ Watson als Dennis Hopper bezeichnet), dass sie stattdessen auf ihn losgehen. Und er hat das Glück einen Freund zu haben der es auch noch vollkommen high mit mörderischen Hippies aufnehmen kann*. Und die Angewohnheit funktionstüchtige Requisiten mit nach Hause zu nehmen. Die sich hier entspinnende Gewalt fühlt sich jedoch nicht kathartisch an, wie bei den ‚Basterds‘. Sie schwankt zwischen groteskem, tiefschwarzen Humor und sadistischer Überzeichnung, wenn etwa Booth den Schädel von Katie Krenwinkle 20-mal öfter als nötig gegen einen Kaminsims schmettert. Das passt zur, erstaunlich kritischen, Auseinandersetzung des Films mit medialer Gewalt, die immer wieder einmal auftaucht. Haben Dalton und Booth nun die Zukunft Hollywoods geändert? Wer weiß, um Booth schert sich immer noch niemand, aber Dalton trifft zum ersten Mal seine quicklebendige Nachbarin. Und macht Fernseh-Zigarettenreklame, eine weitere Sache, die sich offensichtlich niemals ändern wird…
* hier zeigt sich übrigens, dass sich Wissen über die Zeit für den Film lohnt. Wer sich wirklich gut mit der Manson Familie auskennt, sieht bereits früh eine Andeutung des Endes. „Clem“ Grogan, der Booth die Reifen zersticht, hat in der Realität einen Stuntman auf der Spahn Ranch erschlagen. Hier wird er von Booth, einem Stuntman, zu Brei geprügelt.
Ich gucke den inzwischen immer wieder gern. Es brauchte aber seine Zeit und einige Sichtungen, bis „Once upon….“ und ich eine Beziehung miteinander eingegangen sind ☺️
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Ja, Django hat es bei mir auf zweimal gebracht Hateful 8 ist bei einem Mal geblieben. Das wird für Once… sicherlich anders sein.
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Schön, dass jemand sich meiner These anschließt, dass dies der beste Tarantino seit Jackie Brown ist.
Sonst kann ich deine Hypothese bestätigen, dass man auch ohne historisches Kontextwissen wunderbar eintauchen kann. Meine Kinobegleitung kannte nicht einmal die Mansonmorde und war begeistert von dem Film. Ansonsten noch Danke für diese Sichtweise, die mir nochmal ein wenig neues zum Film eröffnet hat
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Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass der Film auch ohne jegliches Vorwissen funktioniert. Einzig verwirrend vielleicht die Szene, wenn Manson am Cielo Drive auftaucht und sich nach dem frührern Besitzer erkundigt (wobei der Film nie explizit sagt, dass das Manson ist, wenn ich micht nicht irre). Insgesamt ist er aber, durchaus gewollt, eine Nicht-Entität in der Geschichte.
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