In den 2000ern wurde der Franzose Alexandre Aja als großer Hoffnungsträger des Horrors gefeiert. Und ich muss für meinen Teil gestehen, ich habe nie so recht verstanden warum. ‚High Tension‘ war ein handwerklich gekonnter Slasher, mit einem Twist so doof, dass er den Rest des Films nachträglich ruinierte. ‚The Hills Have Eyes‘ stammt aus dieser Zeit, in der schockierende Klassiker der 70er für die Ära des „Torture Porn“ mit mehr Gewalt und Sadismus geremaket wurden und dabei einem Großteil ihrer Wirkkraft beraubt wurden. ‚Piranha 3D‘ war durchaus unterhaltsamer Trash, aber nichts, was ich dringend nochmal sehen müsste. In den 2010ern wurde es dann stiller um Aja. ‚Horns‘ scheint kaum noch jemand gesehen zu haben und von ‚The 9th Life of Louis Drax‘ habe ich erst erfahren, nachdem ich gerade gelesen habe, was er in den letzten Jahren so gemacht hat. Mit ‚Crawl‘ scheint ihm nun ein bissiges, kleines Comeback gelungen. Doch wird es auch der Film, mit dem er mich endlich überzeugen kann? (Sicherlich sein größtes erklärtes Ziel seit 2003…)
Haley (Kaya Scodelario) besucht mit einem Schwimmer-Stipendium die Universität von Florida. Sie erhält einen besorgten Anruf von ihrer Schwester. Ihr Vater Dave (Barry Pepper) befindet sich genau im Gefahrenbereich eines schweren Hurrikans, ist aber telefonisch nicht erreichbar. Obwohl sie von ihrem Vater und früheren Trainer entfremdet ist, zögert Haley nicht, nach dem Rechten zu sehen. Dafür muss sie sich an Polizeisperren vorbei ins Evakuierungsgebiet begeben. Im Elternhaus entdeckt sie Dave schwer verletzt im Kriechkeller hinter ein paar Rohren. Zwei riesige Alligatoren sind aus dem nahen Gewässer in den Keller gekommen und befinden sich nun zwischen den beiden und der Treppe ins Freie. Da der niedrige Keller sehr schnell mit Flutwasser vollläuft, gilt es recht dringend einen Fluchtweg zu finden.
Ich betone ja gerne, wie wichtig mir die Etablierung eines Ortes im Film, gerade im Horrorfilm, ist, um eine Bühne zu schaffen, auf der dann an „bekanntem“ Ort Unerwartetes geschehen kann. Das gelingt Aja mit seinem Kellersetting hier sehr gut. Sind unsere Protagonisten anfangs den Alligatoren auf trockenem Boden noch halbwegs überlegen, wird die Situation mit steigendem Wasser stetig dramatischer. Hier gelingt auch sehr gut die Vermischung aus der persönlichen Gefahr der reptilischen Großmäuler und der völlig unpersönlichen des Sturmes. Diese Vermischung lässt auch für das angenehm ungewohnte Setting im Keller eines Vororthauses, gegenüber einer Tankstelle, anstatt etwa der üblichen Hütte sonstwo im Sumpf funktionieren. Da ist man dann auch gern bereit, dem Film den einen oder anderen Klischee-Moment zu verzeihen.
Worauf ‚Crawl‘ vollkommen verzichtet ist augenzwinkernder (Meta-)Humor. Der ist bei Tierhorror ja oft genug üblich, bei Krokodil-Horror etwa denkt man vermutlich am ehesten an so etwas wie ‚Lake Placid‘. Allerdings ist er viel zu oft ein Werkzeug um gewisse Logiklöcher in der Geschichte zu übertünchen. Oder davon abzulenken, dass man ja letztlich nur die weidlich bekannten, spätestens seit ‚Der Weiße Hai‘ in vielzahnigen Stein gemeißelten Standardsituationen durchgeht. Aja und die Drehbuchautoren Michael und Shawn Rasmussen haben hier allerdings genug Vertrauen in ihre Story, dass sie sich voll auf Spannung, gelegentliche Überraschung und Biss verlassen können. Für die mit ca. 13 Millionen Dollar nicht eben üppig ausgestattete Produktion sind auch die Alligator Effekte sehr gut ausgefallen. Nicht zuletzt, weil man sich wohl bewusst war, sie sparsam einsetzen zu müssen, weshalb jedes Auftreten der Viecher auch gleich ernste Gefahr bedeutet. Dafür setzt der Film auch einige effektive Gewaltspitzen ein.
Erzählerisch ist der Film weitgehend unprätentiös. Er liefert uns zwei sympathische Charaktere in einer scheußlichen Situation, aus der wir sie entkommen sehen wollen. Setzt vor dieses Ziel aber jede Menge Reihen langer Reißzähne und matschiges Wasser. Ein moderner Vergleich wäre wohl am ehesten ‚The Shallows‘, wobei ich ‚Crawl‘ eine Nasenlänge vorne sehe. Im Hai-Horror wirkte das Aufrollen ihrer Familienprobleme der Protagonistin arg aufgesetzt. Hier aber ahnen Vater und Tochter unausgesprochen, dass sie vermutlich ihre letzte gemeinsame Zeit verbringen, es ist also ganz nachvollziehbar, dass sie Vergangenes aufarbeiten, wenn sie sich nicht gerade der Todesrolle eines urzeitlichen Reptils erwehren müssen.
Kaya Scodelario bezeichnet die Dreharbeiten als die schwersten ihrer Karriere. 16-18 stündige Drehtage, zum guten Teil in hüfthohem Wasser herumspringend. Abends fühlte sie sich meist vollkommen zerschlagen, hat sich im Laufe aber „nur“ einen Finger gebrochen. Dennoch wirkt sie zufrieden mit dem Ergebnis und das völlig zu Recht, würde ich sagen. Sie gibt ihrer Haley eine zielstrebige Entschlossenheit, unterstützt von einem Buch, das ihr erlaubt durchaus klug zu handeln. Barry Peppers Dave merkt man das Ungewohnte der Hilflosigkeit, die mit seinem gebrochenen Bein einhergeht an. Er ist jemand, der ungern Schwäche zeigt, etwas was er an seine Tochter weitergegeben hat, was ihre Beziehung schwierig macht. Spätestens hier muss ich Terrier Sugar erwähnen, der prima Hundeschauspiel abliefert, aber klug genug ist, nicht in den Keller zu gehen. Gute Arbeit, Sugar!
‚Crawl‘ liefert exakt, was man erwarten würde. Geradlinigen Tierhorror ohne große Schnörkel oder Ambitionen hier mehr als fiese Alligatoren im Hurrikan zeigen zu wollen. Und genau damit hat mich Alexandre Aja dann tatsächlich überzeugt. Das war der erste Film von ihm, mit dem ich richtig Spaß hatte. Nicht zuletzt, weil er sich bewusst war, dass das ein Stoff ist, der in unter 90 Minuten durch ist. Empfehlung.
Anmerkung: ich bin mir bewusst, dass sich „Schni-Schna-Schnappi“ aus der Überschrift auf ein Krokodil bezieht. Auf ein ägyptisches Nilkrokodil, um genau zu sein. Im Film handelt es sich hingegen natürlich um Mississippi-Alligatoren (im fiktiven Florida, gefilmt im realen Serbien, nur um die geografische Verwirrung zu erhöhen). Für einen blöden Gag in der Überschrift sei mir diese kleine zoologische Inkorrektheit hoffentlich verziehen. Dafür, dass Ihr jetzt diesen Ohrwurm mit Euch herumtragen müsst, verdiene ich hingegen keinerlei Nachsicht…
Deine Besprechung ist wie erwartet ausgefallen. Du erwähnt alle Punkte, über die ich eher leichtfertig drübergegangen bin. Insofern Empfehlung auch wieder einmal für dein Blog. Klasse, gefällt mir 🙂
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Dankeschön! 🙂
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Mal wieder einer dieser traurigen Trailer, die alles zeigen, was es im Film zu sehen gibt, ohne neugierig zu machen.
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Ach ja, Trailer-Machen, genau wie Poster-Machen, ist eine in den letzten Jahren leider ziemlich heruntergekommene Kunst. Das schlimmste ist die Gleichförmigkeit. Gefühlt jeder Trailer muss 2,5 Minuten lang sein. Für einen Film wie diesen reichen dreissig Sekunden. Vater und Tochter im überfluteten Keller + Alligatoren. Das ist alles was er vermitteln muss.
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Besonders schlimm, wenn dann schon alle „Highlights“ des Films im überlangen Trailer gezeigt wurden.
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Ich mochte den Film, auch wenn mir die Prämisse des Tierhorrors nicht unbedingt zusagt. Ebenso wie Haie sind Alligatoren nicht per se so bösartit wie immer dargestellt. Aber das muss man bei solchen Filmen dann einfach vergessen.
Nicht vergessen werde ich den mit Absicht herbeigeführten Ohrwurm…
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Da hast Du natürlich völlig Recht. Der Film versucht es ja ein wenig mit
SPOILER SPOILER SPOILER
dem Gelege im Keller zu erklären, aber die Alligatoren draußen, die sich über Polizei und Räuber hermachen erklärt das nicht.
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Ja, wie gesagt, die Prämisse muss man bei solchen Filmen wahrscheinlich einfach akzeptieren.
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