‚Der Löwe im Winter‘ (1968) – Weihnachten bei Plantagenets

1183 lädt der alternde englische König Henry II (Peter O’Toole) zu Weihnachten auf die Burg Chinon. Hier will er nicht nur Weihnachten im Kreis seiner „Lieben“ verbringen, er will auch endlich verkünden welcher seiner drei Söhne sein Nachfolger werden soll. Denn das angevinische Imperium aus England, Teilen Irlands und riesigen Ländereien im Westen Frankreichs aufzuteilen kommt nicht in Frage. Seit dem Tod seines Ältesten, Henry dem Jüngeren, stehen alle drei lebenden Söhne in dessen Schatten. Da ist der nun Älteste, der ritterliche Richard (Anthony Hopkins), der kühl distanzierte Geoffrey (John Castle) und der Jüngste, der von Henry geliebte, von allen anderen als verwöhnter Stinker wahrgenommene John (Nigel Terry). Doch entscheidende Besucherin des Weihnachtsfests dürfte Henrys Ehefrau Eleanore von Aquitanien (Katharine Hepburn) sein. Da sie mehrfach gegen Henry konspirierte sitzt sie seit 10 Jahren auf einer Burg in Hausarrest, den sie nur für die Feiertage verlässt. Friedlich gestimmt hat sie die Gefangenschaft keinesfalls. Und dann ist da noch Philipp II von Frankreich (Timothy Dalton) als Gast. Der möchte endlich seine Schwester Alais (Jane Merrow) mit Richard vermählt sehen, wofür sein Vater sie vor Jahren an Henry, samt reichhaltiger Aussteuer, übergeben hat. Doch Henry hat lieber selbst eine Affäre mit der jungen Frau. Weit mehr als genug Sprengstoff also, um das Weihnachtsfest nicht allzu gemütlich zu gestalten.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von James Goldman, der es auch für den Film adaptiert und dafür den Oscar gewonnen hat. Bei Theaterstück und mittelalterlichen englischen Monarchen denkt man natürlich zwangsläufig an Shakespeare. Doch wo der Große Barde fest an die Monarchie glaubte, schlechte Könige waren bei ihm meist illegitime Usurpatoren, hat der amerikanische Dramatiker in der Mitte des 20ten Jahrhunderts einen anderen Blick darauf. Er präsentiert die Plantagenets als dysfunktionale Familie in stressiger Vorweihnachtszeit. Dafür bedient sich das Stück und damit der Film eines interessanten Spagats. Vom Vokabular her mögen die Dialoge der Zeit angemessen sein, sprachlich jedoch sind sie zweifelsfrei in der Mitte des 20ten Jahrhunderts zu verorten („Hush, dear! Mother is fighting!“). Genauso sind die Kulissen sehr realistisch mittelalterlich, gedreht an mehreren realen Burgen und Abteien, während die Innenaufnahmen im Studio entstanden. Auch der König muss sich am kalten Wintermorgen durch eine Eisschicht auf der Waschschüssel boxen, Hunde streunen herum und der einzige Luxus der Festhalle ist ausgelegtes Stroh. Gleichzeitig darf man die Historizität eines Weihnachtsbaumes und Geschenkpakten mit Namensschildchen wohl bezweifeln. Auch hier setzt der Film die Klammer zwischen Geschichte und Moderne.

Aber auch wenn die Konflikte der Plantagenets teilweise modern wirken, kommt ein absurdes Element hinzu dadurch, dass alles was sie tun und sagen politisch motiviert ist. Die Verleihung der Königswürde ist sowohl ein Akt elterlicher Liebe als auch ein hochwichtiger politischer Akt. Wenn Henry seine Affäre mit Alais nicht aufgibt und sie vermählt, droht er eine Provinz zu verlieren, die nur einen Tagesmarsch von Paris entfernt und somit ein Dolch auf Frankreichs Herz gerichtet ist.

Henry präsentiert sich als aufbrausender Polterer, was mehr als nur ein wenig Fassade ist. Eleanore tritt als giftige Zynikerin in Erscheinung, der alles Recht ist, solange es nur Henry schadet. Auch das ist Fassade. Die Söhne sind ein wenig ehrlicher. Richard macht keinen Hehl daraus jeden umbringen zu wollen, der zwischen ihm und dem Thron steht. Geoffrey ist ein schmieriger Verrätertyp, der nicht versteht, warum ihn niemand mag. Und John ist ein schwacher Feigling, der erwartet von seinem Vater alles zu bekommen, was er braucht. Offen und ehrlich tritt eigentlich nur Alais auf, was schnell dazu führt, dass sie zu einem Spielball in den Ränken der Königsfamilie wird.

So dysfunktional ist aber diese Königsfamilie, dass diese Ränke und Allianzen oft genug kaum lange genug halten, bis alle Beteiligten den Raum verlassen haben. Am deutlichsten wird das in einer der zentralen Szenen des Films, in der beinahe die gesamten Plantagenets nach und nach spätabends im Schlafzimmer von Phillip auftauchen. Immer wenn es klopft versteckt sich der Anwesende hinter einem Wandteppich. Diese Kungelei spielt dem französischen König natürlich voll in die Hände, der nichts lieber tut, als die Söhne gegen den Vater auszuspielen, mit dem Ziel Frankreich die Überreste des Streits auflesen zu lassen.

Regisseur Anthony Harvey versucht gar nicht zu verbergen, dass dem Film ein Theaterstück zugrundeliegt. Sehen wir am Anfang noch kurz ein Turnier und eine Schlacht, bleiben wir für den Rest des Films an den Orten innerhalb der Burg Chinon. Dennoch gelingt es ihm und Kameramann Douglas Slocombe, der Jahre später mit Spielberg die ‚Indiana Jones‘ Filme drehen würde, den Aufnahmen Dynamik zu verpassen. Die bekannten Orte aus neuen Perspektiven zu zeigen, wie neue Situationen es verlangen. Und doch sind der entscheidende Faktor für das Gelingend es Films, neben dem Drehbuch, hier selbstverständlich die Darsteller. Und die sind mehr als hervorragend aufgelegt.

Peter O’Toole spielt Henry II hier zum zweiten mal nach ‚Becket‘. Eigentlich ist er für diesen Henry deutlich zu jung, doch gibt er hier das laute, alte Schlachtross absolut überzeugend. Gefangen zwischen der Egomanie eines Königs und trotz allem Liebe für seine Familie, endet der Film gar mit einem leisen Moment der Hoffnung für Henry. Katherine Hepburn ist hier nichts weniger als großartig. Sie hat hier vermutlich das größte emotionale Spektrum, vom feuerspeienden Drachen bis hin zur Mutterliebe für die Geliebte ihres Mannes abzubilden und leistet das, im wahrsten Sinne des Wortes, spielerisch. Auch bekommt sie die größten Lacher des Films. Ein verdienter dritter Oscar für ihre, zu diesem Zeitpunkt schon lange, Karriere. Anthony Hopkins in seinem zweiten Film (nicht dem ersten, wie ich mal behauptet habe, danke an Manfred Polak) gibt den Richard als Ebenbild streitbarer Ritterlichkeit. Der einzige Mensch vor dem er wirklich Angst zu haben scheint, ist sein Vater. Geoffrey wird von John Castle als der verlorene Sohn der Familie gegeben. Der sich womöglich schon mit dem Amt des Statthalters statt Königs zufrieden gibt, aber wenig Geheimnis daraus macht, den jeweiligen König eilig zu verraten. Nigel Terrys John ist ein feiger Nichtsnutz, der sich eher zufällig in starker Position findet. Ironisch, dass Terry später für Boormans ‚Excalibur‘ den idealen König Artus geben würde. Jane Merrows Alais ist, wie erwähnt, die einzig wirklich ehrliche Person des ganzen Films. Sie spielt sie dementsprechend mit großer emotionaler Offenheit. Und Neuling Timothy Dalton ist wunderbar ölig und gleichzeitig streitbar als junger König, der es satt hat von den Plantagenets gedemütigt zu werden.

Aus der Geschichte wissen wir, dass es nicht wirklich ein Happy End nahm für diese Familie. Geoffrey starb bei einem Turnier, Richard unterwarf den Vater militärisch und erzwang sich das alleinige Erbe. Von seinen zehn Jahren Regierungszeit verbrachte er aber nur sechs Monate daheim, ansonsten führte er Krieg. Und wie wir alle aus Robin Hood wissen, setzte er John als verräterischen Statthalter ein. Der beerbte ihn später auch, verlor große Teile der französischen Besitzungen und ließ sich von den englischen Baronen die Magna Carta aufzwingen.

Und doch lässt dieser weihnachtliche Einblick in eine dysfunktionale Familie den Zuschauer, nicht nur der grandios formulierten und vorgetragenen Dialoge wegen, auf gewisse Weise beschwingt zurück. Ein sicherlich untypischer Weihnachtsfilm, doch einer, der durchaus als solcher funktioniert!

Mehr zum Thema ‚Der Löwe im Winter‘ von Manfred Polak findet Ihr hier.

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