Die 70er waren eine Zeit der Erschütterung des Vertrauens in den US-amerikanischen Staat. Der scheinbar unendliche Vietnam-Krieg, mit Nixon ein paranoider Präsident im Amt, der Feindeslisten unterhielt und schließlich mit dem Watergate-Einbruch beim politischen Gegner eine der größten Affären der Geschichte der Vereinigten Staaten auslöste. Der Leak der „Family Jewels“, einer Zusammentragung der illegalen und schlicht widerwärtigen Aktionen der CIA. Dieses brodelnde Misstrauen auch im eigenen Land hatte natürlich auch Auswirkung auf die Popkultur. Und so feierte der „Paranoia-Thriller“ Erfolg. Gelegentlich, vor allem damals, auch als „Anti-Bond-Thriller“ bezeichnet. Hier sind Geheimagenten keine Helden, sondern willfährige Ausführende teilweise kaum noch nachvollziehbarer Befehle, denen sie letztlich genauso schnell wie jeder andere zum Opfer fallen konnten. Einer der Begründer dieses Trends ist ‚Die drei Tage des Condor‘ vom Erfolgsduo Regisseur Sydney Pollack und Hauptdarsteller Robert Redford.
Joseph Turner (Redford) arbeitet für den Nachrichtendienst CIA. Mitten in New York, als literarische Gesellschaft getarnt, sichten er und Kollegen international veröffentlichte Literatur nach möglichen Codes oder Plänen. Eines Tages holt Turner das Mittagessen für die Kollegen, findet sie jedoch bei seiner Rückkehr ermordet, die Büros verwüstet. Einen Anruf beim Panikbüro später wird ihm mitgeteilt, ein hochrangiges Mitglied der CIA würde Turner, in Begleitung einer ihm bekannten Vertrauensperson, „nach Hause holen“. Doch beim Treffen wird die Vertrauensperson erschossen und auch auf Turner das Feuer eröffnet. Und plötzlich wird dem Mann ohne jede Felderfahrung klar, dass die CIA selbst versucht ihn aus dem Weg zu räumen. Er entführt die Fotografin Kathy Hale (Faye Dunaway), um bei ihr unterzutauchen und zu überlegen, wie er aus der Klemme entkommen kann. Währenddessen ist Joubert (Max von Sydow), der Söldner verantwortlich für das Massaker in der „literarischen Gesellschaft“, schon hart auf seinen Fersen.
In die „Anti-Bond“ Prämisse lehnt sich der Film von Anfang voll rein. Redfords Turner mit trendigen 70er-Koteletten, der in Schlaghosen und Cord-Jackett auf dem Klapper-Mofa zur beschaulichen Agentenarbeit aus Literatursichtung und Computereingabe tuckert, könnte vom eleganten, tödlichen Bond kaum weiter entfern sein. Bis eben die freundlichen Kollegen alle tot am Boden liegen und Turner, nicht etwa aus irgendwelchen heldenhaften Gründen, sondern reinem Zufall den Mord überlebt. Seine einzige Stärke ist, dass er liest. Alles. Abenteuerromane, Thriller, Krimis. Bücher, die genau jede Ausnahmesituationen beschreiben, in der er sich jetzt findet. So wird sein Charakter beinahe zum Metakommentar auf den Thrillerhelden, der weiß was passieren könnte, genau wie wir es als Zuschauer wissen. Der aber dennoch nicht verhindern kann in einer Verschwörung verstrickt zu werden, die immer größer, beinahe kosmisch, zu werden scheint. In teilweise quälend langen Einstellungen dreht Pollack die Spannung höher und höher. Die Hintergründe der Verschwörung fühlen sich am Ende dann erschreckenderweise auch noch so aktuell an, dass sie gestern (oder wenigstens vor 20 statt 40 Jahren) hätte entstanden sein können.
Pollack formuliert hier den zentralen Satz des Paranoia-Kinos „You think not getting caught in a lie is the same thing as telling the truth?“. Einen Satz der häufig, nicht zuletzt von Pollack selber, etwa in ‚Die Firma‘, zitiert und abgewandelt würde. Das Verschwimmen von Wahrheit und Lüge, das Auflösen von Vertrauen. ‚Die drei Tage des Condor‘ ist ein einflussreicher Film. Ein Einfluss, der selbst in unserem heutigen Superhelden-Mainstream noch wirkt, auch wenn eine Figur wie Turner heute wohl kein Thrillerheld mehr wäre und falls doch müsste nach 20 Minuten seine geheime Special ops Ausbildung zum Tragen kommen und er links und rechts Hälse brechen. Nein, die Heldenrolle übernimmt heute Captain America in ‚The Return of the First Avenger‘, der die Handlung in weiten Teilen nachstellt und Redford stattdessen als Schurken castet.
Dann gibt es aber auch die Teile des Films die nicht (mehr) so gut funktionieren. Und da ist ganz vorne die Beziehung zwischen Turner und Hale zu nennen. Dass sich die Fotografin direkt mal in den Kerl verliebt, der sie mit vorgehaltener Waffe entführt, gefesselt auf dem Klo einsperrt und ihr eine völlige Räuberpistole als Begründung auftischt ist, Stockholm-Syndrom hin oder her, mindestens mal schwierig. Aber eben auch sehr 70er-typisch. Da ist es vor allem Faye Dunaway zu verdanken, dass sie den holprigen Dialogen ihres Charakters eine überraschende Menschlichkeit zu verleihen weiß. Und, das muss man Pollack zugutehalten, sie bekommt immerhin etwas zu tun in der Handlung und bleibt nicht reiner „love-Interest“.
Überhaupt lebt der Film von seinen Darstellern. Robert Redford anfangs charmant wie immer, gibt hier überzeugend den Mann, der derart in die Verzweiflung getrieben wird, dass er bereit ist immer weiter zu gehen, um sich zu retten und notwendigerweise eine Verschwörung aufzudecken. Faye Dunaways Leistung in einer eher undankbaren Rolle habe ich ja schon weiter oben gelobt. Cliff Robertson als undursichtiger Kontaktmann für „Condor“ Joseph Turner bei der CIA, zunächst Vertrauensfigur dann Symbol für Korruption und Machtgier des Geheimdienstes, schafft diese Bandbreite mit geradezu unangenehmer Leichtigkeit darzustellen. Wer allerdings am Ende des Tages wirklich im Gedächtnis bleibt ist Max von Sydows Auftragskiller Joubert. In Aussehen und Gebaren wie jemandes freundlicher Onkel, ist er ein absolut rücksichtsloser, nichts und niemandem verbundener Mörder. Für Geld zu töten, so teilt er Turner jovial mit, sei gar kein übler Job. Niemand würde erwarten, dass man an irgendetwas glaubt. Keine Sache, keine Gerechtigkeit, nur man selbst und was man kann. Er ist die freundlich-nihilistische Fratze eines Systems, das aus den Fugen geraten ist.
Weihnachten spielt übrigens eine deutlich kleinere Rolle im Film als ich in Erinnerung hatte. Von ein paar diegetischen Weihnachtsliedern abgesehen, um nicht zu sagen „Good King Wencelas“ tönt an jeder Ecke, und der Flucht durch Scharen von Geschenke-Shoppern ist da nicht viel. Passt ja. Während die anderen Filme des Monats Weihnachten feiern, war ‚Die drei Tage des Condor‘ halt gerade Essen holen…
Sehenswert ist er heute auf jeden Fall noch immer. Die Story wirkt erstaunlich aktuell, der bodenständige Spannungsaufbau ist effektiv und Robert Redford kloppt sich mit einem mörderischen Postboten. Was kann man mehr wollen?
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