Ändert ein Oscar, egal für wie bedeutungslos man ihn halten mag, die Art wie man einen Film schaut? Schaut man einen Oscargewinner immer mit einem kritischeren Auge, ob er den Preis denn auch verdient habe? Ich hätte das ehrlich gesagt immer verneint und ich fand ‚Moonlight‘, als ich ihn das erste Mal ein paar Monate nach der Oscarverleihung 2017 gesehen habe einen durchaus guten Film und einen würdigen Gewinner. Aber als ich ihn jetzt, ein paar Jahre später mit keinem Gedanken mehr an Oscars als das geschaut habe was er letztlich ist, ein kleiner Indie-Arthouse-Film, hat er mich allerdings geradezu umgehauen. Hatte ich also wieder einmal unrecht. Aber um mich oder Oscars soll es hier nicht gehen, sondern um den Film.
Der Film ist in drei distinkte Kapitel unterteilt, die alle verschiedene Lebensabschnitte von Hauptcharakter Chiron zeigen. Im ersten Kapitel „Little“ findet der afro-kubanische Drogendealer Juan (Mahershala Ali) den kleinen Chiron (Alex Hibbert), Spitzname Little, der sich in einem Crackhouse in Miami vor Schulschlägern versteckt. Die beiden freunden sich an und Juan wird zu einer Art Vaterfigur für den zurückgezogenen, stillen Chiron, der bei seiner alleinerziehenden, drogenabhängigen Mutter Paula (Naomie Harris) lebt.
Im zweiten Kapitel „Chiron“ sehen wir den Hauptcharakter (Ashton Sanders) zum Teenager herangewachsen. Nicht mehr „little“ sondern im Gegenteil ziemlich schlacksig, ist er immer noch sehr still und immer noch beliebtes Ziel von Bullies. Er hat seine erste sexuelle Erfahrung mit Schulkamerad Kevin (Jharrel Jerome), die sehr schnell von einem traumatischen Ereignis gefolgt wird.
Im dritten Kapitel „Black“ sehen wir Chiron (Trevante Rhodes) als Drogendealer in seinen 20ern. Von Miami nach Atlanta gezogen hat er sich ein hartes Image, einen Panzer aus Bling und Muskeln zugelegt. Ein Panzer, der sehr schnell Risse bekommt, als er einen Anruf aus einem vergangenen Leben erhält.
Der Film basiert auf einem nie veröffentlichten Theaterstück von Tarell Alvin McCraney. Im Stück würde man je 24 Stunden aus den drei Lebensabschnitten sehen, die alle parallel auf der Bühne stattfinden. Dass es sich bei allen drei gezeigten Charakteren um dieselbe Person handelt, würde erst im Laufe des Stücks deutlich. Die Herkunft von einem Theaterstück ist ‚Moonlight‘ quasi nicht mehr anzumerken. Absolut fühlt er sich wie ein Film an. Barry Jenkins betont jedoch, dass hier autobiografische Elemente beider Männer verarbeitet wurden. So ist etwa McCraney schwul, Jenkins nicht. Die Mutter Paula ist ein Amalgam ihrer beider Mütter und jede Szene mit ihr beruht auf einer realen Begebenheit, die einer von beiden so erlebt hat.
Paula ist auch ein guter Punkt, um eine Diskussion über den Film zu beginnen. Naomie Harris wollte die Rolle eigentlich nicht übernehmen, weil sie sich geschworen hatte nie das Klischee der Crack-süchtigen, schwarzen Prostituierten zu spielen. Tatsächlich aber wird sie hier nie wirklich ein Klischee, ebenso wenig wie Drogendealer Juan. Nirgends wird das deutlicher als in einer Szene, wo der um Chiron besorgte Juan, die in ihrem Auto Crack rauchende Paula konfrontiert… keine fünf Meter entfernt von der Ecke, an der einer seiner Jungs ihr die Droge verkauft hat. Vor allem aber ist Jenkins Film nie wirklich ein „Problemfilm“. Er ist ein Charakterstück durch und durch und alles, jeder Moment, ist darauf ausgelegt uns Chirons Charakter erfahrbarer zu machen.
Jenkins erzählt denn auch wunderbar, mit warmen Farben im ersten Kapitel, wie trotz zerrütteter Familie noch die ganze Welt für Chiron offen scheint. Im zweiten Kapitel gewinnen dann die kalten Farben, die grüns und blaus die Oberhand, wenn das Ringen um die schwule Identität, die unauslöschliche Bedeutung von Rasse und Klasse Chiron geradezu zu erdrücken scheinen. Das dritte Kapitel ist so ausgeleuchtet, dass es die Oberflächen betont und so ist auch Chirons Leben zu einer Präsentation der Oberflächen geworden. Zu einem wahren Klischee aus aufgemotzter Dealerkarre, goldenen Grillz und aggressivem Hiphop. Er ist ein Klischee geworden, weil das einfacher ist als er selbst zu sein. Er hat diese Form angenommen, weil es die ist, in die die Welt ihn zwingen will. Das lässt natürlich Gedanken an Juan aufkommen und die Frage, ob der wohl auch einmal ein „Little“ gewesen ist. Das daher seine Empathie für den Jungen kam. Und was uns Jenkins über Generationen sagen will. Wasser zeigt Jenkins hierbei jedenfalls als ein Element des Wandels. Der Ozean und sei es nur seine Brise oder das Geräusch der Wellen, steht für positive Wandlung, Wasser eingemauert in Waschbecken oder Badewannen für eine Wandlung zum Schlechteren.
Vor allem aber erzählt Jenkins durch die Auslassung. Chiron ist ein schweigsamer Charakter, der mehr dadurch sagt, dass er nichts sagt. Aber vieles passiert auch zwischen den Schnitten. Oder dort wo die Kamera nicht hinschaut (aber durchaus die Charaktere). Vieles wird angedeutet und nie wirklich ausgesprochen, steht doch als zentrales, unausgesprochenes Geheimnis seine Sexualität in Chirons Leben. Und so ist ‚Moonlight‘ ein Coming-of-Age/Coming-Out Film, er ist ein Ghettofilm, doch genau wie er seinen Charakteren niemals erlaubt zu Klischees zu werden (und wenn doch, dann eben aus einem bestimmten Grund), so erfüllt er selbst auch nie die Klischees dieser Genres.
Für den Hauptcharakter war Jenkins sehr darauf bedacht, drei weitgehend unbekannte Darsteller zu besetzen, um nicht vom Charakter selbst abzulenken. Das ist ganz hervorragend gelungen. Er hat mit Alex Hibbert einen sehr ausdrucksstarken Kinderdarsteller gefunden, mit Ashton Sanders einen Teenager, der glaubhaft das Gewicht der Welt auf seinen schmalen Schultern zu tragen scheint und mit Trevante Rhodes einen Mann, der sowohl den harten Hund spielen kann, als auch eine glaubhafte, erwachsene Version der anderen Charaktere. Und genau diese Kontinuität ist ebenso wichtig, wie gelungen. Zu keinem Moment denkt man auch nur darüber nach, es mit drei Darstellern zu tun zu haben, sondern nur mit einem Charakter. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass etwa Naomie Harris mit nur minimalem Make-Up Paula als eine Frau in drei sehr unterschiedlichen Phasen ihres Lebens darstellt.
Wieder einmal komme ich zurück, zu dem berühmten Roger Ebert Zitat, der Film als eine Maschine bezeichnete, die Empathie schafft. Das ist richtig und ich würde ergänzen, dass diese Maschine Wahrhaftigkeit, Authentizität als Treibstoff benötigt. Authentisch dargestellt kann ein solcher Film in jedem Empathie für eine schwule, afroamerikanische Jugend in Miami erwecken, ganz egal, wo die Zuschauer herkommen oder was ihr Hintergrund ist. Es ist gerade eines der seltsamen Paradoxa des Mediums Films, dass das Abhobeln aller Ecken und Kanten, das Sicherstellen, dass keine Zielgruppe irgendein Problem mit dem Film haben könnte, dem vor allem Blockbuster unterzogen werden, diese empathisch gerade weniger effektiv machen.
Und so bin ich derzeit sehr gespannt darauf, endlich Jenkins ‚Beale Street‘ nachzuholen und schaue mit einiger Sorge darauf, dass er für den ultimativen Kantenhobler Disney ein („Realfilm“) ‚König der Löwen‘ Prequel inszenieren wird.
Ja, Moonlight ist ein fantastischer Film. Besonders beeindruckend neben der Narrative, die durch die Auslassungen besticht, aber auch die fantastische Inszenierung. „Beale Street“ konnte da leider nicht ganz mithalten, einiges was in „Moonlight“ so fabelhaft funktoniert, funktioniert dort weit weniger, wodurch die Bindung zu dem tragischen Liebespaar seltsamerweise nicht gegeben ist.
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Hm interessant. Kann natürlich sein, dass sich die Adaption da mit dem Stil beisst. ich bleib trotzdem erstmal gespannt.
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