‚Blade Runner‘ hat das Aussehen mehrerer Dekaden dystopischen Cyberpunks bestimmt. Klar, vom „Cyber“ war bei ‚Blade Runner‘ noch nicht viel zu sehen, aber dafür die düsteren Straßenzüge, von dicken Kabeln durchzogen, punktuell von hartem Neonlicht erleuchtet, dicht bevölkert und von zusammengestückelten Autos befahren, in direktem Kontrast zu den goldenen Pyramiden und Flugautos der Eliten, die über allem thronen. Die stammen aus ‚Blade Runner‘ und sind aus der populären Kultur quasi nicht mehr wegzudenken. Und hauptverantwortlich für dieses Aussehen ist fraglos Syd Mead. Aber ihn nur auf ‚Blade Runner‘ zu reduzieren wäre ebenfalls ein Fehler. Designarbeiten an ‚Tron‘, ‚Aliens‘ oder ‚Nummer 5 lebt‘ stehen durchaus für sich.
Mead war als Designer im industriellen Bereich tätig. 1970 gründete er seine eigene Firma Syd Mead Inc., mit der er direkt einen 12-Jahresvertrag mit Phillips unterschrieb. Er arbeitete aber auch für andere Firmen wie Chrysler oder Sony. Er entwarf Produkte, illustrierte aber vor allem Kataloge und Bücher. Dabei verband er technische Genauigkeit mit der Fähigkeit Stimmungen zu schaffen. Regisseur Robert Wise hat 1978 einen solchen Phillips Katalog in die Hände bekommen und rief bei Mead an: er sollte das gigantische V’ger Objekt für ‚Star Trek: der Film‘ entwerfen. Sicherlich das beeindruckendste Element des Films, aber wäre es dabei geblieben, würden heute wohl kaum Bücher mit seinen Konzeptzeichnungen herausgebracht. Kurz darauf sollte er für ‚Blade Runner‘ Deckards Flugauto, den Spinner entwerfen. Und Mead, der dank Arbeit für Ford und Chrysler wusste, wie man Autos verkauft, setzte den natürlich in eine Straßenszene. Der Rest ist, wie man sagt, Geschichte.
„The Movie Art of Syd Mead: Visual Futurist“ versammelt auf 256 Seiten Konzeptzeichnungen zu einer ganzen Reihe von veröffentlichten und, fast noch interessanter, unveröffentlichter Projekte. So bekommt man hier ‚Topeka‘ zu sehen. Eine Cyberpunk Dystopie in der sich eine Seite mit zusammengestückelten „retrofitted“ Fahrzeugen und Ausrüstung und eine elegant hochtechnisierte Seite gegenübergestanden hätten. Beides kommt Meads Fähigkeiten sehr zupass. In einer für die späten 90er geplanten, nie veröffentlichten Realfilmversion der ‚Jetsons‘ sehen wir hingegen Meads cartoonige Seite, die sonst eher wenig zum Ausdruck kommt. Von einer längeren Einleitung abgesehen, lässt das Buch eher die Bilder für sich sprechen und nimmt Texte sehr zurück. Autor Craig Hodgett ist mir in diesen Texten gelegentlich ein wenig zu sehr Fanboy. Ich muss von Meads Fähigkeiten nicht mehr überzeugt werden, ich halte das Buch schon in Händen!
Immer wieder bringt er aber auch Interessantes zu Tage. Etwa das Mead durchaus auch Einfluss aufs Drehbuch nehmen konnte. Für ‚The Core‘ (2003), eine weitgehend vergessene Variante von „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, sollte er das Bohrfahrzeug Virgil entwerfen. Als er den Regisseur fragte, wie denn der steinige Bohrschrott entsorgt würde, hatte der darauf keine Antwort. Mead schlug vor Virgil stattdessen mit Lasern auszustatten und einem Abflusssystem für das geschmolzene Gestein. Der Film wurde entsprechend umgeschrieben. Insgesamt hätte ich mir mehr direkte Aussagen von Mead selbst gewünscht, weiß aber nicht inwiefern Meads gesundheitliche Situation zur Zeit der Produktion des Buches das überhaupt zugelassen hätte.
Was man von dem Buch nicht erwarten darf ist eine lückenlose Monografie über Meads Arbeit am Film. Einige Projekte, ‚Timecop‘ etwa, werden nicht einmal erwähnt. Bei anderen muss man sich über die Auswahl wundern. So enthält der Abschnitt zu ‚Tron‘ kein einziges Bild der ikonischen Lightcycles (die kann man auf Meads Seite hingegen problemlos finden). Das ist umso merkwürdiger, als sich im ‚Topeka‘ Abschnitt ein Motorrad findet, das offensichtlich eine „Echtwelt“-Iteration des Lightcycle Designs ist. Den meisten Raum bekommt, wenig überraschend, ‚Blade Runner‘ mit vielen bekannten Konzeptbildern. Auch einigen zu nie gefilmten Szenen, wie Eindrücke aus einer Replikantenfabrik, wo die sargartig verpackten Androiden auf langen Förderbändern transportiert werden. Viele Projekte müssen mit einer Doppelseite auskommen. Gerade ‚Blade Runner 2049‘ bekommt sehr wenig Raum, aber da wollen vermutlich auch eigene Artbooks verkauft werden.
Für gelegentliche Bildunterschriften hat man sich hier für eine sehr verschnörkelte Type entschieden, die schwer zu lesen ist, umso mehr, wenn sie nicht schwarz auf weiß gedruckt ist. Hier ging das Aussehend er Schrift offensichtlich über die Funktion. Ironisch in einem Buch über einen Künstler dessen Talent nicht zuletzt gerade darin lag, die Balance zwischen beidem zu finden. Auch hätte ich mir gelegentlich weniger glänzendes Papier gewünscht.
Das sind aber Nickeligkeiten. Letztlich bekommt man hier ein gut produziertes, dickes, großformatiges Buch mit vielen großartigen Bildern von Syd Mead. Und damit liegt man grundsätzlich nicht verkehrt. Natürlich ist das Buch, kaum das ich mit diesem Artikel angefangen habe, gerade vergriffen. Soll aber demnächst neu aufgelegt werden. Darauf würde ich warten, bevor ich überzogene Gebrauchtpreise bezahle. Das Warten lohnt dann aber durchaus, für eine schöne Übersicht des filmischen Werks des 2019 86jährig verstorbenen Künstlers.
Das Buch ist bestimmt nicht uninteressant 😉
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