Im Folgenden ziehe ich einen Echtwelt-Vergleich zwischen einer historischen Person und einem Charakter des Films, der in sich selbst einen ordentlichen Spoiler für den dritten Akt darstellt. Ich warne nochmal im Text an entsprechender Stelle und markiere auch das Ende des Spoilers. Allerdings ist meine Meinung ohne den Spoiler vermutlich kaum nachzuvollziehen.
Drew Goddard ist vor allem für ‚Cabin In The Woods‘ bekannt. Sein liebevoll-satirisches Zurschaustellen von Horror-Klischees. Nicht zuletzt deswegen wollen viele in ‚Bad Times At The El Royale‘ eine Dekonstruktion des Neo Noir Thrillers sehen. Ich muss zugeben ich sehe das nicht. Ich sehe hier einen erzählerisch wenigstens teilweise ambitionierten Vertreter des Genres, aber keine Dekonstruktion. Dafür ist „Neo Noir“ als Genre vielleicht auch, wie passend, zu nebulös. Goddard bedient sich hier ganz offensichtlich der Ästhetik Quentin Tarantinos, jedoch um eine Geschichte zu erzählen, die in ihrem Kern womöglich eher David Lynch nahesteht. Tarantinos Ästhetik zu nutzen ohne sie exakt zu kopieren ist nicht ganz einfach, wie zahllose, meist vergessen Versuche aus den 90ern zeigen. Denn Tarantino selbst ist vor allem ein Meister der Collage. Er nimmt bestehende popkulturelle Versatzstücke und verpasst ihnen einen ganz eigenen Spin. Goddard gelingt es hier jedoch beinahe. Nicht die Ästhetik ist am Ende das Problem, sondern die Erzählung, der im dritten Akt vollständig die Puste ausgeht. Aber von Anfang an.
1969. Das Motel ‚El Royale‘ liegt genau auf der Grenze der US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada. Auf der einen Seite besteht eine Schanklizenz auf der anderen darf Glückspiel betrieben werden. Einige Jahre zuvor war das ‚El Royale‘ einer der Szeneorte schlechthin. Nun scheint es jedoch kaum mehr auf Gäste eingestellt. Doch Gäste kommen. Staubsauger-Vertreter Seymour „Laramie“ Sullivan (Jon Hamm) ist der erste, wie er jeden wissen lässt und er will, obwohl allein, die Honeymoon-Suite beziehen. Dann sind da der alternde katholische Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges) und Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo). Und zuletzt eine junge Frau im Hippie-Outfit (Dakota Johnson), die sich als „FUCK YOU“ ins Gästebuch einträgt. Alsbald stellt sich heraus, dass keiner der Gäste das ist was sie oder er vorgibt (oder in Johnsons Charakters Fall, gar nicht erst versucht vorzugeben). Doch auch das Motel selbst verbirgt hinter seiner 60er Fassade aus Perlenvorhängen, Wurlitzer Jukeboxen und Feuerschalen jede Menge ziemlich dreckige Geheimnisse. Vielleicht also kein Wunder, dass der einzige Mitarbeiter Miles Miller (Lewis Pullman) gerade Vater Flynn gern ein anderes Hotel empfehlen würde…
Die Ästhetik ist die Tarantinos, der Tenor des anfänglichen Films aber definitiv Lynch. Hinter einer romantischen Fassade nostalgischer Americana verbergen sich reihenweise Abgründe. Hier vor allem in Form von Überwachungsgerät und Geheimgängen. Die Paranoia sitzt tief in diesem merkwürdigen Hotel mitten auf einer bedeutungslosen Linie. Da wundert es kaum, das auf dem Fernseher in der Lobby mal Berichte über lokale Morde zu sehen sind und dann Lügen vom Abhörexperten Richard Nixon.
Die eigentlich bedeutungslose Bundesstaatengrenze, im Gegensatz zu fast allem anderen in diesem labyrinthinen Bau schnurgerade, wird zum Sinnbild für moralische Entscheidungen der Charaktere. Manch einer tut sich schwer einen Fuß darüber zu setzen, andere überqueren sie ohne sie auch nur zu beachten. Andere balancieren sorgfältig auf ihr dahin. Goddard deutet so geschickt charakterliche Tiefe an, auch wenn der Film in dieser Hinsicht nicht wirklich abliefert.
Die Dialoge sind clever, wenn auch oft genug nicht ganz so clever wie sie selbst glauben. Macht aber nix, mindestens Erivo und Bridges lassen das was da ist im bestmöglichen Hochglanz erscheinen. Johnson ist ebenfalls gut und Hamm voll in seinem Element. Der Film erzählt oft mehrfach dieselbe Situation aus anderen Blickwinkeln. Das, gemeinsam mit oft schnellen Schnitten auf ebenso überraschende wie heftige Gewalt, lassen den Film mit ordentlich Verve ablaufen. Die Fragen, die man vielleicht als Zuschauer hat werden durch Schwung und sehr gute und vor allem hervorragend aufgelegte Darsteller direkt wieder überspielt und ich zumindest fühlte mich gut unterhalten und war ernsthaft gespannt, wie sich die Handlungsknoten auflösen würden.
SPOILER!!! Und dann folgt der dritte Akt. Hier latscht Chris Hemsworth als Charles Manson Verschnitt Billy Lee in den Film und sämtliche Handlung kommt zu einem absolut knirschenden Stillstand. Gefühlt ewig lange verfolgen wir nun die Billy Lee Show. Und wo bislang jeder Charakter irgendeinen interessanten Kniff hatte ist Billy Lee mit „Charles Manson“ bereits vollständig umschrieben. Dazu kommt das Hemsworth in der Rolle nicht wirklich gut ist. Ich bezweifle sie wäre mit einem besser besetzten Darsteller zu retten gewesen, aber hier geht sie schlicht gründlich schief. Es scheint fast, als wollte Goddard, das wir als Zuschauer uns vom „charismatischen“ (ich meine, er hat fesche Bauchmuskeln) Lee verführt fühlen, aber allzu offensichtlich ist was er ist. Zu vordergründig und offensichtlich Hemsworths Spiel. Sogar die Charaktere im Film durchschauen Lees leere, narzisstische Vorstellung. Aber dennoch sitzen wir hier und sehen sie uns an. Und zwischendurch mal auf die Uhr.
Blöd übrigens für Goddard, dass das ästhetische Vorbild Tarantino kurz darauf in ‚Once Upon a Time in Hollywood‘ mit der Situation weitaus eleganter umgeht, indem er seinen Manson zur absoluten Randfigur degradierte. SPOILER ENDE!
Wie auch immer, für mich war der Film ab hier nichtmehr zu retten. Wo er vorher gezeigt hatte, das eine ästhetische Anlehnung an Tarantino nicht zwangsläufig Abklatsch bedeutet, wünscht man sich hier fast er wäre etwas mehr Tarantino abgeschaut. Das ist ein Ende so schlecht, dass es für mich tatsächlich ruiniert was vorher kam. Auch ganz von Billy Lee abgesehen frage ich mich ob das Drehbuch für den letzten Abschnitt nicht noch wenigstens einer dringenden Überarbeitung bedurft hätte. Uns fünf Minuten vor Schluss noch einen Charakter in ausführlicher Rückblende vorzustellen ist immerhin mindestens ungewöhnlich.
Meine Reaktion auf den dritten Akt scheint, im Vergleich mit anderen Besprechungen, außergewöhnlich negativ, aber ich war ernsthaft enttäuscht darüber, was hier an Potential verschleudert wurde. Empfehlen kann ich den Film offensichtlich nicht, aber macht Euch gern ein eigenes Bild (und falls Ihr das schon habt, widersprecht mir in den Kommentaren), letztlich ist genug Gutes vorhanden, dass man seine zwei Stunden und zwanzig Minuten (viel zu lang, übrigens!) sicher nicht vollständig verschwendet. Und ich gebe offen zu, ich musste auch erst davon überzeugt werden, dass ‚Cabin In The Woods‘ mehr ist als ein „Wo ist Freddy?“-Wimmelbildchen.
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