‚Die Muppets-Weihnachtsgeschichte‘ (1992)

Mit ‚A Christmas Carol‘ schuf Charles Dickens 1843 nicht nur eine seiner bekanntesten Erzählungen, sondern auch eine der wesentlichsten, modernen Weihnachtserzählungen. Eine säkulare Heilsgeschichte für ein immer säkularer werdendes, christliches Fest. Eigentlich wollte Dickens, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Historie stets kritisch gegenüber den unfassbaren sozialen Missständen im von der industriellen Revolution überrollten Großbritannien, nach der Besichtigung grausiger Kinderarbeit im Zinntagebau, ein zorniges Pamphlet schreiben. Er entschied sich jedoch, auch aufgrund von Druck durch seine Verleger, diese Kritik in Fiktion zu verpacken. Heraus kam die bekannte Geschichte um den grausamen, steinreichen Knauser Ebenezer Scrooge, der in der Nacht vor Weihnachten von vier Geistern besucht und schließlich geläutert wird. Der Erfolg der Geschichte war von Anfang an durchschlagend. Theateradaptionen und zahllose Raubdrucke belegen das. Die Geschichte war seit ihrer Entstehung stets im Druck und bereits 1901 erfolgte die erste Filmadaption. Ihr folgten quasi unzählige weitere mehr oder weniger originalgetreue. Wer auch immer das hier liest kennt mindestens eine. Und sei es eine Parodie.

In den späten 1950ern schuf der Amerikaner Jim Henson seine „Muppets“. Es sollte eine Weile dauern, bevor die kleinen Filzfiguren mit den großen Persönlichkeiten ein breites Publikum erreichten. Zunächst waren sie im Regionalfernsehen in und um Washington DC und in Werbespots zu sehen. Ende der 60er kam es zur Gründung der Sesamstraße. Doch Henson wollte mit seinen Muppets immer auch Erwachsene erreichen und so tauchten sie weiter in Shows wie ‚Saturday Night Live‘ auf, bevor Mitte der 70er, nach einigen Pilotversuchen, die ‚Muppet Show‘ auf Sendung ging. Der Erfolg war weltweit und durschlagend und führte ab 1979 zu drei Filmen bis 1984. In den späten 80ern war Henson dann vornehmlich mit anderen Projekten als den Muppets beschäftigt und begann 1989 Verhandlungen sie an Disney zu verkaufen (abgesehen von den Sesamstraße-Charakteren). Die Verhandlungen wurden durch seinen plötzlichen, frühen Tod 1990 beendet.

Hensons Sohn Brian und Autor Jerry Juhl verkauften die Idee einer Muppet-Adaption von Dickens Weihnachtsgeschichte noch 1990 an den TV Sender ABC. Disney bekam davon Wind und schlug ihnen vor, das Projekt stattdessen mit ihnen als Kinofilm zu entwickeln. Gesagt, getan. Heraus kam, was vermutlich meine liebste Version der Geschichte ist.

Das entscheidende Merkmal ist wohl, dass der Film seine Vorlage ernst nimmt. Das wirkt erst einmal schwer zu glauben, wenn er Gonzo als blauen, pelzigen Charles Dickens, der mit einer Ratte rumhängt (Rizzo, der ernsthafte Probleme hat, das Konzept des allwissenden Erzählers zu verstehen) einführt. Doch ist der nicht nur hier, um slapstickhaft von jeder Fensterbank und jeder Laterne gefegt zu werden, er führt auch mit Dickens eigener Prosa durch die Geschichte. Eine Geschichte, die Dickens ziemlich exakt adaptiert. Die Dinge, die meistens fehlen, der Geisterbesuch in Mine und Leuchtturm etwa, fehlen auch hier und auch hier besucht Scrooge die Cratchits am Weihnachtstag, im Buch schickt er anonym einen Truthahn. Aber die extreme Armut ist hier, Scrooges Frage, warum er etwas gegen diese Armut tun solle, wenn es doch Armenhäuser und Gefängnisse gäbe (von Dickens einem kontemporären Politiker entliehen) ist hier. Der Geist der zukünftigen Weihnacht ist gruselig inszeniert und die Vision, die er Scrooge zeigt, wie niemand seinen Tod betrauert, wie sein Geiz verantwortlich für den Tod von Tiny Tim, dem kranken Sohn seines Angestellten Bob Cratchit (Kermit), ist. Der Film ist zweifellos für Kinder geeignet, aber er meint nicht die Geschichte für sie vereinfachen zu müssen, schleift nicht die Kanten ab.

Ganz zentral ist dafür vor allem Michael Caine als Scrooge. Caine lässt sich nicht eine Sekunde anmerken, dass er seine Rolle hier mit einem Frosch, Schweinen, Ratten und Kaninchen, kurz mit Puppen spielt. Er spielt die Rolle mit absolutem Ernst, er verleiht ihr so die notwendige Tiefe. Da gibt es kein Abweichen vom Text, kein Zwinkern zur Kamera und wenn Beaker ihm zum Ende hin seinen Schal schenkt, dann gibt Caine den Moment, als würde wahrlich sein Herz übergehen. Das ist nichts weniger als perfekt für diese Rolle und diesen ganzen Film. Das Durchbrechen der vierten Wand ist für Muppetfilme absolut üblich und findet auch hier, eben vor allem durch Gonzo-Dickens und Rizzo statt, aber eben nie durch Caine. Und so wird er zu einem der besten Scrooges der Filmgeschichte. Was nicht bedeuten soll, dass er mich nicht zum Lachen bringt. Wenn er mit einem Weihnachtskranz nach einem „Good King Wenceslas“-singenden Hasen wirft ist das gleichzeitig so fies und so verdammt lustig…

Auch ansonsten fügen sich de Muppets scheinbar mühelos in ihre Rollen ein. Miss Piggy ist, natürlich, Bob Cratchits Frau. Aus Scrooges erstem Chef, dem fröhlichen Fezzywig wird hier Fozziewig (Fozzie), ein Hersteller von Gummihühnern. Und Scrooges verstorbener Geschäftspartner Jacob Marley hat hier noch einen Bruder, Robert, damit beide von Waldorf und Statler verkörpert werden können. Es war hingegen eine sehr kluge Entscheidung die drei Weihnachtsgeister nicht mit bekannten Muppets zu besetzen. So wirken sie deutlich ominöser und im Falle des leeren Leichentuchs des Geistes der zukünftigen Weihnacht auch durchaus bedrohlich.

Doch ist ganz London hier wunderbar inszeniert. Mit expressionistisch-schiefen Gebäuden zwischen dem Weiß des Schnees und dem Schwarz des Rußes. Bevölkert von zahllosen Muppets. Gemüse, Ratten Schweine, Pferde, hier hat alles Gesichter und kann jederzeit in Gesang ausbrechen.

Die Songs stammen von Paul Williams, die Musik von Miles Goodman. Die Songs gehen allesamt gut ins Ohr und bringen stets die Handlung voran. Ein Highlight dabei ist sicherlich die (fast Jack The Ripper-hafte) Einführung von Scrooge. Hier muss natürlich auch der Song „When Love Is Gone“ erwähnt werden, den Scrooges Verlobte Belle (Meredith Braun) in der Rückschau durch den Geist vergangener Weihnacht singt, als sie sich von Scrooge trennt. Jeffrey Katzenberg, damals Chef der Filmproduktion bei Disney, hat die Szene eigenmächtig entfernt, wie er der Meinung war, Kinder könnten damit nichts anfangen. Lediglich auf der VHS Version, sowie auf einer frühen DVD war die Szene enthalten (der Song selbst wird stets am Ende des Abspanns gespielt und ist auf allen Soundtrack Veröffentlichungen). Auch bei einer 4K Fassung soll sie wohl wieder eingebaut werden. Wenn man um das Fehlen weiß, fällt auf, dass Scrooges Abschluss-Song „The Love We Found“ eine direkte Antwort auf diesen fehlenden Song war.

‚Die Muppets-Weihnachtsgeschichte‘ ist eine grandiose Adaption der literarischen Vorlage und ein Beweis, dass die Muppets auch ohne ihren „Vater“ Jim Henson funktionieren können. Wenn sie auch recht schwere Jahre vor sich hatten. Mitte der 2000er wurden sie dann aber doch noch, wie der Rest der Popkultur, von Disney aufgekauft und bekamen eine gelungene Rückkehr ins Kino spendiert. Und Charles Dickens Weihnachtsgeschichte? Ist seit den Muppets etwa 20 weitere Male verfilmt worden. Von unzähligen professionellen und Amateurtheatergruppen aufgeführt, persifliert und kommentiert worden. Dickens Weihnachtsgeschichte geht nirgendwo hin. Und irgendwann wird eine Version vielleicht sogar mal besser sein, als die der Muppets. Wird sich aber anstrengen müssen. In dem Sinne, „Bah, Humbug!“

6 Gedanken zu “‚Die Muppets-Weihnachtsgeschichte‘ (1992)

  1. Diese Version war meine erste Begegnung mit DER Weihnachtsgeschichte und ich erinnere mich noch, wie ich als Kind echt Angst vor dem Geist der künftigen Weihnacht hatte.

    Ich glaube dieses Jahr schaue ich mir den Film endlich mal wieder an. Dank deines Artikels habe ich jetzt richtig Bock. Vielen Dank.

    Gefällt 1 Person

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