‚Benedetta‘ (2021) – „Im Bett geschehen keine Wunder!“

Es heißt, Benedetta könnte Paul Verhoevens letzter Film werden. Das wäre vielleicht nicht überraschend, geht er doch stark auf Mitte 80 zu und wurde bereits dieser Film eine ganze Weile aufgehalten, weil es beim Einsetzen seiner künstlichen Hüfte zu Problemen kam. Ich nehme mein Urteil hier einmal vorweg und sage, sollte dies sein letzter Film werden, dann wäre es ein ebenso passender wie würdiger. Ist Verhoeven in seinen späten Jahren subtiler geworden? Früher wurde er schließlich oftmals für seine geradlinigen und ungeschönten (manche sagen auch pornografischen) Darstellungen von Sex und Gewalt kritisiert. Nun, in ‚Benedetta‘ erklärt ein Nebencharakter, eine hochschwangere Frau, einer Gruppe beim Mittagessen freudig begeistert, dass bei ihr bereits die Laktation eingesetzt habe. Sie stellt dies dann unter Beweis, indem sie eine ihrer beeindruckenden Brüste aus dem Kleid zieht und Milch verspritzt. Außerdem erleben wir Jesus in Benedettas Visionen als gekonnten Schwertkämpfer, der Wegelagerern die Schädel derart kräftig spaltet, dass man kein Ohr mehr ankleben kann. Also, nein, Verhoeven ist im Alter kein bisschen leise geworden. Ein Glück!

Anfang des 17ten Jahrhunderts wird die junge Benedetta Carlini von ihrem wohlhabenden Vater in das Theatiner-Kloster von Pescia eingekauft. 18 Jahre später ist Benedetta (Virginie Efira) ein respektiertes Mitglied ihres Ordens. Allerdings erscheinen ihr immer wieder religiös-mystische Visionen. Als sie nach einer solchen die Wundmale Christi, die Stigmata, erhält, glaubt man schnell an ein Wunder. Einzig Äbtissin Felicita (Charlotte Rampling) ist zurückhaltend, nicht nur, weil Benedetta dieses Wunder im Schlaf widerfährt und nicht, wie es sich gehört, im tiefen Gebet, sondern auch, weil sie in einer blutigen Scherbe einen höchst irdischen Quell der wundersamen Wunden vermutet. Allerdings ist es für die örtliche – männliche – Kirchenführung durchaus nützlich, eine wundertätige Nonne im Ort zu haben. Schließlich wusste vor dem heiligen Franziskus auch niemand, wo Assisi auf der Karte zu finden wäre. Da könnte Benedetta für Pescias Klerus doch jetzt auch reiche Pilgerströme und gar Berufungen in den Bischofsstand bedeuten. So wird sie flugs zur neuen Äbtissin erklärt. Machtpolitikerin Felicita hat damit auch kein großes Problem, versteht sie doch, dass es im Leben auf und ab geht. Doch als ihre leibliche Tochter Benedetta stürzen will, daran scheitert, erniedrigt wird und sich das Leben nimmt, sinnt Felicita auf Rache. Sie wendet sich an den Nunzius von Florenz (Lambert Wilson) und berichtet ihm von Benedettas lesbischer Beziehung zur Novizin Bartolomea (Daphne Patakia). Der Nunzius nimmt die detektivisch fragwürdige aber natürlich brutale Untersuchung auf. Doch da Pescia von der ringsum grassierenden Pest bislang verschont blieb, genießt Benedetta hier inzwischen quasi den Ruf einer Heiligen.

Was sehr schnell auffällt ist, wie viel Spaß Verhoeven offensichtlich bei der Inszenierung des an sich reichlich finsteren Themas hat. Es ist aber genau diese Gegenläufigkeit, die sich auch thematisch durch den gesamten Film zieht. Die Körperfeindlichkeit der Theatinerinnen und die Lust zwischen Bartolomea und Benedetta. Echte Frömmigkeit und machtbewusste Heuchelei. Verhoeven verfällt dabei zwar nicht in plumpe Kirchenkritik, gibt sich aber lautstark überzeugt, dass beidseitig gewollte, körperliche Freuden nun sicherlich keinen Schaden für das Seelenheil bedeuten.

Er inszeniert das, wie gesagt, spielerisch aber doch sehr ernst. Wie viel das Ganze mit der historischen Person Benedetta Carlini zu tun hat, kann ich nicht wirklich einschätzen. Nach Lektüre ihres Wikipedia Artikels kann ich nur sagen, anfängliche Begebenheiten wurden recht akkurat wiedergegeben, doch das Finale ist purer Verhoeven. Interessant dabei ist ebenfalls, dass uns Verhoeven, vom Miterleben ihrer Visionen (die selbstverständlich auch als Halluzinationen bezeichnet werden könnten) abgesehen, immer ein wenig auf Abstand zu Benedettas Innenleben hält. Ob sie die Stigmata gefälscht hat oder nicht, darauf gibt er keine direkte Antwort, lässt aber die Zweifel durchaus gerechtfertigt erscheinen. Doch bereits in ihrer ersten Nacht im Kloster, stürzt eine große Statue der heiligen Jungfrau auf die betende Benedetta, die vollständig unverletzt bleibt. Erstaunlicher Zufall, oder eben doch ein Wunder? Das, so scheint er zu sagen, liegt eben im Auge des Betrachters. Sowohl derer im Film als auch in unseren als Zuschauer.

„Nunsploitation“, jenes kurzlebige 70er Jahre Exploitation-Genre rund um Sex im Habit, liegt hier keineswegs vor. Ja, der Film zeigt Sexszenen. Ganze zwei zwischen Benedetta und Bartolomea. Und bei einer wird eine Marienstatuette… zweckentfremdet. Dennoch verstehe ich die Vorwürfe, Verhoeven versuche sich hier an plumper Provokation oder gar lüsternem Altherrenkino nicht wirklich. Dafür sind seine weiblichen Charaktere allzu komplex, haben zu viele Ecken und Kanten und sind die Sexszenen, ehrlich gesagt, zu „sachlich“ inszeniert. Da interessiert er sich erkennbar mehr für anderes. Aber womöglich sind Sexszenen im heutigen Kino derartige Fremdkörper, dass man sich daran aufhängen muss (ich fühle mich an die Aufregung um Park Chan-wooks ‚Die Taschendiebin‘ erinnert).

Womit wir bei den Darstellerinnen wären. Virginie Efira lässt den Film funktionieren! Sie lodert kaum einzufangen zwischen geschickter Betrügerin, verklemmter Liebhaberin und aufrichtiger, die Menschheit und den Menschen liebender Mystikerin. Ihr gegenüber Daphne Patakia als Bartolomea, die mit Benedettas Verkopftheit zwar wenig anfangen kann, sie aber dennoch aufrichtig liebt. Aus dem übergriffigen Haushalt ihre Vaters gerettet, ist ihre erste Frage an Benedetta im Kloster, wo sie den hier mal „kacken“ könne. Rampling gibt eine unterhaltsame Darstellung als Äbtissin ab, die gnadenlos über die „Mitgift“ der „Ehefrauen Christi“ verhandelt, um sich bei Protest dann erbost zu geben, man schachere hier doch nicht um Pferde. Lambert Wilson gibt seinen Nunzius nicht etwa als religiösen Eiferer, sondern als arroganten Machtmenschen, der während der Pest eigentlich besseres zu tun hätte als Häresie-Prozesse zu führen, für die er nicht einmal Beweise finden kann, sich aber der Möglichkeit eines Machtbeweises, insbesondere gegenüber Frauen, nicht entziehen kann.

Verhoeven inszeniert hier mit einer gewissen geduldigen Besonnenheit. Er macht von Anfang an klar, dass man hier einen FILM schaut. Er beginnt sogar mit einer langen Titelsequenz. Heute ja schon an sich ein Anachronismus. Ein empfehlenswerter Film, für jeden, der etwas mit Verhoeven anzufangen weiß. Wie häufig gelingen ihm starke weibliche Charaktere, wenn auch nicht unbedingt im konventionellen Sinne. Ich hoffe es kommt noch mehr von ihm, doch, wie gesagt, sollte dies sein letzter Film sein, so ist es ein guter!

3 Gedanken zu “‚Benedetta‘ (2021) – „Im Bett geschehen keine Wunder!“

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