‚Schneller als der Tod‘ (1995)

Derzeit ist Regisseur Sam Raimi ja mal wieder in aller Munde. Der Marvel-Maschinerie sei Dank. Es gibt aber eine Phase seiner Karriere, über die wird kaum gesprochen. Die Zeit zwischen seinen ‚Evil Dead‘ und ‚Spider-Man‘ Trilogien. Das hat sicherlich seine Gründe. ‚The Gift‘ zum Beispiel ist schlicht kein guter Film. ‚Ein simpler Plan‘ hingegen ist ein guter Film, wurde aber irgendwie immer ein bisschen wie die Pepsi zu ‚Fargos‘ Coca Cola behandelt. Und ob ‚Aus Liebe zum Spiel‘ gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, weil ich ihn nie gesehen habe. Denn wenn es etwas auf dieser Welt gibt, das mich weniger interessiert als Baseball, dann ist es vermutlich noch nicht erfunden. Aber um all diese Filme soll es heute gar nicht gehen, sondern um Raimis Beitrag zum kleinen Western-Revival der 90er, das mit ‚Erbarmungslos‘ (oder ‚Zurück in die Zukunft III‘?) begann, mit ‚Der mit dem Wolf tanzt‘ seinen größten Erfolg erreichte und von wicka-wicka ‚Wild Wild West‘ zu Grabe getragen wurde.

‚Schneller als der Tod‘ fiel damals bei Kritik und Publikum weitgehend durch. Es ist schwer wirklich nachzuvollziehen woran das lag. Es wäre wohl zu einfach, zu sagen, es war pure Misogynie. In einem Genre so testosteronbesoffen wie dem Western konnte man, zumindest damals, auch mit einer Sharon Stone als Hauptdarstellerin nix reißen. Vielleicht ist es jedoch nicht ganz falsch. Aber das erklärt nicht, warum bis heute die große Wiederentdeckung des Films, die „Kultfilmisierung“ sozusagen, ausgeblieben ist. Denn in der Rückschau wird der Film nur interessanter.

So war er eine Zusammenarbeit von Raimi und Kameramann Dante Spinotti, bekannt nicht nur für seine lange Zusammenarbeit mit Michael Mann sondern auch für Filme wie ‚L.A. Confidential‘, auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten. Und da kamen zwei visuell durchaus unterschiedliche Stile zusammen. Aber fast noch interessanter ist seine Besetzung. Die haben wir zu einem guten Teil Sharon Stone zu verdanken, die als Ko-Produzentin hier einigen Einfluss genommen hat. So finden wir hier einen vierschrötigen aber attraktiven Australier namens Russel Crowe in seiner ersten Hollywoodrolle. Es sollte ihn nicht viel Zeit kosten, zum Star zu werden. Und Leonardo DiCaprio, fünf Minuten bevor er mi der rechts-links-Kombination aus ‚Romeo & Julia‘ und ‚Titanic‘ zum absoluten Superstar wurde. Hier lehnte ihn Studio TriStar aber noch derart entschieden ab, dass Stone seine Gage aus eigener Tasche bezahlen musste.

Aber bevor wir noch länger theoretisch über den Film reden, kommen wir zum Eingemachten. Fangen wir mit der Geschichte an.

Das Jahr ist 1881. Der Lokaltyrann John Herod (Gene Hackman) veranstaltet in dem Städtchen Redemption sein alljährliches Duell-Tournier, bei dem dem Sieger erstaunliche 123.000 Dollar winken. Daher kommen allerlei Scharfschützen und Glücksritter der weiteren Umgebung zusammen. Auch Herods ungeliebter Sohn Fee, genannt The Kid (DiCaprio) nimmt teil. Weniger des Geldes wegen, mehr um den Respekt seines Vaters zu erlangen. Den widerwilligen Priester Cort (Crowe) zwingt Herod gar mit Gewalt zur Teilnahme. Doch die erstaunlichste Teilnehmerin ist wohl die geheimnisvolle Lady (Stone), die ebenfalls weniger am Geld interessiert scheint und es eher auf die Möglichkeit abgesehen hat, dem Gauner Herod eine Kugel zu verpassen. Doch bis dahin wird sie es mit einer Menge übelstem Gesindel aufnehmen müssen.

Der Western ist ein Genre, das seine Tropen sehr ernst nimmt. Natürlich weiß jeder Zuschauer in dem Moment, als die Lady auftaucht, dass sie sich an Herod für erlittenes Unrecht rächen will. So sicher, wie man weiß, dass er auf Rache aus ist, wenn Charles Bronsons Charakter in ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ auf dem Bahnsteig materialisiert. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Sich darüber zu verwundern ist so sinnlos wie zu hinterfragen, warum in einem Musical die Leute plötzlich zu Singen und Tanzen beginnen. Doch manche Filme weben diese Tropen zu geradezu mythologischen Höhenflügen auf, wie eben Leone in ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ und manchmal sind sie nur der geschmacksangebende Hintergrund für einen Film. Wie hier.

Viel ist gesagt worden über die gegenseitige kreative Befruchtung zwischen Eastern und Western. Die sieht mach auch hier ganz deutlich. Im Kung Fu Film ist die Idee des Kampfsporttourniers, veranstaltet von einem Mistkerl, an dem die Heldin aus ganz persönlichen Gründen teilnimmt, nicht selten. Schließlich muss man sich dann keine fadenscheinigen Gründe aus den Fingern saugen warum Charakter x sich mit Charakter y kloppt. Drehbuchautor Simon Moore hat es schlicht auf den wilden Westen übertragen. Und wir wissen alle, dass der Kampfsport des Westerns das Schießeisen ist und seine organisierteste Form das Duell.

Und so bekommen wir hier genau das. Eine Reihe von effektvoll inszenierten Duellen. Das sind denn auch die Momente, in denen sich Raimis typischer Stil Bahn bricht. In wilden Zooms auf durchlöcherte Köpfe und Torsos hinrast. Den typischen Schnittwechsel zwischen den Gesichtern der Teilnehmer und der großen Rathausuhr mit derart wilden Dollyzooms untermalt, dass man meint vom Sofa zu fallen. Zwischen den Duellen allerdings ist die Kameraführung deutlich kontrollierter als man es von Raimi kennt. Was ich einfach mal Spinotti zuschreibe. Die Kamera ist immer noch mobil, doch gibt es gelegentliche Aufnahmen, die man auch direkt ausdrucken und an die Wand hängen könnte. Was nicht nur mit Spinottis eleganter Inszenierung, sondern auch mit dem meisterhaften Produktionsdesign von Patrizia von Brandenstein (‚Amadeus‘, ‚Die Unbestechlichen‘) zu tun hat, die dafür sorgt, dass dieser Western fast schon überreich ausgestattet ist.

Dazu kommt die wunderbare Musik von Alan Silvestri. Der hat in seiner langen Karriere nicht viele Western orchestriert, genau genommen diesen, ‚Young Guns II‘ und ‚Zurück in die Zukunft III‘, doch folgt er hier elegant vor allem Ennio Morricone, aber auch Elmer Bernstein, versieht die Musik aber mit seinem ganz eigenen Schwung, der zu diesem wilden Film passt.

Die Story folgt, wie erwähnt, bekannten und teils ausgetretenen Pfaden. Aber die Darsteller lassen sie funktionieren. Allen voran natürlich Gene Hackman, der gar nicht fähig ist, eine schlechte Darstellung abzuliefern, gibt seinen Fiesling mit einer derartigen Spielfreude, dass man ihm jedes seiner miesen Worte am liebsten glauben würde. Bei DiCaprio stellt sich kaum die Frage warum er zum Star werden würde. Er meistert die komischen wie dramatischen Elemente seiner Rolle als würde er das seit Jahrzehnten machen und wäre nicht gerade eben 20. Und auch Crowe darf hier schon tun was er am besten kann. Den reibeisenstimmigen Stoiker geben, der zu ebenso plötzlichen wie heftigen Gewaltausbrüchen neigt. Sharon Stone wird selbst in positiven Besprechungen des Films oft negativ dargestellt. Und das erschließt sich mir gar nicht. „Starke Frauen“ im 90er Actionfilm waren allzu oft pure Karikaturen, die entweder so stahlhart waren, dass gar kein erkennbarer Charakter mehr übrig war, oder brauchten eben doch immer wieder die Hilfe eines starken Mannes. Stone gibt ihre Lady mit all der nötigen Härte, aber auch Verletzlichkeit. Sie ist nie der unberührbare Clint Eastwood Charakter, der das Duell schon gewonnen hat, wenn er auf die Straße tritt. Sie muss sich jeden Millimeter vorwärts verdienen und zeigt das, in meinen Augen durchaus glaubhaft.

Aber tatsächlich ist sie auch für mich nicht das Highlight des Films. Das sind aber auch nicht die anderen, erwähnten Darsteller, obwohl all ihre Leistungen, wie gesagt, wirklich gut sind. Aber mein Highlight ist die ellenlange Liste an „Ach, der Typ“-en, die hier im Film auftauchen. Charakterköpfe die man immer wieder sieht, aber deren Namen man nicht unbedingt kennt, machen hier einen guten Teil der Tournierteilnehmer aus. Da ist Lance Henriksen als langhaariger Dandy. Tobin Bell als besonders dreckiger Drecksack. Keith David als Pfeife schmauchender Ex-Militär. Mark Boone junior als entflohener Sträfling „Scars“. Und sogar Schwarzeneggers Bodybuilder Kumpel Sven-Ole Thorsen als schwedischer Schützenkönig und allzu große Zielscheibe. Um nur einige zu nennen. Und jeder von denen bekommt einen grandiosen Auftritt vor seinem schmerzhaften Abgang.

Okay, bevor ich hier jetzt noch anfange über das Finale zu schwärmen, das wahrlich keine Wünsche offen lässt, sage ich stattdessen einfach, geht los und schaut ‚Schneller als der Tod‘. Jetzt. „Aber ich mag keine Western“, sagt Ihr. Ich sage, gebt dem Film eine Chance, denn Ihr habt noch nie einen Western im Raimi Stil gesehen. „Aber ich mag Raimis Stil nicht“, sagt Ihr. Geht hin und schaut den Film, denn das hier ist Raimi durch Spinottis Linse und auch das habt Ihr so noch nicht gesehen. „Aber in dem Film kommt gar kein Baseball vor“, sagt Ihr, vermutlich nur um mich zu ärgern. Daher würdige ich das nicht einmal einer Antwort. Mann ey, warum lest ihr immer noch diesen Quatsch, statt ‚Schneller als der Tod‘ zu schauen? Entdeckt endlich den Film wieder, damit wir was Besseres bekommen als die lieblos hingerotzte BluRay ohne jeden Bonus! Ich verspreche auch, auf Hipster-haftes „ICH mochte den Film schon, bevor es cool war“ zu verzichten! Definitiv in meinen Raimi Top 3!

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