Ist der wirklich sooo schlecht? – ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘ (1992)

Endlich mal wieder ein Film aus der Kategorie „Ist der wirklich sooo schlecht?“, in der ich meine ganz persönliche Meinung zu einem allgemein als „schlecht“ geltenden Film abgebe. Aber seien wir ehrlich, die Frage, die Euch, liebe Lesende derzeit beschäftigt ist weniger „ist der wirklich sooo schlecht?“ und mehr „was zur Hölle ist ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘?“. Faire Frage. Daher beantworte ich die thematische Eingangsfrage erst einmal direkt, bevor ich zu diesem Thema komme. Oh ja, der Film ist „sooo schlecht“. Aber, meine Fresse, ist er unterhaltsam dabei! Und kein Mensch redet drüber. Es gibt diese „so schlecht, dass sie gut sind“ Filme, die das Internet derart gründlich durchkaut, dass der Witz irgendwann halt gegessen ist. Dieses Schicksal ist ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘ bislang erspart geblieben. Der Originaltitel ist übrigens ‚Live Wire‘, den ich ab hier ebenfalls verwenden werde. Schauen wir nun, wo der Film herkam.

1985 wollte Roger Moore endgültig  die James Bond Rolle loswerden. Das hatte er zuvor schon mehrfach angekündigt, aber nun meinte er es ernst. So wurde 1986 eines dieser Jahre der Suche nach dem neuen 007. Doch der war fix gefunden. Pierce Brosnan spielte in der NBC Serie ‚Remington Steele‘ den Titelcharakter, einen fiktionalen Superdetektiv, der Aushängeschild für eine weiblich geführte Detektei war. NBC verkündete die Serie 1986 zu beenden. Brosnan war auf elegante Weise gutaussehend, als Ire eben noch britisch genug und ein fähiger Darsteller dazu. Und er könnte direkt 1987 das Bond Erbe antreten. Alles prima! Doch die mediale Verkündung des neuen Bond ließ plötzlich die Einschaltquoten von ‚Remington Steele‘ in die Höhe schießen. Und NBC produzierte eine weitere Staffel. Dafür ließen sie Brosnan nun nicht aus seinem Vertrag heraus und so musste er auf Bond verzichten. Timothy Dalton wurde neuer Bond, die Einschaltquoten von ‚Remington Steele‘ normalisierten sich auf früherem Niveau, NBC cancelte die Serie 1987 und Brosnan stand als beinahe-Bond, als Albert Broccolis ausgesprochener Wunsch-Bond mit heruntergelassenen Smoking-Hosen da.

Dalton verkörperte Bond nur für zwei Filme, doch war das Publikum insgesamt noch nicht bereit für den ernsten, finsteren Bond, den er vorwegnahm und der später für Daniel Craig zum Erfolg werden würde. Es galt als inoffiziell ausgemacht, dass Brosnan sein Nachfolger werden würde, allerdings gingen die Bond Filme Anfang der 90er in eine ungewohnt lange Pause. Brosnan äußerte sich in der Zeit nicht zu seinem Bond Status, trat aber etwa in Werbespots bereits als Figur im Smoking auf. Bloß auf der filmischen Seit wusste man nicht so recht was mit dem Darsteller anzufangen und er schien anderen Agentenrollen bewusst auszuweichen. So war er in der verhunzten Stephen King Adaption ‚Lawnmower Man‘ zu sehen (das einzige Mal, dass King gegen die Verwendung seines Namens klagte), oder im Robin Williams-Vehikel ‚Mrs. Doubtfire‘.

Er war ein etwas richtungsloser Darsteller und traf als solcher auf ein Studio, das seine eigene Richtung neu bestimmen wollte. New Line Cinema war in den 80ern sehr erfolgreich mit Freddy Krüger und den Ninja Turtles. Doch nun wollte man sein Portfolio erweitern. Erwachsener werden. Aber natürlich immer noch ordentlich Knete machen. Dafür eignete sich in den frühen 90ern ein Action Film im Stile von ‚Stirb Langsam‘ natürlich ziemlich gut. Und ‚Live Wire‘ brachte eine recht kreative Prämisse mit. Ein Terrorist hat eine Formel für einen geruchs- und geschmacklosen Sprengstoff in seinen Besitz gebracht, der nach dem Trinken durch die Magensäure aktiviert wird. Man kann also Menschen ohne ihr Wissen zu unfreiwilligen Bomben machen.

Oh, ich weiß was Ihr jetzt denkt. Der durchschnittliche Batman Schurke wäre mit dem Zeug schon auf dem Weg zu Gothams Wasserreservoir, bevor er den obigen Absatz zu Ende gelesen hätte. Aber unser Schurke hier, Mikhail Rashid (Ben Cross), der sich namentlich offenbar nicht entscheiden konnte, ob er nun fieser Sowjet oder doch lieber fieser Araber sein soll, will bloß ein paar US-Senatoren erpressen, einen Waffendeal durchzuwinken. Schließlich haben die schon sein Bestechungsgeld eingesteckt! Wie auch immer, in Washington gehen Senatoren in die Luft und FBI Sprengstoffexperte Danny O’Neill (Brosnan) soll rausfinden wie, denn es gibt keine Spuren von Sprengkörpern. Wir treffen O’Neill übrigens zwischen den Beinen einer Autofahrerin, wo er gerade eine (herkömmliche) Bombe entschärft. Ich bin mir nicht sicher, ob die Szene ihn cool oder inkompetent darstellen soll. Denn er schneidet das falsche Kabel durch. Aber wie im Film üblich geht das Ding dann nicht hoch, nur der Timer läuft schneller. Am Ende kommentiert er die Unterwäschesituation des Beinahe-Opfers… O’Neills Ehe steht kurz vorm Scheitern (ich bin mir sicher, John McClane kann das nachfühlen). Nicht nur haben Ehefrau Terry (Lisa Eilbacher) ein Kind durch Ertrinken verloren, wofür Danny sich die Schuld gibt, nein, Terry hat ihn auch noch mit einem der bedrohten Senatoren, Frank Traveres (Ron Silver) betrogen. Was Gesprächsstoff in ganz Wahington DC ist. Vom Wachpersonal bis zum Oberfiesling Rashid. Jeder weiß es und vor allem weiß jeder, dass Danny der Betrogene ist. Und jeder, aber wirklich jeder, zieht ihn damit auf.

Ich will hier gar nicht die ganze Handlung erzählen. Es sei allerdings erwähnt, dass sich O’Neill mit einem Clown in einem Springbrunnen prügelt! Explodiert er, der Clown*? Ohohoh und wie! Die Explosionen in diesem Film sind übrigens eine reine Freude, praktisch inszeniert mit brennenden Stuntleuten und fliegenden Dummies! Genau mein Ding.

Es ist jedoch eindeutig das Drehbuch, an dem der Film krankt. Denn alles ist durchaus kompetent inszeniert und die Darsteller sind gut aufgelegt, aber die Handlung ist nicht bloß wirr, was okay wäre, nein, es gelingt ihr auch die Meisterleistung Pierce Brosnan unsympathisch zu machen. Jeder hier handelt auf die dümmste mögliche Weise. Von Rashid bis zu O’Neills selbstverständlich erzböser Schwiegermutter. Bloß Danny O’Neill, der handelt wie ein Psychopath. Zweimal bricht er in das Haus seines romantischen Rivalen Traveres ein. Doch beim zweiten Mal haben die Terroristen zum Glück keine Lust mehr auf die Wasserbomben und stürmen ebenfalls das Haus mit Waffengewalt. Die kann O’Neill dann mit allerlei Sprengfallen aus Haushaltsgegenständen Kevin-allein-zu-Hausen. Unter anderem kommt ein riesiger Pott Vaseline aus dem Sexdungeon des Senators zum Einsatz… Was für ein Satz!

Wart Ihr schon einmal stocknüchtern und jemand sturzbesoffenes erzählt Euch eine Geschichte? Einiges wird ausgelassen, anderes vernuschelt und plötzlich ist die gewollte große Pointe da, der Erzähler bricht in Lachen aus und Ihr habt keine Ahnung worum es geht? So in etwa fühlt es sich an diesen Film zu schauen. Nicht unbedingt wegen der übergreifenden Handlung, die ist nachvollziehbar genug, aber die Motivationen und das eigentliche Handeln in einzelnen Szenen sind oft genug derart bizarr, das man sich fragt, wer hier nun eigentlich besoffen ist. So wird das ertrunkene Kind in einer gar nicht mal so kurzen Rückblende eingeführt und prompt vom Film komplett vergessen. Einzig die Affäre, von der jeder weiß, steht zwischen Terry und Danny. Und natürlich die mörderischen Wassermänner. Und am Ende des Film, Spoiler, nehme ich an, erhält Danny einen Anruf, dass seine Frau ein neues Kind zur Welt gebracht hat. Und der Film behandelt das, als wäre damit die Tragödie des ersten aus  der Welt!

Es ist dieses seltsame und komplette Missverstehen davon, wie Menschen funktionieren, das diesen Film so unterhaltsam macht. Und die Tatsache, dass ordentlich Geld drinsteckt (die Explosionen, ich sag‘s gern nochmal, sind tiptop!), New Line aber offenbar erkannt hat, was für einen Stinker man hier hatte und ihn direct-to-video herausbrachte. Jedenfalls in den USA. In Deutschland kam er aber doch in die Kinos und wurde, immerhin, von 150.000 Zuschauern gesehen. In gewisser Weise nahm er mit seinem Bombenthema auch Schon den wunderbaren ‚Speed‘ vorweg. Aber ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘ ist ein Blindgänger. Die Zeitschrift von vor drei Monaten, die ein gelangweilter Pierce Brosnan im Band Wartezimmer lesen muss, während er auf seine Gadget-Laser-Armbanduhr schaut, wann endlich 1995 ist. Aber wenn Ihr auf der Suche nach einem „So schlecht, dass er gut ist“ Film seid und auch nur irgendwas mit 90er Action anfangen könnt, oder halt schlicht einen Clown platzen sehen wollt, dann seid Ihr bei ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘ definitiv richtig.

*Dieser Clown ist Mikhail Rashids Handlanger Al-red (Tony Plana). Und jetzt wo ich oben die Sowjet/Araber Durchmischung festgestellt habe, frage ich mich, ob das eine englisch/arabische Verballhornung von „Der Rote“ im Sinne von ‚“Der Kommunist“ sein soll… egal, viel mehr als eindrucksvoll platzen tut der eh nicht.

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4 Gedanken zu “Ist der wirklich sooo schlecht? – ‚Hydrotoxin – Die Bombe tickt in Dir‘ (1992)

  1. Man, den hatte ich völlig aus dem Gedächtnis verbannt, seinerzeit aber durchaus ein paar Mal angesehen. Aus heutiger Sicht, ganz klar eine Megagurke, Anfang der Neunziger fand ich ihn echt unterhaltsam. Wurde im Film nicht damit gedroht ein Wasserreservoir zu verseuchen? Egal.
    Stimmt heute wird gerne alles zerredet, dank der Medienvielfalt, kann auch jeder seinen Senf dazu geben. Wer hat früher schon einen Leserbrief gelesen oder geschrieben und wurde dann veröffentlicht?

    Gefällt 1 Person

    • „Wurde im Film nicht damit gedroht ein Wasserreservoir zu verseuchen?“

      Ich meine, eben gerade nicht. Im dritten Akt ist das Sprengwasser eh vergessen. Ich muss allerdings auch gestehen, dass ich nicht den gesamten Film über vollständig nüchtern war, würde also nicht meine Hand dafür ins Feuer legen…

      Übrigens, hier ist der deutsche Titel mal Welten besser als der originale!

      Gefällt 1 Person

  2. Pingback: Die 5 Besten am Donnerstag: die 5 schlechtesten Filme, die ich 2022 gesehen habe | filmlichtung

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