‚Die Sopranos‘ nimmt einen besonderen Platz in der Fernsehhistorie ein. War die Serie doch der Startschuss für eine ganze Reihe qualitativ hochwertiger Serien mit durchgehender Handlung des US-Senders HBO und wird allgemein als der Startschuss von „prestige television“ an sich gefeiert. Serienerfinder David Chase war dazu noch durchaus talentiert, die Serie über ihre knapp achtjährige Laufzeit im Fokus der Öffentlichkeit zu halten, zuletzt mit einem wahnwitzig umfangreich diskutierten Finale. 2018, elf Jahre nach der letzten Folge, kaufte New Line Cinema die Rechte an einem ‚Sopranos‘ Hintergrundfilm. Ergebnis ist dieses „Prequel“, ‚The Many Saints Of Newark‘.
1967 ist Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola) Mafia-Soldat für die DiMeo-Familie in New Jersey. Er ist ein Vorbild für Anthony (William Ludwig (1967), Michael Gandolfini (1972)), den Sohn seines Mafia-Kollegen Johnny Soprano (Jon Bernthal). Moltisantis Vater (Ray Liotta) hat die deutlich jüngere Giuseppina (Michela De Rossi) aus Italien als seine neue Ehefrau mitgebracht. Doch auch der verheiratete Dickie entwickelt Gefühle für sie. Als sein Vater Giuseppina misshandelt, tötet Dickie ihn in einem Moment des Zorns. Er verbrennt die Leiche in einem Laden seines Vaters und schiebt die Verantwortung auf die Newark Aufstände von 1967. Seine Beziehung zu Tony wird noch enger, als dessen Vater ins Gefängnis kommt und seine Mutter Livia (Vera Farmiga) immer bitterer und distanzierter. Fünf Jahre später hat Dickie eine langjährige Beziehung mit Giuseppina und befindet sich in einem Krieg mit dem Afroamerikaner Harold McBrayer (Leslie Odom jr.), der ihm das illegale Glücksspiel in New Jersey streitig macht. Doch könnte ihre Konkurrenz persönlicher sein, als Dickie annimmt.
Die obige Zusammenfassung kratzt die Handlung des Films bestenfalls an. Und damit liegt auch schon der Finger auf dem Problem des Films. Chase versucht hier so viel in die zwei Stunden seines Films zu pressen, dass die Nähte sichtlich spannen. Eine Vorgeschichte für Tony Soprano, der letztlich überraschend wenig im Film ist, ein Blick auf die DiMeo Famailie, 30 Jahre bevor wir sie zuerst getroffen haben, die Rivalität der „alten“ organisierten Kriminalität mit dem Aufkommen der afroamerikanischen Gangs in den 70ern und eine ‚Goodfellas‘-eske Mafia-Biografie vor historischen Hintergründen. Und letztlich funktioniert nichts davon richtig, weil alles zu wenig Platz bekommt.
Am schlimmsten erwischt es hier die historischen Hintergründe. Als jemand, der nicht sonderlich firm ist, was die Geschichte New Jerseys angeht, bleiben die Aufstände 1967 purer Hintergrund, für den ich als Erklärung nur rassistische (vermutlich originale) Radioberichterstattung und die grotesken Ansichten der Mafiosi bekomme. Harold besucht später für zwei Minuten Frank Lucas, jenen realen, vielgehassten, afroamerikanischen Drogendealer, der sich damit rühmte sein Heroin in den Särgen toter G.I.s des Vietnamkriegs zu importieren. Auch das bleibt purer, bedeutungsloser Hintergrund.
Die Mafia-Biografie funktioniert auch nur gerade so. Hier ist das große Problem für mich, dass Dickie einfach kein sonderlich interessanter Charakter ist. Und das ist in einem Film, der auf den Sopranos beruht, wo James Gandolfini aus einem Monster einen zutiefst vielschichtigen Charakter gemacht hat, einfach zu wenig. Dickie ist der joviale Mobster, der zu gelegentlichen Gewaltausbrüchen neigt. Also ein Charakter, den man x-fach gesehen hat. Dazu kommt seine Geschichte regelmäßig zum absoluten Stillstand, wenn er den Zwillingsbruder(!) seines Vaters im Knast besucht. Weil er sich schuldig fühlt, seinen Vater getötet zu haben. Diese Szenen sind für sich genommen nicht schlecht, Liotta spielt die Rolle des Onkels, der den Bullshit seines Neffen direkt durchschaut sehr gut, aber letztlich fühlt sich das an, als wäre es nur da, um Liotta länger im Film zu haben (zugegeben, nicht das schlechteste Ziel, das man haben kann).
Peinlich wird es beim Blick auf die DiMeo Familie. Silvio Dante (John Magaro), Paulie Walnuts (Billy Magnussen) und Pussy Bonpensiero (Samson Moeakiola) werden hier zu einem Trio von puren Witzfiguren. Auch in der Serie waren sie fraglos überzeichnete Figuren, aber dennoch bedrohlich, hier verkommen sie zum reinen Comic Relief. Selbst wenn sie jemanden foltern, kann ich sie nicht ernst nehmen. Am schlimmsten erwischt es Silvio, dessen Darsteller Steven van Zandts Manierismen und Körpersprache derart überzogen kopiert, dass es zur knallchargierten Karikatur wird. Und ausgerechnet Sil bekommt von den dreien auch noch die meiste Screentime. Dazu kommen teilweise albern deutliche Anspielungen auf die Serie. Baby Christopher Moltisanti weint jedes Mal, wenn Tony Soprano in seine Nähe kommt. Eine alte Verwandte erklärt, dass Babys manchmal Erinnerungen aus dem Jenseits mitbringen. Und dann sagt Erzähler Chris Moltisanti (ach ja, Michael Imperioli taucht ca. drei Mal kurz als Erzähler auf, warum auch immer), dass sein Onkel ihn ermordet hat, damit es auch bloß jeder versteht.
Und als Vorgeschichte von Tony? Nun, einige wesentliche Momente haben wir tatsächlich schon in der Serie gesehen und bekommen sie hier noch einmal. Der viel erwähnte Dickie bekommt ein Gesicht und wir sehen Tony mit seiner Familie, einem jungen Jackie Aprile, Artie Bucco und in einer Szene sogar mit Carmela. Braucht man das? Nicht unbedingt, meine ich. Die Serie ist ein perfekt rundes Paket. Allerdings spielt der Film hier seine größten Darstellerischen Stärken aus. Michael Gandolfini (der, laut den Machern ganz normal für die Rolle vorgesprochen hat) fängt hier fast magisch eine unschuldigere Version des Charakters seines Vaters ein. Insbesondere die letzte Einstellung ist hier fast gespenstisch. Aber für mich die größte Stärke des Films war Vera Farmiga. Sie zeigt ebenfalls, wie es richtig geht, eine etablierte Rolle zu übernehmen. Ohne Nancy Marchand zu imitieren, fängt sie deren Bitterkeit perfekt ein. Und nachdem wir sie hier gesehen haben können wir Tonys zahlreichen Mutterkomplexen nun auch einen ödipalen hinzufügen. Ich versteh einfach nicht, wie nunacierte Darstellungen wie Farmigas und Gandolfinis im selben Film zu finden sind wie die drei oben erwähnten Clowns.
Leslie Odom jr.s Charakter Harold wird groß aufgebaut, hat aber letztlich wenig zu tun. Was besonders ärgerlich ist, da er einer der interessanteren Charaktere ist. Aber an ihm wird vielleicht das Problem des Films insbesondere deutlich. Die Handlung funktioniert nicht wirklich als Film. Das will ich gar nicht so sehr Regisseur Alan Taylor anlasten, der einige gute Folgen Sopranos abgeliefert hat, im Kino mit ‚Thor: The Dark Kingdom‘ oder ‚Terminator: Genisys‘ eher enttäuscht hat. Es ist die Handlungsfülle, die die Grenzen eines Films sprengt. Chases Material hätte eine, wenn nicht zwei Staffeln einer Serie gefüllt. Und da hätte es denn auch weniger wehgetan, dass es filmisch einfach mehr nach Fernsehen als Kino aussieht. Die Geschichte hätte Raum zum Atmen, Dickie (verdammt, ich muss es einfach sagen: es fällt mir sooo schwer nicht „Hoppenstedt“ hinter den Namen zu schreiben!) hätte ein richtiger Charakter werden können. Okay, die Karikaturen der Seriencharaktere wären immer noch ein Problem.
Wem empfehle ich den Film? Einzig Hardcore-Sopranos Fans, die auf Vollständigkeit aus sind. Wer die Serie nicht kennt, wird hier vermutlich gar nichts rausholen können. Fans werden zumindest an einigen Momenten ihre Freude haben. Insgesamt aber eine Enttäuschung. Immerhin, meine Vorurteile gegen Prequels wurden bestätigt…
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