Ich habe mich an dieser Stelle ja schon häufiger als großer Fan von Jacques Tati (‚Die Ferien des Monsieur Hulot‘, ‚Tatis Herrliche Zeiten‘) zu erkennen gegeben. Doch seinen ersten Spielfilm, den bevor er die Figur des M. Hulot erdacht hatte, kannte ich nicht. Ein ziemliches Versäumnis und somit höchste Zeit aufs Schützenfest zu gehen (Hinweis: der deutsche Titel ist irreführend, das Fest im Film ist ein Dorffest, kein Schützenfest. Der Titel bezieht sich stattdessen auf die „Kunst“ von Tatis Charakter an der Wurfbude). Fein, dann eben Zeit aufs Dorffest zu gehen.
In Sainte-Sévère, einem kleinen Dörfchen mitten im Herzen Frankreichs, stehen große Dinge bevor: ein Dorffest findet statt. Schon kommen die Schausteller, bauen Karussell und Buden auf, treffen sich mit dem Bürgermeister. Der Café-Besitzer lackiert, etwas spät, seine Stühle und man gibt sich größte Mühe auf dem Dorfplatz einen großen Fahnenmast mit Drapeau Tricolore aufzustellen. Mittendrin ist Briefträger Francois (Tati). Ein etwas simpler, aber hilfsbereiter Mann. Nie einem Glas Wein oder einem Gespräch abgeneigt. Nicht unbeliebt aber sicherlich nicht respektiert. Doch als das fahrende Volk später im Kinozelt des Festes einen Film über die US-amerikanische Post zeigt, ihre hochmodernen, schnellen Methoden und voraussagt, dass bald jeder amerikanische Postbote seinen eigenen Helikopter haben wird, da fühlt sich Francois dann doch ins einer Ehre verletzt. Was die blöden Yankees und ihre Flugmaschinen können, dass können Francois und sein altes Klapperrad schon längst! Für Francois steht fest: jetzt wird er effizient. Zumindest sobald er wieder nüchtern ist.
Tati lernte den Ort Sainte-Sévère 1943 kennen. Der Kabarettist, Pantomime und gelegentliche Filmdarsteller wollte der deutschen Besatzungsmacht in Paris aus dem Weg gehen. Und so bestellte er für etwa 1 ½ Jahre, gemeinsam mit dem befreundeten Drehbuchautor Henri Marquet einen kleinen Bauernhof in der Nähe des Ortes. Und er verliebte sich in die traumhafte kleine Ortschaft, wo die Welt in Ordnung und der Krieg weit weg schien. Falls er jemals selbst einen Film drehen sollte, dann hier, nahm er sich vor. Schon zwei Jahre nach dem Krieg war es soweit. 1947 drehte er den Kurzfilm ‚Die Schule der Briefträger‘. Knapp ein Jahr später folgte der Spielfilm ‚Jour de fête‘, der eine Reihe Szenen des Kurzfilms direkt übernahm.
Falls Ihr den Originaltrailer oben geschaut habt, dann macht der eigentlich bereits unmissverständlich klar, worum es sich hier handelt. Um Heile-Welt-Kino als direkte Antwort auf den Zweiten Weltkrieg. Quasi die französische Variante eines Heimatfilms. Hier wie dort wird die traditionelle Landwirtschaft romantisiert. Mit Pferdegespannen, familiärer Feldarbeit und stetem Sonnenschein. Eine Lebensweise, die, nüchtern betrachtet, auch 1947 bereits im Verschwinden begriffen war. Und natürlich selten so schön wie hier gezeigt. Aber darum ging es gar nicht. Das war Eskapismus und der wurde dringend gebraucht.
Doch während der Heimatfilm die pure Idylle heraufbeschwört, ist Tatis Blick bereits hier ein ironischer. Er betont die kleinen Marotten der Bewohner, zeigt ihre Imperfektionen freudig auf. Unsere Erzählerin ist eine sehr alte, gebeugte Frau, die das Geschehen distanziert-amüsiert für ihre kleine Ziege kommentiert. Da spielt die Musik des Karussells gegen den dörflichen Spielmannszug bis eine pure Kakophonie daraus wird. Wir sehen ein Tableau bukolischer Idylle, einige Felder mit einem kleinen Weg dazwischen, auf dem jeder anwesende Mensch nacheinander von einer Wespe angegriffen wird und sie mit wild rudernden Armen zum nächsten scheucht.
Der Slapstick sitzt hier noch nicht so perfekt, wie es bei Tati später der Fall sein sollte. Sicher, wenn Francois sein Fahrrad unter der Ladefläche eines fahrenden Lasters einklemmt und dann beginnt auf ihr, wie auf einem Schreibtisch zu arbeiten, dann ist das sehr komisch. Aber man kann sich auch nicht des Gedankens erwehren bei Buster Keaton ganz ähnliches gesehen zu haben. Tatis Hollywood-Vorbilder, Keaton und Chaplin, sind noch allzu erkennbar. Er hat seinen ganz persönlichen Slapstick-Stil noch nicht gefunden. Später würde er seine langen, schlaksigen Gliedmaßen, die fast von allein Chaos auszulösen scheinen, perfekt nutzen. Einen Stil schaffen, der seinerseits kaum zu kopieren ist.
Doch absurde audio-visuelle Gags, die beherrschte er damals schon zur absoluten Perfektion. Wenn sich etwa ein Schausteller und eine Dorfbewohnerin, die offensichtlich Gefühle füreinander hegen, schweigend gegenüberstehen, während aus dem Kinozelt der leiernde Ton einer romantischen Szene eines Westerns herüberweht und der Schaustelle am Ende einen Schraubenschlüssel wie einen Colt wegsteckt, dann funktioniert das wunderbar. Mein Favorit ist ein Moment, wenn eine Schaustellerin aus ihrem Wohnwagen tritt, und einem anderen zuruft, ob der wisse, wo die Hunde seien. Der Schausteller pfeift auf seinen Fingern und aus dem winzigen Wohnwagen der Schaustellerin brechen ein halbes Dutzend großer, lauter Hunde. Sie kommentiert das mit „ah, da sind sie ja.“. Das ist dann wirklich perfekt Tati.
Auch seine Philosophie lässt sich in dem Film bereits erkennen. Seien Filme setzen häufig den Menschen gegen die Technik. Für Tati war der Mensch ein chaotisches Wesen, dass sich an allzu rigiden Systemen immer scheuern wird. Baut der Mensch um sich herum nun eine Welt der Technik, wie es im 20ten Jahrhundert im Westen fraglos geschehen ist, dann spannt er sich selbst in das rigideste mögliche System ein, eine Maschine. Und dort wird und muss er zwischen die Zahnräder geraten. Bei Tati waren es stets die Maschinen, die daran zerbrochen sind. Man sollte daraus übrigens nicht ableiten, dass Tati ein reaktionärer Technikhasser war. ‚Tatis Schützenfest‘ war der erste französische Spielfilm, der neben schwarz-weiß auch in Farbe gedreht wurde. Bloß gab es kaum Kinos, die darauf ausgelegt waren solche zu zeigen, weswegen nur die sw Fassung veröffentlicht wurde (die Farbfassung wurde 1994 fertiggestellt und liegt auf der dt. BluRay vor!).
Doch, wie erwähnt, ‚Tatis Schützenfest‘ ist ein Heile Welt-Film. Daher sind es hier nicht Mähdrescher und Traktoren, die die traditionelle Landwirtschaft aus den Angeln heben. Sondern es ist nur ein Postbote mit „komm ich heut nicht, komm ich morgen“-Philosophie, der sich von einem völlig überzogenen Film über amerikanische Effizienz herausgefordert fühlt. So beginnt er die schönen Hügel und Kurven mit geraden Linien zu durschneiden, schleppt sein Rad bergauf und überholt Rennfahrer. Und am Ende geht er, wortwörtlich, baden. Viel geringer könnten die Einsätze kaum sein. Nein, es ist nicht die Handlung, die den Film treibt. Ähnlich wie in ‚Die Ferien des Monsieur Hulot‘ erschafft Tati ein Panorama sympathisch-verschrobener Charaktere, die er vor wunderschöner Kulisse interagieren lässt. Und hier liegt in der Rückschau vielleicht eine der größten Stärken des Films. Tati schafft eine Chronik eines Momentes, in dem ein Dorf bereits ein Stück aus der Zeit gefallen scheint. Und 73 Jahre später können wir es immer noch besuchen. Das ist doch die Magie des Kinos. Das und Filme über Yankee-Postboten mit Hubschraubern, natürlich!
Ich liebe die Tati – Filme.
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