‚Possession‘ (1981) – Kramer gegen Kra- OH MEIN GOTT, WAS IST DAS??!!

Bei Andrzej Zulawskis ‚Possession‘ kann man sicherlich lange über die Genre Einteilung diskutieren. Aber am Ende wird man immer beim Horror landen. Denn machte man den Fehler, ihn als „Scheidungsfilm“ zu kategorisieren, würde er sich vermutlich sofort selbst zum Spinnenkaiser des Universums ernennen, seine grausigen Extremitäten triefend von Schleim und dem Blut seiner Opfer, brüllt er sein irrsinniges Schnattern in eine endlose Nacht voll sterbender Sterne, seinem Klagen taub. Und uns hält er einen Spiegel vor, in dem wir all die kleinen und großen Grausamkeiten, die wir an unseren Mitmenschen im Laufe unseres Lebens begehen und die an uns begangen werden, vorgeführt bekommen. Die kleinen Verletzungen, die unbedeutend erscheinen, aber in Traumata metastasieren, die unsere Seele in ihren kalten, gnadenlosen Klauen umklammern. Also, seien wir lieber von Anfang an ehrlich und nennen ihn was er ist: Horror.

Der Spion Mark (Sam Neill) kehrt von einer nicht näher benannten Mission nach West-Berlin zurück. Hier teilt ihm seine Ehefrau Anna (Isabelle Adjani) in deutlichen Worten mit, dass sie die Scheidung will. Obwohl sie insistiert, dass es nichts damit zu tun habe, dass sie einen anderen Mann gefunden habe, bleibt Mark misstrauisch. Er flüchtet sich in ein wochenlanges Alkoholdelirium. Als er zur gemeinsamen Wohnung zurückkehrt ist Anna verschwunden und der kleine gemeinsame Sohn Bob (Michael Hogben) allein und verwahrlost. Daraufhin wirft Mark die zurückkehrende Anna aus der Wohnung und will sich fortan selbst um Bob kümmern. Alsbald meldet sich Annas neue Beziehung, der seltsame Esoteriker Heinrich (Hein Bennent), bei Mark, weil auch er nicht mehr weiß wo sie ist. Ein beauftragter Detektiv verfolgt sie bis zu einem heruntergekommenen Altbau, verschwindet dann jedoch selbst. Irgendetwas versteckt sich in der verdreckten Wohnung. Etwas, das vollständig Besitz von Anna ergriffen zu haben scheint.

Der Film transportiert auf unangenehm rohe Weise die Gefühle, die mit dem unglücklichen Ende einer Beziehung einhergehen. Den Schmerz, die Entfremdung, die Paranoia und das Trauma. Zulawski bildet die Räume um die Charaktere beinahe leer ab, sie sind gefüllt mit kalten Blautönen. Bruno Nuyttens unstete Kamera saust durch die Gegend, verfolgt Charaktere, kreist um sie herum, stellt sie immer wieder in den Mittelpunkt. Die erste Hälfte zeigt hierbei noch halbwegs realistisch den emotional aufgeladenen, drastischen Konflikt zwischen Kontrollfreak Mark und der nach einer eher undefinierten Freiheit, vor allem aber nach der Gesellschaft des oft abwesenden Mark, strebenden Anna. Wir als Zuschauer werden in die Rolle des passiven Beobachters geworfen. In die unangenehme Rolle des Besuchsgastes, wenn zwischen dem Gastgeber-Paar plötzlich ein heftiger Konflikt entbrennt. Die ersten Worte des Films sind die Fortsetzung eines Streits, der begann, lange bevor wir überhaupt da waren. Zulawski ist hier gnadenlos und deutlich in seiner Darstellung eines Konflikts, der auch vor häuslicher Gewalt und Selbstverletzung nicht haltmacht.

Doch bereits hier hält das Seltsame Einzug. NVA-Soldaten spähen über die Mauer in die Fenster der Wohnung von Anna und Mark. Paranoia eines Spions, oder steckt mehr dahinter? Plötzlich entpuppt sich Bobs Grundschullehrerin Helen (ebenfalls Adjani) als exakte Doppelgängerin von Anna. Etwas, das Mark nie hinterfragt, aber zum Anlass nimmt eine Beziehung mit ihr zu beginnen.

Doch in der zweiten Hälfte des Films bricht sich der Horror endgültig Bahn, wenn Anna selbst zur Agentin eines widerwärtigen Urbösen wird. Wenn sie einem grotesken Tentakelwesen auf der Toilette einer völlig verdreckten, vermüllten Wohnung (im direkten Kontrast zu Anna und Marks moderner, aber seltsam kahler Wohnung) nicht nur sich selbst, sondern auch Todesopfer zuführt. Darunter auch Carl Duering als vielleicht schlechtester Privatdetektiv der Filmgeschichte. Es entbrennt ein grotesker Akt der Ko-Selbstzerstörung im Laufe dessen auch Mark zum Mörder wird und an dessen Ende von beiden Partnern nichts mehr übrig ist, als seltsame Abbilder und allgegenwärtige Zerstörung.

Zulawski ging, für absolut niemanden überraschend, durch eine sehr hässliche Trennung, als er den Film schrieb. Doch war es für ihn nicht nur eine Zeit der persönlichen Trennung, sondern auch die Zeit, in der er sein Heimatland, das sozialistische Polen, endgültig verlassen hatte und nach Frankreich gegangen war. Und so spiegelt auch sein Film das Persönliche auf einer größeren Projektionsfläche wider. Anna und Marks grausige Trennung vollzieht sich im geteilten Berlin. Mit seiner Mauer sinnbildlich für ein getrenntes Deutschland. Eine Trennung, die nicht zuletzt Folge eines grausigen Traumas war, das Deutschland der Welt aufgezwungen hat. Beide Häuser, der elegante Neubau und der verfallene Altbau (Sebastianstr. 87, wo man heute die (hoffentlich sanierten) Wohnungen teuer mieten kann), liegen in direkter Nähe zur Mauer. Ein seltsamer Mann in rosa Socken (Maximilian Rüthlein) versucht Mark in seine alte Spionagearbeit zurückzuholen (oder doch ihn umzudrehen, man weiß es nie). Und der Film endet mit einer Andeutung von gigantischer Vernichtung, die hier in direkter Nähe des Eisernen Vorhangs wohl nie weit entfernt schien und die die Desintegration der zentralen Beziehung in ein größeres Ganzes einfügt.

Zentral für das Gelingen eines solchen Films sind die Darsteller. Vor allem natürlich das zentrale Paar. Der damals noch recht unbekannte Sam Neill gibt seinen Mark als nach außen hin kühl-analytischen Charakter, eine Fassade, die allerdings schnell bröckelt. Im Streit mit Anna entpuppt er sich als kleinlicher Tyrann, der Besitztümer zurückfordert und seine moralische Überlegenheit feiert. Neill gibt das nuanciert zwischen erbostem Fordern und kindlichem Betteln, wenn er an Bobs Spieltisch sitzt und zu Anna aufblickt. Isabelle Adjani liefert hier die Art von Darstellung ab, die entweder sämtliche Schauspielpreise der Welt bekommen, oder dafür sorgen sollte, dass sie nie wieder eine Rolle bekommt. Die Tatsache, dass weder das eine noch das andere eingetreten ist, ist zumindest seltsam. Als Anna liefert sie auf einer Intensitätsskala von 1 bis 10 keine Szene unter einer 9,5 ab. Was natürlich dafür sorgt, dass sie gelegentlich auf 12 hochschalten muss. Da ist eine Szene in einem U-Bahnhof in diesem Film, in der sie die typischen Grenzen narrativen Schauspiels definitiv hinter sich lässt und in die Performance Art wechselt. Es ist eine Szene, von der ich Euch versprechen kann, dass Ihr sie nie vergessen werdet. Ob das gut oder schlecht ist, das müsst Ihr für Euch selbst entscheiden. Überhaupt hängt viel ob Ihr den Film mögt oder nicht davon ab, was Ihr vom Spiel, insbesondere von Adjanis Spiel, haltet. Funktioniert es für Euch nicht, bekommt Ihr hier vermutlich nur ein Fließband grotesker Grausamkeiten präsentiert und werdet den Film sicher lange vor seinem Ende abschalten.

Wenn es aber funktioniert, so wie für mich, dann bekommt Ihr hier ein absolut einmaliges Filmerlebnis geliefert. Ich tue mich schwer damit den Film als einen meiner Lieblingsfilme zu bezeichnen. Weil er sich einer solchen Kategorisierung nun endgültig entzieht. Und auch weil es ein Film ist, den ich nicht häufig sehen muss oder will oder kann. Und in der richtigen Stimmung sein muss wenn ich ihn schaue. Und selbst dann solltet Ihr gewarnt sein, dass der Film sich im Unterbewussten festsetzt. Ihr könnt mit großem Vergnügen ‚Jurassic Park‘ schauen und plötzlich bekommt Ihr beim Anblick Sam Neills die Vision eines elektrischen Fleischmessers…

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5 Gedanken zu “‚Possession‘ (1981) – Kramer gegen Kra- OH MEIN GOTT, WAS IST DAS??!!

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