Elvis. Das ist wohl ein Name, mit dem jeder von uns irgendeine Assoziation verbindet. Und das obwohl Elvis Presleys kulturelle Bedeutung in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen scheint. Manche sehen ihn fraglos als den „King of Rock n Roll“, der mit Rhythmus und Hüftschwung der populären Musik des 20ten Jahrhunderts den nötigen Karate-Tritt in den Hintern gegeben hat. Andere mögen ihn als Weißen sehen, der sich die Musik von Afroamerikanern angeeignet hat und aufgrund seiner Hautfarbe zum lukrativen Erfolg führen konnte. Vielleicht aber erinnert man sich vor allem an den nuschelnden Las Vegas Elvis, aufgedunsen in zu engen Jumpsuits. Vorbild für zahllose Imitatoren, noch in den 90ern in allerlei Supermärkten gesichtet, weil er nicht wirklich gestorben sei, und auf Toastscheiben erschienen. Kurz ein Symbolbild für eine spezifisch amerikanische Form unangenehm grellstem Kitsch. All diese Assoziationen sind irgendwo zutreffend. Und Baz Luhrman hat sie nun allesamt, erstaunlich erfolgreich, in einen reichlich wilden Film gezwängt.
Erzähler des Films ist Elvis‘ Manager, „Colonel Tom Parker“ (Tom Hanks), 1997 auf seinem Totenbett nach einem Schlaganfall. Ein schlitzohriger Betrüger (der weder Colonel war, noch Tom oder Parker hieß), der seine Anfänge auf der Kirmes hatte, später aber ins Musikmanagement wechselte. Er berichtet, wie er Elvis (Austin Butler) Mitte der 50er beim „Louisiana Hayride“ entdeckte und sofort exklusiv unter Vertrag nahm. Wie Elvis ob seiner afroamerikanischen Einflüsse und seiner aufreizenden Beckenbewegungen im amerikanischen Süden schnell zum Skandal und Politikum wurde und gar eine Verhaftung nicht auszuschließen war. Wie es Parker nicht gelang, Elvis unter Kontrolle zu bringen. Wie er Elvis stattdessen für 2 Jahre zum Militär schickte (nach Westdeutschland, wo er Priscilla Beaulieu (Olivia Dejonge), seine zukünftige Frau traf) und so zum „all american boy“ werden sollte, bevor Parker ihn in allerlei Hollywoodfilmen unterbrachte. Wie die Popkultur Elvis in den 60ern hinter sich ließ, bis zum berühmten Comeback Special 1968, welches komplett Parkers Vorstellungen entgegenlief. Nicht nur weil Elvis zu seinen alten Beckenschwüngen zurückkehrte, sondern weil er, nach den Morden an Martin Luther King und Bob Kennedy, auch eine politische Botschaft vermitteln wollte. Alles Dinge, die Sponsoren und damit Parkers Verdienst im Weg standen. Mit dem erneuten Erfolg kam auch ein alter Traum von Elvis wieder auf: eine Welttournee. Doch das konnte Parker nicht zulassen. Denn er selbst war ein illegaler Einwanderer (Andreas van Kuijk, aus den Niederlanden) und konnte so die USA nicht verlassen, aus Angst nicht zurück ins Land zu können. Und Elvis allein ziehen zu lassen, hieße seine Kontrolle über ihn zu verlieren. Und so endete Elvis in der Knochenmühle der jahrelangen, allnächtlichen Las Vegas-Auftritte, die ihn letztlich zerstören würden.
Der puren Beschreibung nach tut Baz Luhrmanns Film genau das, was ich bei Musiker-Biopics nicht ausstehen kann. Beschreibt Elvis komplette Karriere, nein, sein komplettes Leben, vom armen Jungen aus der einzigen weißen Familie im schwarzen Viertel von Tupelo bis hin zu seinem letzten, schon tragischen Auftritt in las Vegas. Aber der Film hat einen steten, scharfen Fokus, durch den er Elvis‘ Leben betrachtet: seine Beziehung zu Col. Tom Parker.
So erinnert der Film mich ein wenig an Milos Formans ‚Amadeus‘. War es dort Mozarts arger Rivale Salieri, der die Geschichte des Musikers nachzeichnete, ist es hier der an Musik vollständig desinteressierte, rein auf sein Geld bedachte Parker, der uns von Elvis berichtet. Luhrman verschiebt das Bild von Genie gegen Durchschnitt, hin zu Künstler gegen die Personifikation des Kommerz. Und ähnlich wie ‚Amadeus‘ erlaubt sich auch ‚Elvis‘ allerlei erzählerische Freiheiten. Nein, Parker hat Elvis vermutlich nicht auf einem Riesenrad seinen Management-Vertrag aufgeschwatzt. Aber es verdeutlicht halt seine Wurzeln als Jahrmarktschreier und das stetige auf und ab der Beziehung zwischen den beiden Männern.
Vor allem aber ist es visuell interessant. Und da wir uns hier in einem Baz Luhrmann Film befinden, hat das ohnehin Vorrang vor allem anderen. Und er schlägt hier durchaus wilde Kapriolen. Da wird ein Auszug aus Elvis Leben in Comic Panels präsentiert, weil Elvis als Kind ein großer Fan von ‚Captain Marvel‘ (alias ‚Shazam‘) war. Wir sehen ein Konzert fast ausschließlich als Fotografien der „Vice Squad“, die Elvis‘ Jugendgefährdung dokumentieren will. Oder wir sehen eine ganze Sequenz im Stile von Elvis billigen Hollywoodfilmen. Ein Film, der ansonsten womöglich drohte episodenhaft zu werden, hat mich so durch seine 2 ½ Stunden Laufzeit gezogen, fast ohne, dass ich das gemerkt hätte.
In stets interessant inszenierten Szenen zeigt er Elvis Inspiration durch afroamerikanische Musik und macht fast beiläufig deutlich, wie wichtig seine Hautfarbe für seinen Erfolg war. Hervorheben möchte ich hier einen tollen Auftritt von Alton Mason als jungem Little Richard. Sein Auftreten als erster „gefährlicher“ Popstar (Punk ginge mir dann doch zu weit) der USA. Ausgerechnet als Südstaatler, der immer wieder Segregationsgesetze missachtete, der die schwarze Gemeinde respektierte und im Gegenzug von ihr respektiert wurde. Parker ist stets bemüht ihn in finanziell sicheres Fahrwasser zu lenken. Der Film postuliert, dass Elvis immer dann erfolgreich war, wenn er selbst Kontrolle über seine Karriere hatte und stagnierte, sobald Parker die Kontrolle übernahm. Am Ende eben mit fatalen Auswirkungen. Inwiefern das gegenüber Parker fair oder unfair ist, kann ich schwer beurteilen, soweit geht mein Wissen über Elvis nicht. Der „böse Manager“ ist seinerseits natürlich eine Standardfigur des Musiker-Biopics, doch so wie ‚Amadeus‘ die (angebliche) Rivalität zwischen zwei Künstlern auf ein neues Niveau gehievt hat, so gelingt es Luhrmann hier mit der symbiotisch/parasitären Beziehung zwischen Künstler und Manager.
Und ganz wichtig dafür sind selbstverständlich die Darsteller. Das jemand „geboren ist, um eine Rolle zu spielen“ ist natürlich ein dummes Klischee. Aber bei Austin Butler muss man es fast sagen. Optisch ist er dem jungen Elvis beinahe unheimlich ähnlich. Akustisch auch, wurde für die Auftritte von Elvis als jungem Mann im Film doch tatsächlich Butlers Gesang verwendet. Für die späteren dann originale Elvis Aufnahmen. Viel wichtiger als die Ähnlichkeit scheint mir hingegen sein Spiel. Es dürfte sehr schwer sein Elvis und seine zahllosen Manierismen einzufangen, ohne dabei in die Parodie zu verfallen. Und so ist das größte Lob, das ich Butler aussprechen kann, dass sich seine Darstellung in jedem Moment authentisch anfühlt. Das ist nicht leicht bei einem derartigen Charakter und vermutlich noch einmal schwerer in einem derart visuell wilden Film (wirke ich allzu sehr wie ein Nerd, wenn ich sage, dass ich sehr auf seinen Feyd Rautha im zweiten ‚Dune‘ gespannt bin?). Ihm gegenüber steht Tom Hanks, gegen seinen üblichen Typ besetzt als zwielichtiger Manager. Er spielt ihn mit einem Akzent, der für mich nicht sonderlich niederländisch klingt, sondern mich eher an Bela Lugosis Dracula erinnert. Dazu spielt er unter einer erheblichen Maske, die die meiste Zeit sehr gut funktioniert, wenn sie es aber nicht tut, bei mir Assoziationen zum „Fat Bastard“ aus den ‚Austin Powers‘ Filmen weckt. Ich weiß nicht wie, aber Tom Hanks lässt es funktionieren. Tatsächlich ist der Film immer dann am besten, wenn Elvis und Parker interagieren. Ihre Beziehung wirkt komplex, kompliziert und nicht unbedingt gesund, aber auf jeden Fall spannend.
Ich gebe zu, meistens kann ich mit Baz Luhrmanns maximalistischen Stil nicht wahnsinnig viel anfangen. ‚Elvis‘ aber fand ich nichts weniger als grandios. Womöglich braucht es einen gewissen Maximalismus, um die Geschichte eines der größten Solokünstlers der Popkultur und seiner gewaltigen Ambitionen und seines gewaltigen Hungers zu erzählen. Vor allem aber wirkt es nicht wie ein nostalgisch verbrämter Rückblick, sondern zu jeder Zeit erstaunlich aktuell. Was für ein Film!
Ohhh, die Vorfreude wächst bei mir. Und ich mag Luhrmanns maximalistischen Stil 🙂
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Dann bin ich mir sehr sicher, Du wirst ihn lieben!
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Einer der besten Filme, die ich im vergangenen Jahr gesehen habe. Butler ist großartig in der Rolle des King.
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