‚Fall‘ (2022)

Scott Manns ‚Fall‘ (ich erspare uns allen mal den „tollen“, „deutschen“ Untertitel „Fear Reaches New Heights“) wurde zu einer Art kleinem Überraschungserfolg. Und hätte es beinahe in den Newslichter geschafft. Denn Lionsgate kaufte den fertigen Film, bemerkte in Testvorführungen, dass der weit besser ankam als sie erwartet hatten und sagten Regisseur Scott Mann, er solle die etwa 30 Äußerungen von „fuck“ aus dem Film entfernen, um die US Altersbeschränkung zu senken. Einfacher gesagt als getan, denn einfach rausschneiden ging nicht, für Nachdrehs war kein Geld da und einfach ein anderes Wort drübersynchronisieren wollte er nicht. So nutzte Mann „deepfake“ Technologie um die Lippenbewegungen seiner Darstellerinnen in entsprechenden Szenen zu ändern und aus dem bösen f-Wort ein besseres, wie „freaking“ zu machen. Das wurde mit Kino-Einnahmen von rund 21 Millionen Dollar, gegenüber einem Budget von drei Millionen, belohnt. Aber ist der Film nun fucking great, oder freaking awful? Finden wir es raus!

Vor einem Jahr unternahm das Paar Becky (Grace Caroline Currey) und Dan (Mason Gooding) zusammen mit ihrer gemeinsamen Freundin, Youtuberin Hunter (Virginia Gardner) eine riskante Klettertour, bei der Dan tragisch ums Leben kam. Nun ist Becky schwer traumatisiert und depressiv. Flüchtet sich in den Alkohol, hat den Kontakt zu Freunden und Familie abgebrochen und trägt sich gar mit suizidalen Gedanken. Für Hunter ist klar, da hilft nur eins: mehr Klettern! Und diese fragwürdige Diagnose will sie direkt mit der gemeinsamen Besteigung des aufgegebenen Funkturms B67, mitten in der Wüste und doppelt so hoch wie der Eiffelturm (der Turm ist fiktiv, basiert aber auf dem realen KXTV/KOVR Tower), beweisen. Nach einiger Überredung erklärt sich Becky zu der Youtube-wirksam inszenierten Aktion bereit. Das Erklettern des rostigen Monuments funktioniert auch recht gut. Doch oben angekommen bricht die Leiter zusammen. Die Frauen sind nun auf einer 1m2 kleinen Plattform gefangen, ohne Handyempfang und mit 15 Meter Seil. Ihr Rucksack mit Wasser und einer Drohne hängt 20 Meter tiefer. Man darf wohl ahnen, dass jetzt tatsächlich nur noch eines hilft: mehr Klettern.

Ich bin ja  durchaus ein Fan dieser Mini-Katastrophenfilme der letzten Jahre. Sei es ‚The Shallows‘, um eine Schwimmerin, die auf einer Boje festsitzt, die von einem Hai belagert wird. Oder ‚Crawl‘ um ein Gespann aus Vater und Tochter in einem Hurrikan mit einem Haus voller Alligatoren. Die Szenarien sind zumeist mindestens ein wenig an den Haaren herbeigezogen und die Filme trauen ihrer Prämisse selten genug, so dass immer noch ein wenig externes Drama um ihre Charaktere aufgebaut werden muss (möglicherweise ist auch einfach ‚The Descent‘ der spirituelle Vorläufer). Das funktioniert mal besser (‚Crawl‘) mal schlechter (‚The Shallows‘).

‚Fall‘ nun hat ein Szenario, das extrem an den Haaren herbeigezogen ist. Zwei Frauen klettern auf einen abgelegenen Funkturm und sagen niemandem, wo sie sind. Aber auch mit den Charakteren habe ich meine Schwierigkeiten. Okay, Becky ist depressiv bis zur Selbstaufgabe, bei ihr verstehe ich, warum sie dabei ist. Aber Hunter ist ein Adrenalin-Junkie bar jeder Umsicht. Eine Kombination, die es zu einer Art Wunder macht, dass sie überhaupt am Anfang des Films noch lebt. Das wäre an sich eine interessante Kombination, aber der Film scheint selbst nicht so ganz zu verstehen, was er mir über seine Charaktere sagen will. Auf dem Weg zum Turm entdecken die beiden ein verendendes Tier, dem die Aasgeier bereits den Bauch aufgerissen haben. Als sie feststellen, dass das Tier noch lebt, verscheuchen sie die Geier. Und nun? Schlagen sie dem Tier den Schädel ein, brechen ihm den Hals, tun irgendwas um sein Leiden zu beenden? Nö, Hunter macht ein Foto für ein „launiges“ social media post (Youtuber in Hollywoodfilmen sind immer Arschlöcher, oder?) und sie gehen weiter. Was soll mir das sagen? Dass die beiden Dinge nicht zu Ende denken? Das wusste ich schon, WEIL SIE NIEMANDEN INFORMIERT HABEN, DASS SIE AUF EINER BRÖCKELNDEN RIESENANTENNE AM ARSCH DER WELT RUMKLETTERN!

Dazu baut der Film den wohl offensichtlichsten Zwist zwischen den beiden Frauen auf, den man sich vorstellen kann. Ich kann hier nicht einmal den leisesten Hinweis drauf schreiben, weil der ihn schon verraten würde. Genau genommen könnt Ihr ihn vermutlich bereits zwischen den Zeilen finden. Mr. Police, I Gave You All The Clues.

Und wisst Ihr was? All das ist völlig wurscht, als die beiden die Ersteigung des Funkturms beginnen. Mann hat für die Dreharbeiten den oberen Teil des Turms auf einem Berg in der Mojave Wüste nachgebaut. Es wird hier also sehr wenig mit Greenscreen gearbeitet, der schwindelerregende Blick nach unten ist echt und absolut wirkmächtig. Ob man will oder nicht, hat man alsbald Probleme mit der Glaubwürdigkeit der Geschichte oder den Charakteren vergessen und nähert sich mit dem Hintern immer mehr der Sofakante. Und das war nur der Effekt auf einem Fernseher, im Kino dürfte das noch deutlich effektiver herübergekommen sein.

In diesem, seinem zentralen Effekt funktioniert der Film also vollends und hat mich während der zweiten Hälfte auch durchaus gefesselt. Hätte man, anstatt die „fucks“ zu entfernen, hier noch einen weiteren Schnitt durchlaufen lassen, den Film von über hundert Minuten auf 90 oder gar superschlanke 80 Minuten heruntergekürzt, es wäre wohl ein top B-Movie dabei herausgekommen. Es ist nicht einmal schwierig die überflüssigen Szenen auszumachen. So braucht mir der Film ein Stück zu lange, bevor er endlich loslegt und er nutzt diese Zeit nicht einmal, um sonderlich interessante Charaktere zu schaffen. Die Schuld der Darstellerinnen ist das übrigens keinesfalls, die hängen sich richtig rein, im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dennoch halte ich ‚Fall‘ am Ende für sehenswert. Gerade wenn man ein wenig Höhenangst mitbringt ist der Film äußerst effektiv.

PS: ich kapiere Hunters Youtube-Kanal nicht. Sie filmt also unten an der Antenne und sagt „da klettern wir jetzt rauf“ und dann wieder wenn sie oben sind. Den Aufstieg, also den spannenden Teil, filmt dann keiner? Natürlich funktioniert der Film nicht mehr, wenn sie jemanden mitnimmt der unten bleibt und eine Drohne bedient, oder so, aber ich verstehe halt ihren fiktiven Youtube Kanal nicht… andererseits kapier ich auch ne ganze Menge reale Kanäle mit Millionen Views nicht.

Werbung

2 Gedanken zu “‚Fall‘ (2022)

  1. Pingback: Newslichter Ausgabe 232: die große Newslichter KI Schau! | filmlichtung

  2. Pingback: Newslichter Ausgabe 234: Lance Reddick, mehr Remakes, Fortsetzungen und schicksalshafte Titel | filmlichtung

Und was meinst Du? (Durch die Nutzung der Kommentarfunktion erklärst Du Dich mit der Verarbeitung Deiner angegebenen Daten durch Automattic, Inc. sowie den Dienst Gravatar einverstanden.)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..