‚Moonage Daydream‘ (2022)

Ich muss es wohl gleich am Anfang sagen: ‚Moonage Daydream‘ ist ein Film, der es, zumindest mir, nicht leicht macht über ihn zu schreiben. Allzu audiovisuell sind die Eindrücke, die Brett Morgans (um mal einen alten 90er Begriff zu verwenden) multimediale Collage hier vermittelt, um sie mit bloßen Worten wiederzugeben. „Weder Dokumentarfilm noch Biografie“ verkündet die BluRay Hülle nicht ohne Stolz. Und das ist korrekt. Mit dem Segen von Bowies Nachkommen hatte Morgen Zugriff auf ein gigantisches audiovisuelles Archiv von teilweise unveröffentlichtem Material, aus dem er hier eine annähernd psychedelische Collage an Stummfilmausschnitten, Konzertfilmen, Bootlegmitschnitten, Interviews, zufällig gefilmtem Material, inszeniertem Material, Pepsiwerbung, Fotos, Tanz, Portraits, Bowies Öl- und Acrylkunst, unterlegt mit Audioaufnahmen von Bowie, die eine Art erzählenden Rahmen liefert, sowie natürlich jeder Menge Musik, teilweise von Bowie Arrangeur Tony Visconti neu abgemischt, oder nach Cut-up Methode neu zusammengesetzt.

Der Film betont nicht nur in seiner Form, sondern auch in seiner, bei aller Collagen-haftigkeit durchaus nachvollziehbaren Erzählung, Bowies Wandelbarkeit. Die erste Stunde des 2 1/4 Stundenwerks ist dabei allein den 70ern gewidmet. Beschreibt die gigantische Entwicklung von Ziggy Stardust  hin zur Berliner Zeit und den Einfluss, die diese auch auf Bowies bildende Kunst hatte. Seine Chamäleonhaftigkeit, seine stete Unruhe, seine Weigerung weder privat noch künstlerisch in irgendeiner Weise sesshaft werden zu wollen. Auch die 80er bekommen ihren Raum, als David Bowie das wurde, was er 10 Jahre zuvor vermutlich als tödlich altmodisch abgetan hätte: ein Superstar. Und das ist einer der faszinierenden Vorgänge, die der Aufbau des Films mit sich bringt. Hier haben wir nicht nur den reiferen Bowie, der seine frühe Karriere im Nachgang beurteilt, wir haben auch den jungen Bowie der, teilweise musikalisch, den älteren Bowie kommentiert. Die Ehe mit Iman und auch der Jahrtausendwechsel finden Erwähnung, danach wird die Erzählung aber noch bruchstückhafter, Bowies Tod mit 69 bleibt nur angedeutet. Morgen ist an seinem grandiosen Leben interessiert, nicht an seinem zu frühen Tod.

„Vergänglichkeit“ ist dennoch ein Wort, das im Film häufig fällt. Die Endlichkeit des Lebens, der sich der junge Bowie mit immer neuen Charakteren zu entziehen versuchte, der gereifte aber ohne große Furcht entgegenblickte, wissend, dass das Leben ohne den Tod bedeutungslos wäre. Auch „Chaos“ ist ein Begriff, der immer wieder fällt. Bowie war fasziniert vom Chaos, das einen derart großen Einfluss auf unser aller Leben hat, wir aber alle stets versuchen zu ignorieren, in unserem Säugetier-Erbe, für das es wichtig ist, Futter und Wasser am stets gleichen Ort zu finden, das nach Ordnung strebt. Kein Wunder, dass Bowie sich gelegentlich wie ein Alien fühlte. In den 70ern wollte er das neue Jahrtausend herbeiführen, erzählt er. Und teilweise hört er sich erstaunlich prophetisch an. Wenn er von wirbelnder Information spricht aus deren Chaos (da ist es wieder), wir die Fragmente herausgreifen müssen, die uns als Menschen ausmachen, ist es schwierig nicht zumindest ein wenig das Internet vor sich zu sehen.

Der Film ist faszinierend, ich hoffe, das kann ich transportieren. Es gibt sicherlich auch Dinge zu kritisieren. Wenn man die faszinierende Form des Films komplett außer Acht lässt (was man nicht tun sollte!), was bleibt übrig? Ein Menge wunderbar präsentierter Bowie-Songs natürlich, aber an reiner, neuer Information nicht wahnsinnig viel, wenn man auch nur das kleinste Interesse für Bowie mitbringt. Womöglich ist die enge Verknüpfung mit Bowies Nachkommen hier Fluch und Segen zugleich. Mit dem Zugriff auf gewaltige Mengen Materials geht womöglich einher, dass man hier in keiner Weise am Mysterium Bowie kratzt. Keine hässlichen Fragen stellt, nicht dem fraglosen, musikalischen Genie die teils gewaltigen Fehler innerhalb und außerhalb seiner Kunst gegenüberstellt. Morgen vermittelt uns hier nicht einmal unbedingt, was Bowie für ihn selbst bedeutet. Das ist ein sorgfältig kuratierter Film, der zwischen aller Information und aller Offenheit immer genug Raum lässt, um David Bowie genau das Enigma sein zu lassen, dass er immer sein wollte.

Und ich bin mir nicht einmal sicher, ob das eine wirkliche Kritik ist, nicht jedes Mysterium wird besser dadurch, dass man es „löst“, aber es fällt halt bei aller Bezauberung auf, dass das hier ein pures Fan-Werk ist, ein letzter Ritt mit Ziggy, ein grandioses Ausrufezeichen am Ende einer außergewöhnlichen Karriere.

Als solches ist ‚Moonage Daydream‘ aber nichts weniger als ein donnernder Erfolg, der es verdient auf die größtmöglichste und lautmöglichste Art gesehen zu werden. Selten vergehen zwei Stunden schneller. 

Werbung

Und was meinst Du? (Durch die Nutzung der Kommentarfunktion erklärst Du Dich mit der Verarbeitung Deiner angegebenen Daten durch Automattic, Inc. sowie den Dienst Gravatar einverstanden.)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..