‚Master & Commander – bis ans Ende der Welt‘ (2003)

‚Master & Commander‘ ist ein Film, über den ich gern scherzhaft sage, den mögen nur Russell Crowe und ich. Das stimmt natürlich nicht, wir ‚M&C‘ Fans sind Dutzende (Dutzende!). Aber ernsthaft, bei seinem Erscheinen war der Film ein ordentlicher Flop und stellte das Ende des australischen Regisseurs Peter Weir in Hollywood dar. Weir hatte in den 70ern Erfolge mit Filmen wie ‚Die Autos, die Paris auffraßen‘, oder ‚Picknick am Valentinstag‘. Mit seinen Hollywoodfilmen wie ‚Der einzige Zeuge‘, ‚Club der toten Dichter‘ oder ‚Die Truman Show‘ ermöglichte er etablierten Darstellern für sie ungewöhnliche (und meist erstmals „ernstzunehmende“) Rollen. ‚Master & Commander‘ hatte dann einfach richtig Pech.

Zum einen ist er recht schwer zu kategorisieren. Es ist ein Actionfilm, der realistisch das Leben auf einem Kriegsschiff des frühen 19ten Jahrhunderts zeigen will, psychologische Untertöne andeutet und versucht komplexe Charaktere zu zeichnen. Zum anderen war da die Konkurrenz des Jahres. Und die macht recht klar, was damals gewünscht war. ‚X-Men 2‘ oder ‚Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs‘ waren Fortsetzungen beliebter, eskapistischer Franchises. Was dem Film aber wirklich das Genick gebrochen haben dürfte, ist natürlich ‚Fluch der Karibik‘. Wenn schon ein Segelfilm, dann bitte mit Geisterpiraten, Fantasyelementen und Humor, schien das Publikum zu sagen (und dann nochmal und nochmal und…). Und mit all dem kann ‚M&C‘ nun nicht unbedingt aufwarten (Jacks „Dad Jokes“ mal außen vor gelassen).

Aber zu diesem Problem das allgemeine Publikum zu erreichen kam noch die Tatsache, dass es sich um eine Adaption von Patrick O’Briens „Aubrey und Maturin“ Romanreihe handelt. Die ist nicht nur in Deutschland nicht unbedingt Mainstream, was nicht zuletzt damit zu tun haben dürfte, dass sie den unbedarften Leser so gnadenlos mit nautischem Fachvokabular bombadiert, als wäre er ein napoleonisches Kanonenboot. Teile der Handlung stammen aus dem ersten Roman ‚Kurs auf Spaniens Küste‘ (OT: ‚Master & Commander‘). Der größte Teil aber bezieht sich auf ‚Manöver um Feuerland‘, den zehnten Roman. Das Setting vor der Küste Brasiliens ist dasselbe, wir erleben Jack Aubrey im Film als bereits erfahrenen Kapitän und er ist schon lange mit dem Forscher und Bordarzt Stephen Maturin befreundet. Allerdings wurde die Handlung vom Krieg von 1812 in die napoleonischen Kriege verlegt. Weil die Produzenten Sorge hatten, wenn die Gegner Amerikaner wären, kämen patriotische US-Bürger damit nicht so gut klar und würde den Kinos fernbleiben (was sie dann trotz französischem Gegner blieben). So ist das gegnerische Wunderschiff (baugleich mit der berühmten USS Constitution) immer noch in Amerika gebaut, aber dann eben an Napoleon verkauft. Kann man aber vielleicht fragwürdig finden, ob die jungen USA ihre neue Supertechnologie so einfach rausgeben würden. Lange Rede, kurzer Sinn, auch Fans der Reihe fühlten sich auf den Schlips getreten, weil hier zahlreiche Änderungen vorgenommen und Charaktere verwässert wurden. 2003 gehörte ich da übrigens auch dazu.

Doch seitdem habe ich den Film bestimmt ein gutes Dutzend Mal gesehen und meine Meinung lange und grundlegend geändert. Und ich bin recht froh zu sehen, dass der Film zu seinem 20sten Geburtstag (oh mein Gott, wie lange ist das her???) eine gewisse Neubewertung erfahren hat. So sehr, dass inzwischen sogar ein Reboot der Reihe, wenn auch ohne Weir, Crowe und Paul Bettany, angekündigt ist. Was macht den Film so gut?

1805 bekommt das britische Kriegsschiff HMS Surprise, unter Kapitän „Lucky“ Jack Aubrey (Crowe) den Befehl vor der Küste Brasiliens den französischen Kaperfahrer Acheron aufzubringen. Doch der erfahrene Seemann Aubrey wird vom überlegenen, feindlichen Schiff komplett überrumpelt, die Surprise schwer beschädigt. Die Verfolgung der Acheron wird für Aubrey so zu einer persönlichen Fixierung, für die er sein Schiff, seine Mannschaft und seine Freundschaft mit dem Schiffsarzt Maturin (Paul Bettany) aufs Spiel setzt.

Die knappe Zusammenfassung lässt einen typischen Abenteuerfilm erwarten und tatsächlich liefert ‚M&C‘ in dieser Hinsicht durchaus ab. Mit seinen Seeschlachten, weitgehendem Verzicht auf Computereffekte und der dramatischen Umsegelung von Kap Hoorn wirkt er so teilweise wie ein Film, der sich 2003 schon ein wenig alt angefühlt haben mag, aber auf gute Weise. Das war damals schon ein Film, wie er eigentlich nicht mehr gemacht wurde.

Weir erzählt hier auf eine ungewöhnliche Weise, die die langen Phasen der gleichförmigen, harten Arbeit an Bord eines Segelschiffs, wobei er aber auch ihre Komplexität und die Notwendigkeit von Teamarbeit zeigt und diese mit den wenigen Minuten absoluter Panik kontrastiert, wenn es zum Seegefecht kommt. Wenn schwere Stahlkugeln die Planken zerreißen, Flechette Geschosse die Matrosen und sich das gesamte Deck rot färbt, bis der Schiffsarzt nach Sand rufen muss, um nicht auszurutschen, während er komplexe Operationen mit Werkzeug vornimmt, das heute einem Schlachter zu primitiv für seine Arbeit erscheinen würde.

Und diese beiden Aspekte zeigt der Film dabei recht schonungslos. Aubrey ist ein Mann, der vom Instinkt gesteuert wird, an Bord aber Wert auf die exakte Einhaltung von Regeln legt und auch bereit ist, diese mit einiger Brutalität durchzusetzen. Aber gerade in den Gefechten ist der Film teilweise gewollt unangenehm in seiner Darstellung. Insbesondere, weil er immer wieder die jugendlichen Offiziersanwärter inmitten des Geschehens zeigt. Der jüngste, Blakeney (Max Pirkis), etwa 10 bis 12 Jahre alt, verliert nach dem ersten Gefecht seinen Arm. Weir romantisiert und beschönigt hier wenig.

Ein wenig nimmt er gar Robert Eggers filmischen Ansatz voraus. Insbesondere in einer eindrücklichen Sequenz, in der die Surprise in einer Flaute liegt und die abergläubische Mannschaft glaubt in einem der Offiziersanwärter einen Jona, einen Unglücksbringer ausfindig gemacht zu haben. Die folgende Ablehnung und Ausgrenzung geht so weit, dass der Mann in den Selbstmord getrieben wird. Wie Eggers (‚Der Leuchtturm‘) lässt Weir das weitgehend unkommentiert und überlässt dem Zuschauer die Einordnung. Einzig der Rationalist Maturin ist erschüttert, als er erkennen muss, dass auch Aubrey durchaus an den „Jona“ glaubt.

Die teilweise reichlich angespannte Freundschaft zwischen Aubrey und Maturin ist denn auch, wie in der Buchreihe, ein ganz zentrales Element. Maturin ist ein moderner Mann, ein Mann der Aufklärung, mit seinen eigenen Ansichten zu Autorität und dem britischen Empire. Davon ist im Film zwar nicht so viel übrig und doch hält er nicht hinter dem Berg, dass er seinen Forscherdrang für weit wichtiger als Aubreys militärische Mission hält. Aubrey hingegen ist von Instinkten und den idealen von Ehre und Treue gesteuert und dafür auch bereit ist, über seien Befehle hinaus zu handeln. Ein glühender Verfechter des Empire, der mit leuchtenden Augen von Lord Nelson erzählt. Im Film wird er, ‚Gladiator‘ Crowe sei Dank, vielleicht ein Stück zu weit zum typischen Actionhelden, doch darf Crowe hier durchaus auch sein Schauspieltalent präsentieren. Wenn Aubrey den jungen Blakeney am Krankenbett besucht und sich dabei vor Schuldgefühlen in seiner Uniformjacke geradezu windet, gleichzeitig aber väterliche Zuversicht und Autorität ausstrahlen will, ist das eine Erinnerung, dass Crowe durchaus kann, wenn er will.

Vor allem aber ist ‚M&C‘ ein Film, der sich Raum zum Atmen, zum Aufgehen nimmt. Der seine Galapagos Inseln als einen Traum für Forschungsreisende präsentiert, der in Ruhe sein wunderbares Schiff zeigt, auf Details, wie die Namen der verschiedenen Kanonen hinweist, dem interessierten Zuschauer immer noch etwas Neues präsentieren kann. In dem sich die beiden Hauptdarsteller mehrfach hinsetzen, um gemeinsam zu musizieren, der Leben an Bord vom Wachwechsel bis zur Seekrankheit und eben dem blutigen Gemetzel zeigt.

Er ist so auf seine Weise eine Art anti-‚Fluch der Karibik‘, in dem Segelschiffe nur eine Art sind, um von Punkt A der Handlung zu Punkt B der Handlung zu kommen. Hier ist die Surprise ein ganz zentraler Teil der Faszination. Weir präsentiert das Schiff und seinen Film beinahe mit dem Auge des Science Fiction Regisseurs, so tief ist seine Faszination mit der veralteten Hochtechnologie. Das muss man vielleicht ein Stück weit nachempfinden können, damit der Film wirklich funktioniert.

Für mich funktioniert dieser Mix aus Elementen jedenfalls ganz wunderbar und formt einen der besten Filme für einen faulen Sonntagnachmittag, den ich mir vorstellen kann.

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2 Gedanken zu “‚Master & Commander – bis ans Ende der Welt‘ (2003)

  1. Ich hab das damals auch nicht verstanden, warum dieser Film eigentlich gefloppt war. Der hat alles, was man für einen guten Filmabend braucht.
    Hab den auch schon paar Male gesehen und demnächst steht er wieder auf dem Plan.

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