Wie man vielleicht merkt, hole ich derzeit einige der übersehenen Pixar Veröffentlichungen der letzten Jahre nach. Auf ‚Luca‘ folgt nun ‚Soul‘. Und ich muss mich ernsthaft darüber wundern, wie wenig ich über ‚Soul‘ gelesen oder gehört habe. Pixars Vorwurf an Disney, ihre Filme quasi ohne jegliche PR zu veröffentlichen, klingt immer glaubhafter. Ein Film von Pete Docter, verantwortlich für den, mMn., besten Pixar Film der letzten Jahre, ‚Alles steht Kopf‘, mit Ambient-Musik von Atticus Ross und Trent Reznor, sowie Jazz von Jon Batiste und dazu noch ein Oscar Gewinner, ging quasi spurenlos an mir, als nominell Animations-interessiertem vorbei?! Da läuft absolut irgendwas schief. Und das kann nicht rein auf die Pandemie geschoben werden. Aber ist der Film denn nun gut?
Joe Gardner arbeitet in New York als Musiklehrer. Eigentlich aber träumt er davon als Jazzpianist auf großer Bühne zu stehen. Für seine Mutter ist klar, als er endlich eine Vollzeitstelle mit Pension und Krankenvorsorge angeboten bekommt, dass er sie annehmen muss. Doch am selben Tag bekommt er die Chance mit Jazzstar Dorothea Williams zu spielen. Die äußert sich nach der Probe positiv über ihn, doch auf dem Heimweg stürzt der überglückliche Gardner in einen offenen Kanaldeckel. Seine Seele findet sich auf dem Weg in Jenseits wieder. Noch nicht bereit zu sterben, gerät Joe auf der Flucht ins „Davor“, wo ungeborene Seelen von Mentoren mit Eigenschaften versehen werden, bis sie bereit sind auf die Welt zu kommen. Joe schleicht sich hier als Mentor ein und wird 22 zugeordnet, einer Seele, die sich offenbar seit Jahrtausenden weigert geboren zu werden und ihre Mentoren zur Verzweiflung treibt. Doch Joe geht einen Deal mit ihr ein. Sie werden zusammen 22s „Erdreiseplakette“ vervollständigen, Joe wird sie nutzen, um auf die Erde zurückzukehren und 22 wird nie leben müssen. Selbstverständlich geht das reichlich schief und 22 landet in Joes Körper und Joes Seele in einem Therapiekater.
Pete Docter ist hervorragend darin das Unbeschreibliche greifbar zu machen und es vor allem einem kindlichen Publikum in einem visuellen Vokabular zu vermitteln, dass es für sie nicht herunterdummt, aber dennoch verständlich ist. In ‚Die Monster AG‘ gab er dem Monster unter dem Bett eine ebenso greifbare wie liebenswerte Form. In ‚Alles steht Kopf‘ beschreibt er die Gefühlswelt auf ebenso unterhaltsame wie nachvollziehbare Weise. In ‚Soul‘ nimmt er sich nun direkt noch mehr vor, die Seele, das Leben, den Tod, den Sinn des Ganzen und eigentlich auch gleich den ganzen Rest. Und, um es gleich ganz ehrlich zu sagen, ein wenig verhebt er sich dabei. Vielleicht unvermeidlich. Der durchaus gigantischen Welt, die er hier aufspannt fehlt ein wenig die wunderbare Klarheit der Vision eines ‚Alles steht Kopf‘. Es steckt so viel drin, spannt so viele Fäden, dass der Film fast notwendiger Weise über einige davon stolpert. Aber, um weiterhin bei der Wahrheit zu bleiben, das macht den Film sicherlich nicht schlecht.
Was Docter nämlich auch immer mit einigem Erfolg zu tun weiß, ist mit der Form zu spielen. Wir alle haben ein gewisses Bild vor Augen, wenn wir nur die Beschreibung „Pixar Film“ hören. Und Docters Filme folgen dem im Großen und Ganzen auch durchaus. Aber er experimentiert mehr als alle anderen. In ‚Alles steht Kopf‘ abstrahiert er etwa in einer Sequenz seine Figuren mehr und mehr, bis sie zu Linien werden. Das „Davor“ präsentiert sich hier als seltsam mystischer Ort kontrolliert von den „Jerrys“, die wie abstrakte Figuren eines Picasso wirken. „Terry“ hingegen, der überwacht, dass sämtliche Seelen ins Jenseits eingehen ist eindeutig von Osvaldo Cavandolis 70er Jahre Animation ‚La Linea‘ inspiriert, ein miesepetriger Charakter, der, wie der Name vermuten lässt aus nur einer Linie besteht. Diese Charaktere interagieren mit den Seelen, die ein wenig wie Casper, das freundliche Gespenst aussehen, in einer seltsam, psychedelisch schönen Umgebung. Und irgendwie wirkt das Alles wie aus einem Guss. Als könne es gar nicht anders aussehen.
Wenn Joe beim Klavierspiel realistisch seine Finger über die Tasten fliegen lässt, dann versetzt Docter ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, in die „Zone“. Einen Ort, in den Künstler im kreativsten Moment ihres Schaffens eingehen können. In dem man aber auch, wenn etwas zu Besessenheit wird, gefangen belieben kann. Die erste Hälfte des Films, die diese (durchaus komplexen) Konzepte ausarbeitet und dabei eben gerade mit der Form zu beeindrucken weiß, ist denn auch für mich das mit Abstand beste am Film. Die zweite Hälfte, ist dann ein wenig zu Bekanntes aus allerlei Körpertausch Filmen. Doch unterhaltsam bleibt es auch hier. Sei es 22, die nun plötzlich musikbegeistert ist, oder Joe in seinem Kater, der sich in jedem Sonnenstrahl strecken und hinlegen muss.
Der Sinn des Lebens, so scheint uns Docter sagen zu wollen, sind nicht etwa die ganz großen Ziele. Es ist wie wir mit jedem Tag und dem was er für uns bereithält, gut und schlecht, umgehen. Die ganz großen Ziele zu verpassen ist sicherlich nicht das Ende, im Gegenteil, ihre rücksichtslose Verfolgung kann für uns selbst und andere schädlich sein. Ich muss zugeben, ich weiß nicht, wie viel das einem kindlichen Zuschauer gibt. Man könnte tatsächlich fast den Eindruck gewinnen, dass sich Docter hier ganz gezielt an ein älteres Publikum wendet. Sicherlich, Zuschauer jeden Alters können fast jedem Pixar Film etwas entnehmen, aber üblicherweise sind schon Kinder als hauptsächliche Zielgruppe erkennbar. Womit ich nicht sagen will, dass sich Kinder hier langweilen dürften. Dafür bietet der Film dann doch zu viele Schauwerte und Humor auf. Aber seine Aussagen erscheinen mir im Kern ungewöhnlich erwachsen. Das liegt aber vielleicht auch einfach daran, dass ich erwachsen bin. Offiziell jedenfalls.
Ich habe den Film im Original geschaut. Hier überzeugt Jamie Foxx als sympathischer aber getriebener Gardner rundum. Tina Fey ist eine überraschende Wahl für eine ungeborene Seele, doch das spricht der Film auch direkt an: 22 verkündet, sie hat diese Stimme gewählt, weil sie möglichst vielen Leuten auf die Nerven geht. Die übrigen Sprecher sind allesamt gut aber unauffällig.
‚Soul’ ist ein liebevoller, hochambitionierter Film, der gelegentlich an seinen allzu hohen Zielen scheitert, aber in seiner eigenen Aussage bereits deutlich macht, dass genau das keine Katastrophe sein muss. Ist es hier auch wahrlich nicht. Es ist ein rundum gelungener Film, wenn schon nicht Docters bester, so immer noch ein sehr guter!