Archivarbeit: ‚Akte X‘ Staffel 3 Rückblick

Nach diesmal etwas kürzerer, aber immer noch erstaunlich langer Zeit, geht es hier weiter mit meinem Projekt, das „Vancouver Material“ von ‚Akte X‘, also die ersten fünf Staffeln und den ersten Film zu schauen und hier kurz meine Erfahrungen zu berichten. Nun bin ich mit der dritten Staffel durch. Es folgt mein kurzer Überblick und meine 3 Top- und Flop-Folgen.

Staffel 3 macht eines sehr deutlich. Die Serie hat sich eingegroovt. Die dritte Staffel ist von erstaunlich gleichbleibender und erfreulich hoher Qualität. Das hat mir anfangs etwas Sorge bereitet, waren es doch gerade die experimentelleren Folgen, die bei mir in den ersten Staffeln hoch im Kurs standen. Die gibt es aber zum Glück immer noch. Gerade Autor Darin Morgan bekommt hier viele Möglichkeiten und ich musste mich sehr bemühen nicht einfach seine drei Folgen in meine Top 3 aufzunehmen (2 sind es aber doch geworden).

Aber nicht nur wird die grundsätzliche Struktur hier zementiert, es gibt auch gewisse, vorsichtige Veränderungen. Nach allem was Scully erlebt hat, wird ihre Rolle als ewige Skeptikerin langsam aber sicher unglaubwürdig. Das löst die Serie auf eine erstaunlich clevere Weise, indem die im Hintergrund wirkenden Mächte eine andere Verschwörung als die Aliens vorschieben. Und dabei berührt die Serie auf intelligente Art und Weise eine realweltliche Verschwörung. Es gibt nämlich direkte Erwähnungen der „Operation Paper Clip“, mit der Nazi-Wissenschaftler (und hier auch Wissenschaftler der berüchtigten Einheit 731 der japanischen Armee) von der US Armee geschützt und schließlich in die USA verbracht wurden. In der Serie nun, so wird zumindest Scully vorgemacht, forschen die an biologischen Kampfstoffen und testen sie an unwilligen Opfern. Die Serie war vermutlich noch nie so finster, wie in der Folge ‚731‘/‚Der Zug‘, in der wir eine Massenhinrichtung der Opfer der Forscher (eigentlich wohl Mensch-Alien-Hybriden) durch eine Todesschwadron des US-Militärs sehen.

Gleichzeitig verschiebt die Serie den Fokus der Beziehung der beiden Hauptdarsteller weg von der Idee der Skeptikerin und des Allgläubigen, hin zur Idee der Pragmatikerin und des Besessenen. Mulder ist ebenso wenig bereit Dinge zu glauben, die außerhalb seines Weltbildes liegen, wie Scully. In einer Folge ‚Revelations‘/‚Offenbahrung‘ sehen wir sogar eine direkte Umkehr des üblichen Verhältnisses, wo die Katholikin Scully bereit ist zu glauben und Mulder annähernd zynisch. Ich weiß, während der ersten Ausstrahlung  waren viele tief interessiert an möglichen romantischen Beziehungen zwischen Scully und Mulder. Ich würde es mal so ausdrücken: Bei all dem, wo sie bereit ist ihm zu folgen, muss Scully schon verdammt viel für Mulder empfinden. Aber immer wenn die Serie versucht tiefer darauf einzugehen, wird Scully plötzlich zur eifersüchtigen Schreckschraube, was nie funktioniert und des Charakters ehrlich gesagt nicht würdig ist. Von daher hoffe ich fast, dass das weniger thematisiert wird…

Was mich zur Erzählweise der Serie bringt, die eindeutig nicht modern ist. Wenig überraschend bei einer 25 Jahre alten Serie. Was ich meine ist, dass heute natürlich nicht nur Scully und Mulder Hauptcharaktere wären, auch Walther Skinner, X, Krycek, der Cigarette Smoking Man und andere wiederkehrende Charaktere hätten vermutlich in jeder Folge ihre Momente. Die Alien-Verschwörung würde sich auch durch die „Monster oft he Week“ Folgen ziehen. Hier in Staffel 3 gibt es erstmals Anzeichen zumindest einer Erweiterung der „erzählwürdigen“ Charaktere, wenn Skinner eine „eigene“ Episode bekommt (Scully und Mulder sind natürlich immer noch die Stars). Aber in dieser einen Episode erfahren wir mehr über den Mann als das heute wohl in einer ganzen Staffel der Fall wäre. Serielle Erzählweise hat sich vollständig verändert, aber ob das immer zum besseren ist, da bin ich mir nicht mehr so sicher.

Skinner jedenfalls darf jetzt auch eine coole Sau sein, wird, zumindest teilweise, zum Verbündeten der der X-Aktler und muss dafür meterweise Dreck fressen. Wird im Lauf der Staffel in den Bauch geschossen, mehrfach vermöbelt und fälschlich des Mordes bezichtigt. Aber immerhin, seine Ehe kann er retten. Der Cigarette Smoking Man ist in der größeren Verschwörung bloß ein kleines Licht, den keiner wirklich leiden kann. X ist einerseits ein verzweifelter Feigling, anderseits ebenfalls eine ziemlich coole Socke. Ich würde aber darauf wetten, dass er es nicht mehr lang macht. Der kleine Mistkerl Krycek erfährt hier möglicherweise ein arg finsteres Schicksal, aufgrund des, reichlich plötzlich in die Mythologie eingeführten Öl-Virus(?). Überhaupt die Mythologie. Gegen Ende dieser Staffel kann man langsam ein Wanken ausmachen. Bemerkt, dass die Mythologiefolgen eher auf Überraschungen setzen, als auf durchdachte Narration. Der Cigarette Smoking Man kennt Mulders Mama! Und mir graut jetzt schon vor einem „I AM your father Fox!“ (paff paff) Moment. Doch für den Moment steht das alles erzählerisch noch auf recht sicheren Füßen. Und die Fähigkeit der Autoren megafiese Staffel-Cliffhanger zu schreiben, bleibt ungebrochen.

Kommen wir zu meinen Flop 3 der Staffel. Das war diesmal gar nicht so leicht. Denn es gab nur eine Folge, die ich richtig schlecht fand. Allen anderen konnte ich wenigstens positive Aspekte abgewinnen.

3. ‚Revelations‘/‚Offenbahrung‘

Das ist die Folge, die ich oben erwähnt habe, in der Scully glaubt und Mulder nicht. Diese ungewöhnliche Idee ist denn aber auch das Beste an der Folge, denn die Umsetzung hakt gewaltig. Ein Mörder geht um, der Leute erwürgt, die Stigmata, also die Wunden Jesu‘ aufweisen (oder das auch nur vorgeben). Der 12jährige Kevin zeigt diese Male auch, aber Scully und Mulder können ihn vor dem Mörder erreichen. Der erste Verdächtige (Michael Berryman – von Mulder als „Homer Simpsons böser Zwilling“ beschrieben…) stellt sich ebenfalls als Beschützer heraus. Dann taucht der echte Mörder (Kenneth Welsh) auf und Kevin erweist sich als christlicher Heiliger? Okay, ich frage jetzt gar nicht erst, wie sich der christliche Gott wohl in die Mythologie der Serie einfügt, Satan ist schließlich auch schon da. Aber wenn man schon einen Heiligen in der Serie hat, wär es nett gewesen, ihm irgendeine Persönlichkeit zu verleihen. Selbst auf den Tod seiner Mutter reagiert Kevin mit reichlich Desinteresse. Und so ähnlich reagiere ich auf diese Folge.

2. ‚Energie‘/‚Syzygy‘

Chris Carter hat gesehen, was Darin Morgan in der Serie mit Humor anstellen kann und wollte offenbar beweisen, dass er das auch kann. Kann er nicht, stellt sich raus. Jedenfalls hier nicht. Zwei Teenie-Mädels bekommen durch eine besondere Sternenkonstellation vage definierte, telekinetische Fähigkeiten und, weil sie eben Teenies sind, richten sie damit reichlich Schaden in ihrer Kleinstadt an. Die Bevölkerung, angeführt vom Schulrektor, glaubt hinter dem Chaos Satanisten ausgemacht zu haben. Scully schmollt, weil Mulder die örtliche Polizistin anschmachtet und sich ein Horoskop erstellen lässt. Die Folge deutet in jedem Moment an „hier darf jetzt gelacht werden“, während Morgans Humor immer organisch aus dem absurden Setting der Serie selbst entsteht. Auch schien Carter hier nicht wirklich bemüht was Neues zu schaffen. Teenager mit gefährlichen Superkräften hatten wir in dieser Staffel bereits in ‚Blitzschlag‘/‚D.P.O.‘ und humorige Kleinstadt-Satanisten-Panik in der grandiosen ‚Die Hand, die verletzt‘ Folge aus Staffel 2. Und überhaupt, hat Her Carter schon mal Teenager reden hören? Seine beiden Mädels hier wirken mehr wie Aliens als seine Aliens. Aber die finale Szene in der Polizeiwache, wo die Antagonistinnen sämtliche Waffen auslösen, zwischengeschnitten mit Szenen aus einem Stummfilm ist brillant!   

1. ‚Der Fluch‘/‚Teso dos Bichos‘

Hand hoch, wer ein ganz ähnliches Setup schon ein gutes Dutzend Mal gesehen hat: eine archäologische Ausgrabung in Ecuador bringt die Urne einer mächtigen Schamanin zum Vorschein. Die örtliche Bevölkerung bittet, deren Ruhe nicht zu stören, aber die arroganten Wissenschaftler hören natürlich nicht auf sie. Prompt wurde hier direkt ein mächtiger Jaguar-Geist freigesetzt und in Boston, wo die Urne im Museum landet, werden grausig zugerichtete Leichen gefunden. Wie geht er vor der Jaguar-Geist? Manifestiert er sich, als ein gruseliger, geisterhafter Jaguar? Haben wir es gar mit einem Werjaguar Fluch zu tun? Verdächtige dafür gäbe es. Irgendwas muss die Folge schließlich liefern, um aus der absoluten Klischee-Ausgangshandlung was Cooles zu machen. Und, immerhin, die Antwort überrascht tatsächlich. Wenn auch nicht im guten Sinne. Die Morde werden begangen von… Katzen. Jepp, kleinen Miau-Hauskatzen. Die sich in der Kanalisation verbergen, denn wenn Katzen eines lieben, dann ist es schließlich fließendes Abwasser. In 24 Folgen muss wohl immer mindestens ein echter Aussetzer dabei sein und dies war eine grausig langweilige Folge. Die Macher haben versucht die Ödnis mit einigen Gore-Effekten, etwa einem im Baum hängenden Stück Dickdarm, interessanter zu machen, aber spätestens wenn die felinen Verbrecher am Ende überführt werden, wirkt auch das nur noch albern. Es gibt eine coole Szene, in der auf einer öffentlichen Toilette aus allen Schüsseln hunderte von Ratten quellen (die vor den Katzen flüchten, nehm ich mal an). Das ist verstörend eklig und der einzig interessante Moment dieser Folge. Katzeklo, wenn man so will.

So, genug der Negativität, jetzt kommen wir zu meinen Top 3. Die waren auch nicht leicht, eben weil es so viele gute Folgen gibt.

3. ‚Andere Wahrheiten‘/‚Jose Chung’s „From Outer Space“‘

Die Wahrheit, aufmerksame Akte X Zuschauer wissen es längst, ist da draußen. Aber was ist das eigentlich, die Wahrheit? Und wie kann man sie „da draußen“, oder sonst irgendwo finden? Darin Morgan klebt hier humoristischen Plastiksprengstoff direkt an die Fundamente der Serie. Lässt unzuverlässige Erzähler die Geschichten anderer unzuverlässiger Erzähler unzuverlässig erzählen. Und so bekommen wir ein Cigarette Smoking Alien, Aliens, die von einem Harryhausen Stop-Motion Monster (namens Lord Kibote) verfolgt werden, eine Alien Autopsie, die ein Spinner auf Video veröffentlicht hat, und die auch noch echt ist! Zu Scullys Frustration aber nicht den entscheidenden Teil zeigt, als sich das Alien als Kostüm herausstellt, in dem ein Air Force Pilot steckte. Scully ist es auch, die von Autor Jose Chung (Charles Nelson Reilly) für ein Buch über UFO-Phänomene interviewt wird. Mulder weigert sich mit ihm zu sprechen, da er sich sicher ist, dass Chung ihn negativ darstellen würde. Chung beschreibt ihn später als „eine tickende Zeitbombe des Wahnsinns“, dessen einziges Vergnügen es sei Bigfoot Videos zu schauen. Ja, das hier ist eine ebenso wilde, wie teilweise bösartige Selbstparodie, ja, beinahe schon eine Sabotage des eigenen Konzepts. Das sollte nicht funktionieren, die eigene Absurdität mit breitem Grinsen schamlos vorzuführen. Ja, scheint die Folge zu rufen, wir wissen wie doof das hier eigentlich alles ist. Aber am Ende ist es doch ein irgendwo liebevoller Blick. Morgan reißt das Kartenhaus nicht ein, aber er simuliert heftige Windstöße. Das wird eine dieser Folgen, die mir immer im Gedächtnis bleiben wird.  

2. ‚Mein Wille sei Dein Wille‘/‚Pusher‘

Wer sehen möchte wie sehr Staffel 3 das Konzept des „Monster of the Week“ perfektioniert hat, der schaue sich Pusher an. Die Geschichte eines Mannes (Robert Wisden), der aufgrund eines Hirntumors anderen seinen Willen aufzwingen kann. Der mit einem Zettel mit dem Wort „Pass“ drauf am Revers ins Hauptquartier des FBI marschieren kann. Der seine Fähigkeiten nutzt, um als Auftragsmörder zu arbeiten. Es entspinnt sich ein absolut gelungenes Katz und Maus Spiel zwischen den Agenten und dem „Pusher“ (bei dem Skinner eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht bekommt, hab ich erwähnt, wie viel Dreck der diese Staffel frisst?), das in einem der spannendsten Finale der Serie endet. Und, zumindest nach Eigenauskunft der Serie, der ersten Darstellung eines „russisch Roulette“ Spiels im US Fernsehen. Das nämlich der sterbende Pusher dem hilflosen Mulder aufzwingt. Wenn mein Platz 3 eine der ungewöhnlichsten Folgen überhaupt war, ist dies das Beispiel einer der besten „gewöhnlichen“ Folgen.  

1. ‚Der Seher‘/‚Clyde Bruckmans Final Repose‘

Was würde die Fähigkeit Hellsehen zu können mit dem eigenen Leben machen. Würde sie die Idee des freien Willens endgültig zunichtemachen? Clyde Bruckman (Peter Boyle) kann Hellsehen. Aber er kann nur eines sehen: wie Menschen sterben werden. Man sollte meinen, das wäre nützlich in seinem Beruf als Verkäufer von Lebensversicherungen. Ist es aber nicht wirklich. Denn wer denkt schon gern über den eigenen Tod, erst recht erschreckend präzise vorausgesagt, nach? Und so ist Bruckman eher genervt von seiner eigenen Fähigkeit, wenn nicht sogar deprimiert. Und doch muss er sie anwenden, als ein Serienmörder umgeht und Bruckmans Weg den der Agenten Mulder und Scully kreuzt. Der in sich gekehrte wahre Hellseher Bruckman wird hier kontrastiert mit „the stupendous Yappi“, einem Uri Geller-esken überzogen chargierendem Aufschneider, mit einigem Gusto gespielt von David Duchovnys Stand-In (Jaap Broeker). Aber Herz, Seele und größte Stärke der Folge ist Peter Boyle als Bruckman. Frisch von einem Schlaganfall erholt, gibt Boyle hier eine meisterhafte Darstellung, die völlig verdient mit einem Emmy ausgezeichnet wurde. Er ist hier eine derart titanische Präsenz, dass er selbst Anderson und Duchovny blass wirken lässt. Aber Autor Morgan ist eh kein großer Fan des Charakters Mulder. Das wird in all seinen Folgen deutlich. Und so ist es zwischen Scully und Bruckman, Scully, die in ihm eben nicht nur einen Hellseher, ein Phänomen, sondern einen Menschen sieht, wo sich eine der interessanteren Beziehungen der Serie entspinnt. Es ist bittersüß, was Morgan hier auftischt, mit einigem Humor, aber auch der Finsternis des Todes. Oh, und Scully erbt einen Spitz namens „Queequeg“. Queequeg wird das Ende der Staffel nicht erleben… Armer Queequeg!

Und nun zu meiner neuen Kategorie „überraschende Gastauftritte“. Hier erwähne ich überraschende Gastauftritte (…ach?).

Giovanni Ribisi und Jack Black. Ribisi mordet mit der Macht vom Blitzschlag und Black ist sein todgeweihter Kumpel.

Ken Foree und Bokeem Woodbine als Insassen eines Todestraktes, in dem ein frisch Hingerichteter scheinbar rachsüchtig zurückgekehrt ist.

Jewel Staite in einer undankbaren Rolle als entführte Teenagerin.

Ryan Reynolds als Jock mit kurzer Lebenserwartung.

Kurtwood Smith als ehemaliger Mentor von Mulder.

Lucy Liu, B.D. Wong und – natürlich – James Hong in einer Folge, die in San Franciscos Chinatown spielt.

Das war’s. Wir sehen uns, nach bisherigen Erfahrungen, in etwa sechs Monaten wieder.

Werbung

2 Gedanken zu “Archivarbeit: ‚Akte X‘ Staffel 3 Rückblick

Und was meinst Du? (Durch die Nutzung der Kommentarfunktion erklärst Du Dich mit der Verarbeitung Deiner angegebenen Daten durch Automattic, Inc. sowie den Dienst Gravatar einverstanden.)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..