‚Hatching‘ (2022)

Ich mag Horror, dem der Spagat zwischen psychologischem Horror und einem guten, alten „creature feature“ gelingt, ohne dass es sich allzu gewollt anfühlt. ‚Hatching‘, einem Film der finnischen Regisseurin Hanna Bergholm gelingt dieser Spagat ganz ausgezeichnet. Vielleicht kein Wunder, steht doch eine Turnerin im Mittelpunkt der Handlung. Und während Ihr jetzt aus purer Begeisterung, über derart viel Textkunst meinerseits, ganz wild mit den Augen rollt, würge ich schonmal die Handlung wieder hoch.

Die 12Jährige Turnerin Tinja (Siiri Solalinna) bereitet sich auf einen Wettkampf vor. Weniger aus echter Begeisterung und mehr um ihrer perfektionistischen Mutter (Sophia Heikkilä) gerecht zu werden. Diese ehemalige Eiskunstläuferin ist nun Youtube Influencerin, wo sie ihr scheinbar perfektes Familienleben mit Tochter Tinja, ihrem Ehemann (Jani Volanen) und Tinjas Bruder Matias (Oiva Ollila) präsentiert. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine tief zerrüttete Familie. Als eines Tages eine Krähe durchs Fenster fliegt und Chaos anrichtet, bricht die Mutter dem Vogel ohne Not das Genick. In der Nacht wird Tinja von den Schreien des sterbenden Tiers aus dem nahen Wald geweckt. Sie erlöst den Vogel von seinen Qualen, findet aber auch ein Ei, das sie in einem Teddybär versteckt. Das Ei zeigt ein erstaunliches Wachstum, bis ihm ein groteskes, riesiges Vogelwesen entschlüpft. Tinja ist angewidert, fühlt sich aber auch verantwortlich für das recht hilflose Geschöpf – schließlich hat sie es ausgebrütet.

Zunächst erschien mir das Bild des Monsters ein wenig zu offensichtlich. Alli, wie Tinja das Vogelwesen nach einem Kinderlied tauft, so schien es, verkörpert schlicht die unterdrückte Rebellion Tinjas gegen die vorgespielte Perfektion der Mutter. Die hat ein komplett künstliches Bild ihrer Selbst und ihrer Familie erschaffen, in einem Horrorhaus aus Pastelltönen, rosa Blümchenmustern und Glasnippes. Dahinter verbirgt sich aber eine recht lieblose Mutter, die ihre Kinder (und deren Erfolge) als Statussymbole versteht und ihren Mann wie selbstverständlich betrügt. Kein Wunder also, dass eine Pubertät in solchem Umfeld monströse Ausmaße annehmen muss.

Alli nämlich ist nun alles was die Mutter hassen würde. Sie ist hässlich, schleimig, stinkt und ernährt sich, wie Vogelbabys das ja nun einmal tun, einzig vom Erbrochenen ihrer „Mutter“ Tinja. Einem nervigen Nachbarshund beißt sie einfach den Kopf ab, anstatt ihm, mit freundlichem Lächeln im Gesicht, insgeheim das Schlimmste zu wünschen. Doch dann macht Alli eine unerwartete Entwicklung durch, die ich hier nicht vorweg nehmen möchte, und es wird sehr deutlich, dass Bergholm mehr als gedacht über die komplexe Dynamik zwischen Müttern und Töchtern zu sagen hat. Und dabei eben, wie eingangs erwähnt, einen, gerade für eine recht kleine, finnische Produktion, einen recht eindrucksvollen Monsterfilm abliefert.

Küken Alli ist sowohl im Design wie in der Umsetzung gelungen. Die animatronische Puppe stammt vom Niederländer Gustav Hoegen, der für die Pinewood Studios arbeitet und das spätere Special Effects Makeup von Conor O’Sullivan, der etwa an Nolans Dark Knight Trilogie mitgearbeitet hat. Es lohnt sich sichtbar auch für kleinere Genre-Produktionen an diesen entscheidenden Stellen nicht zu sparen.

Was den Film aber vor allem anderen funktionieren lässt ist Hauptdarstellerin Siiri Solalinna. Gecastet wurden für die Hauptrolle ausschließlich tatsächliche Turnerinnen, nicht nur für die Turnszenen an sich, sondern weil der Darstellerin, ohne zu viel zu verraten, auch sonst körperlich einiges abverlangt wird. Was für ein Glück, das mit Siiri hier eine 12jährige Laiendarstellerin gefunden wurde, der es mühelos gelingt in einer Szene ihren Turnerkolleginnen mit Mäuschenstimme zu sagen, sie würde ja gerne etwas mit ihnen unternehmen, aber sie müsse noch joggen gehen und in der nächsten die Kamera mit einer schon fast unangenehmen, magnetischen Intensität fesselt.

Man darf hier, trotz Monsters, keinen blutigen Schocker erwarten (obwohl der Film mit einigen durchaus blutigen Szenen aufzuwarten weiß!), sondern bekommt einen atmosphärischen Film mit einer sehr, sehr deutlichen Metapher serviert. Die mag für den einen oder die andere allzu offensichtlich sein, aber die Umsetzung war für mich kreativ, interessant und vor allem elegant genug, dass mich fehlende Subtilität hier eher wenig gestört hat.

Nein die Adoleszenz, und gerade die weibliche Adoleszenz, als monströse Kreatur ist nun wahrhaft kein neues Bild im Film und nicht einmal mehr auf den Horrorfilm beschränkt (ist das ein großer, roter Panda, der da durchs Fenster schaut?!), wenn sie das überhaupt je war. Doch Bergholm präsentiert hier keine reale Welt. Ihre Horrorvision ist genauso überhöht und fast cartoonhaft wie die entnervende social media Perfektion, die die Mutter hier ihrer Familie aufzwingt. Aber anders als diese hat sie eine Botschaft die über „schaut uns an, wir sind perfekt“ hinausgeht. Tatsächlich würde ich sagen, macht sich ‚Hatching‘ sogar als gutes double feature mit Pixars ‚Rot‘. Aber man sollte die Kinder nach ‚Rot‘ und vor ‚Hatching‘ vielleicht doch lieber ins Bett bringen. Und vielleicht, falls vorhanden, auch schon mal den Vogelkäfig zudecken. Sonst kommen die Wellensittiche noch auf Ideen.

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4 Gedanken zu “‚Hatching‘ (2022)

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