Kurz & schmerzlos 49: ‚Captain Voyeur‘ (1969) – Carpenters Proto-Halloween

Es klingt eigentlich unwahrscheinlich, dass einer der ersten, wenn nicht gar der erste Film, eines Regisseurs wie John Carpenter verschwinden kann. Vor allem weil er sich schon mit studentischen Kurzfilmen einen Namen gemacht hat, so war er Cutter, Ko-Autor und Komponist für den Kurzfilm-Oscar-Gewinner ‚The Resurrection of Broncho Billy‘ von 1970. Aber offenbar ging das Gerücht an Carpenters Alma Mater, der University of Southern California, dass der Regisseur seine Kurzfilme aus dem Archiv gestohlen habe.

Wirklich nachgesehen hat aber offenbar niemand. Zumindest bis 2011, als Archivar Dino Everett die Gerüchte über Carpenters lange Finger – die Filme sind Eigentum der Universität – angezweifelt hat und tatsächlich ein hervorragend erhaltenes Master von ‚Captain Voyeur‘, wie passend, im Hugh M. Hefner Moving Image Archive fand.

In dem Film verkleidet sich der biedere Angestellte eines Computerlabors nachts als der titelgebende ‚Captain Voyeur‘ und macht sich auf die Suche nach der jungen Mitarbeiterin, auf die er sich fixiert hat. Und da sind wir direkt bei dem, was den Film interessant macht. Da ist viel, was Carpenter neun Jahre später bei ‚Halloween‘ erneut verwenden würde. Die hochmobile Kamera etwa. Oder eine Aufnahme aus Sicht des Spanners, in der nur sein Atmen zu hören ist. Oder wenn er sich die Brille über seine Maske zieht, wie Michael Myers das bei seiner Gespenster-Verkleidung tut. Auch wenn die aktuelle visuelle Assoziation hier vielleicht eher Paul Danos Riddler aus ‚The Batman‘ ist. Laut Everett sieht auch die Hauptdarstellerin Jamie Lee Curtis zum Verwechseln ähnlich. Das sehe ich selbst nun nicht so, dennoch ist sie hier zweifellos ein frühes „Final Girl“, auch wenn unklar ist, ob ‚Captain Voyeur‘ mörderische Absichten hatte.

Anders als bei ‚Halloween‘ behandelt Carpenter seinen Stalker hier allerdings als Witz. Sein Kostüm mit Maske und Umhang über Boxershorts, die Tatsache, dass er seine Brille tragen muss. Der Film eröffnet gar mit einem Zitat von der Wand einer öffentlichen Toilette. Nein, hier ist der Stalker noch nicht das Urböse, sondern eine recht erbärmliche Kreatur.

Kurz & schmerzlos 48: ‚L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat‘ (1895 oder 96 oder 97)

Falls Ihr auch nur das geringste Interesse am Medium Film habt, ist Euch sicherlich dieser Film der Brüder Auguste und Louis Lumière wenigstens dem Namen nach geläufig. Wir sehen in knapp 50 Sekunden ein Zug Einfahrt in den Bahnhof der Hafenstadt La Ciotat nahe Marseilles hält und Reisende ein- und aussteigen. Der Film wurde von den Lumières vor Ort gedreht. Das ist dann allerdings auch schon alles, was wir sicher über den Film wissen. Erstaunlich bei seiner zugemessenen Bedeutung.

Ich zumindest dachte immer, der Film wäre bei der ersten öffentlichen (mehrere „industrieinterne“ Vorführungen fanden früher im Jahr statt) Präsentation des Kinematographen der Gebrüder Lumière am 28. Dezember 1985 im Grand Café am Boulevard des Capucines in Paris gezeigt worden. Wurde er aber offenbar nicht. Die Liste der 10 gezeigten Filme, angeführt von ‚Arbeiter verlassen die Lumière Werke‘ ist bekannt und die Zugeinfahrt taucht dort nicht auf. Der Film wurde vermutlich Mitte Januar 1896 zum ersten Mal in Paris gezeigt. Laut Filmhistoriker Martin Loiperdinger wurde er gar erst Anfang 1896 gedreht. Doch damit nicht genug, die üblicherweise gezeigt Version, die Ihr auch oben findet ist vermutlich ein Remake, das die Lumières 1897 erstellt haben!

Und auch für den bekannten Mythos, dass der Film bei seiner Erstaufführung für Panik und Flucht des Publikums gesorgt hat, gibt es keine Belege. Aus heutiger Sicht möchte man sagen, dass kann man ja kaum glauben, dass das Panik auslöst, schließlich fährt die Dampflok ja nicht einmal direkt auf den Betrachter zu. Möglicherweise vermischen sich diese Geschichten um eine Panik aber auch mit einer späteren Version. Louis Lumière drehte fast 40 Jahre später ein weiteres Remake des Films mit einer stereoskopischen Kamera und präsentierte diesen und weitere kurze Filme in anaglyphen 3D vor der Akademie der Wissenschaften von Frankreich. Wobei anaglyphes 3D in verschiedenen Ansätzen seit den 20er Jahren bekannt war, sich allerdings nie großer Beliebtheit erfreute.

Könnte diese 3D Version Angst ausgelöst haben? Man kann es sich kaum vorstellen, zu allgegenwärtig und bekannt war der Film in den 30er Jahren bereits. Also muss ich als Horror-Freund wohl mit dem Gedanken leben, dass Schrecken vielleicht nicht eine der ersten Emotionen war, die der Film ausgelöst hat.

Aber hey, falls sich jemand allzu laut über Remakes und 3D beschwert, könnt Ihr jetzt auf die Brüder Lumière zeigen und sagen, dass war im Film schon immer so. Oder wenigstens nach 2 Jahren.

Kurz & schmerzlos 47: ‚Hansel & Gretel‘ (2006)

Kennt Ihr das, wenn Ihr plötzlich eine eigentlich ziemlich unwichtige Frage im Kopf habt, die Euch aber einfach keine Ruhe lässt? Nun, man kann über das Internet sagen was man will, es ist hervorragend darin eben diese Fragen zu beantworten.
Letztens schaue ich also Robert Eggers (‚The Witch‘, ‚Der Leuchtturm‘) neuesten Film. ‚The Northman‘, und zwischen all den Bärten, Blut und Berserkertum frage mich, was der wohl als ersten Kurzfilm, als Studentenfilm gedreht haben mag. Und die Antwort hierauf hat mich durchaus grinsen lassen, denn sie war ebenso offensichtlich, wie merkwürdig. Selbstverständlich hat Herr Eggers eine Variation auf das ‚Hänsel & Gretel‘ Märchen als Stummfilm im Stil des deutschen Expressionismus gedreht. Natürlich, hätte gar nichts anderes sein können. Noch besser, der Film ist sogar auf Youtube verfügbar. Und während ich den Film durchaus interessant fand, ging mir die Musik lange vor Ablauf der halben Stunde Laufzeit leider erheblich auf den Geist. Der Rest ist recht typischer Studentenfilm, der aber durchaus Eggers Sensibilitäten erahnen lässt.

Der Account, „Famous First Films“ hält, wie sich vielleicht erahnen lässt, noch eine ganze Reihe weitere erste Filme berühmter Filmemacher bereit, falls Ihr Interesse habt!

Kurz & schmerzlos 46: ‚Catopolis‘ (2022)

Eines ist mir an meiner kurz & schmerzlos Serie zuletzt aufgefallen. Ich stelle hier zumeist Kurzfilme von Leuten vor, die in irgendeiner Weise mit der klassischen Filmindustrie verbandelt sind. Dabei bieten die neuen Internet Medien doch gerade auch Raum für Leute, die diese Verbindungen nicht haben, oder vielleicht auch gar nicht haben wollen. In dieser Ausgabe soll dafür beispielhaft Vewn alias Victoria Vincent stehen. Die finanziert ihre Animationsfilme über die social payment Plattform Patreon und erreicht mit ihren Veröffentlichungen auf Youtube regelmäßig ein recht eindrucksvolles Millionenpublikum.

In ‚Catopolis‘ verliert die junge Penny ihren Job, weil sie sich mit einem Kollegen geschlagen hat. Kurz darauf bekommt sie ein dubioses Angebot „richtiges Geld“ zu verdienen. Selbstverständlich steckt hier etwas reichlich finsteres dahinter. Vewn schafft hier eine zutiefst seltsame Atmosphäre. Dystopisch, verzerrt und doch in seltsam nostalgischer 90er Jahre Animation. Ihre Charaktere sind Cartoonkatzen, wobei es eine Art Miliz zu geben scheint, die Menschenmasken trägt. Überhaupt sind Masken, das Auftreten in der Öffentlichkeit und die Verschmelzung von Öffentlichem und Privaten zentrale Themen in diesem 13 Minuten langen Filme, der sich, auf gute Art, deutlich länger, deutlich voller anfühlt. Auf gewisse Weise bringt mich dieser Film zurück in eine Zeit, in der man spät des Nachts durch die Sender gezappt hat und dort zutiefst seltsames und faszinierendes finden konnte.

Kurz & schmerzlos 45: ‚Cottonmouth‘ (2020)

Heather Langenkamp ist ein Name, den man als Horrorfan vermutlich kennt. Sie war Nancy Thompson in Wes Cravens ‚Nightmare on Elm Street‘ und übernahm die Rolle noch einmal für ‚Freddy Krüger lebt‘, den dritten Film der Reihe. In Cravens Rückkehr zum Franchise 1994, mit ‚Freddys New Nightmare‘, spielte sie schließlich eine fiktionale Version von sich selbst. Nancy war, in gewisser Weise, der Prototyp zu Cravens ultimativem „Final Girl“ Sidney Prescott.

Ab Mitte der  90er wurden Langenkamps Auftritte in Filmen seltener. Das mag einerseits damit zusammenhangen, dass sie über 30 war und damit, für eine Hollywood-Darstellerin, „alt“. Mehr noch dürfte es aber damit zu tun haben, dass sie 1989 den Effekt-Make Up Künstler und zweifachen Oscar Gewinner (‚Der Verrückte Professor‘ und ‚Men In Black‘) David LeRoy Anderson geheiratet hat und seither ins einer Firma AFX Studio mitarbeitet. Gelegentlich bestreitet sie Cameo Auftritte in Projekten, an den AFX arbeitet, wie etwa ‚Star Trek Into Darkness‘. Irgendwie ist sie 2018 auch in ‚Hellraiser: Judgement‘ gelandet, dem neunten ‚Hellraiser‘ Sequel, das von vermutlich exakt neun Leuten geschaut wurde.

Zach Wincik, einer der beiden Regisseure unseres heutigen Kurzfilms, kannte jedenfalls ein paar Leute bei dieser Produktion und nutzte die Chance, um Langenkamp eine Rolle in seinem Kurzfilm vorzuschlagen. Sie erklärte sich einverstanden und so entstand mit Ko-Regisseur Danny Salemme, in einem einzigen Nachtdreh unter Pandemie-Bedingungen, dieser Ein-Frau-Film.

Langenkamp spielt hier eine Frau, die überzeugt ist, irgendjemand oder etwas schleiche in ihr Schlafzimmer und trinkt aus ihrem Wasserglas, während sie schläft. Wir als Zuschauer denken natürlich zunächst „Verdunstung“. Deswegen rückt sie der Frage mit Timer und Klebeband zur Wasserstandsmessung zu Leibe.

Der Film ist ein recht typischer „Youtube Horror Short“, die alle dem recht ähnlichen Schema folgen, aus einer eigentlich mondänen Situation Horror zu ziehen und mit einem gewissen Effektfinale aufzuwarten. ‚Cottonmouth‘ hat aber den Vorteil, dass Heather Langenkamp mitspielt. Auch wenn sie keinerlei Text hat.

Kurz & schmerzlos 44: ‚Wrecked‘ (2012)

Anlässlich der Benson & Moorhead Wochen hier auf dem Blog hier ein Kurzfilm von ihnen. ‚Wrecked‘ entstand aus einer Zusammenarbeit von Tribeca Enterprises und Youtube Multi Channel Network Maker Studios (2017 gekauft von, man ahnt es, Disney). Der Film dürfte etwa parallel mit ‚Resolution‘ entstanden sein. Die Hauptrolle spielt der, mir gänzlich unbekannte, Youtuber Kassem Gharaibeh, der hier aber einen sehr guten Job abliefert. Er gibt einen in der Wüste abgestürzten US-Piloten, der am anderen Ende seiner Funkverbindung nicht die erwartete Professionalität vorfindet.

Mehr über den Film zu verraten wäre unfair. Er eignet sich allerdings sehr gut, um in die Arbeit von Benson und Moorhead reinzuschnuppern, kann man doch ihren typischen Ton und vor allem ihren Humor hier deutlich erkennen.